Studentenproteste in Bonn: Stolpern in die Bildungsrepublik

Die Kultusminister wollen den Bachelor noch studierbarer machen. Die Industrie ist entsetzt über die Abbrecherquoten. Die Studenten glauben den "leeren Versprechungen" nicht mehr.

Die Studenten haben kein Vertrauen mehr in die Minister, Rektoren und Professoren - sie wollen keine Reform der Reform. Bild: dpa

BERLIN/BONN taz | Die Studenten kletterten vor dem Tagungsgebäude der Kultusminister in die Bäume. Sie besetzten die Vorgärten, weil die Polizei ihnen den Zugang zu den Kultusministern versperrte. Auf den Plakaten stand: "Wir werden Leerer" und "Bildung für alle und zwar umsonst“ oder "Wären wir ein Viehtransport, wäre Greenpeace schon vor Ort".

Die Kultusminister verständigten sich derweil am Donnerstag auf eine Reform des Bachelorstudiums. Es soll weniger Prüfungen geben, weniger Arbeitsbelastung und mehr Zeit. Ziel ist eine 32- bis 39 Stunden-Woche einschließlich aller Vorlesungen, Seminaren, Übungen, Praktika und Selbststudium - bei 46 Studienwochen pro Jahr.

Auch sollen nach den Vorstellungen der Kultusminister mehr Bachelor-Studiengänge als bisher statt sechs Semester nun auch sieben oder acht Semester dauern. Außerdem sollen die Studienzeiten flexibler gestaltet und ein Hochschulwechsel erheblich erleichtert werden. Die Zulassung zum anschließenden Masterstudium kann von den Hochschulen weiterhin zur Qualitätssicherung oder aus Kapazitätsgründen beschränkt werden.

Bei der Reform des Bachelors geht Nordrhein-Westfalen am weitesten. Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hat sich mit den Rektoren seines Landes getroffen. Die Hochschulen sollen ihre Studiengänge sofort einem Bachelor-Check unterziehen. Das bedeutet, sie sollen die Zahl der Prüfungen und die Studierbarkeit testen. Im Gegenzug erteilt Pinkwart den Hochschulen eine Ausnahmegenehmigung, überzählige Prüfungen unverzüglich abzuschaffen. "Es ist gut, dass alle Wissenschaftsminister dem Beispiel der nordrhein-westfälischen Unis gefolgt sind, den Studenten sofort mit einem Bachelor-Check zu helfen", sagte Pinkwart der taz. Die Studenten hingegen hielten ein Transparent in die Luft, auf dem stand: "Pinky, wo ist Dein Brain?"

Rund 600.000 von 2,13 Millionen Studenten waren zuletzt in Bachelor- oder Masterstudiengängen eingeschrieben. Von den über 420.000 Studienanfängern gehen bereits 74 Prozent in den neuen Studiengang -- der allerdings in weiten Teilen als nicht studierbar gilt. Es gibt zu viele Prüfungen in zu kurzer Zeit. Die ursprüngliche Absicht, das Studium bis zum ersten Abschluss leichter studierbar und internationaler zu machen, wurde vollkommen verfehlt. Selbst der Präsident der Kultusministerkonferenz Henry Tesch (CDU) gab im Deutschlandfunk zu: "Wir hätten uns viel früher um Probleme wie Stofffülle und Prüfungsdichte kümmern müssen."

Allerdings gibt es nicht wenig Skepsis, ob die späte Kehrtwende der Kultusminister, die ihren Bachelor bislang als Meisterstück bezeichneten, gelingen wird.

Erster Knackpunkt: Warum sollten die Hochschulen nun einen Studiengang entrümpeln, den sie selbst mit Lerneinheiten und Prüfungen vollgestopft haben? "Die Umsetzung solcher Beschlüsse funktioniert nicht in allen Fällen von heute auf morgen", gestand selbst der Wissenschaftsminister Baden-Württembergs, Peter Frankenberg (CDU), der taz. "Wir sind schon seit längerer Zeit in einem ständigen Gespräch mit den Hochschulen, um die Studienbedingungen auch schon kurzfristig zu optimieren."

Zweiter Knackpunkt: Die Studenten haben kein Vertrauen mehr in die Minister, Rektoren und Professoren. "Das sind alles leere Versprechungen", sagte Christian Döhring, Student aus Marburg, bei den Kundgebungen am Rand der Kultusministerkonferenz. "Wir wollen keine Reform der Reform der Reform." Anton Thun, ein Schüler des Bonner Alexander von Humboldt-Gymnasiums sagte: "Wir brauchen keine Schönheitskorrekturen." Nicht wenige der rund 4.500 Demonstranten, vor denen sich die Kultusminister sorgfältig abschirmen ließen, drängten darauf, die Aktionen zu radikalisieren. "Wir können auch Anwesenheitslisten klauen und Flashmobs inszenieren", sagte ein Student der taz. "Wir lassen uns nicht mehr verarschen."

Was die Studenten wütend macht, sind die aktuell schwierigen Studienbedingungen. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) jubelte zwar, "wir sind auf gutem Weg in die Bildungsrepublik" - gerade weil die es so viele neue Studierende in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) gebe. Das sehen die Fachleute aber ganz anders. Die Online-Stellenbörse JobStairs beklagte einen "erheblichen Mangel" an Fachpersonal in den MINT-Bereichen.

Der Präsident des Verbandes Maschinen- und Anlagenbau, Manfred Wittenstein sagte: "Fast jeder Zweite erreicht den Abschluss im Maschinenbaustudium nicht. Das ist ein Armutszeugnis für unser Bildungssystem". Er machte direkt das Bachelorstudium dafür verantwortlich, bei dem zwei Drittel der Abbrecher laut einer Studie schon in den ersten beiden Semestern aufgeben. "Gerade am Anfang des Studiums verlieren wir zu viele", sagte Wittenstein. "Zu frühe abschlussrelevante Prüfungen, zu viel Stoff in zu kurzer Zeit sowie zu wenige Betreuungsangebote wirken sich negativ aus."

Und die wirklich harten Zeiten kommen erst noch. Laut Prognosen werden die Studentenzahlen ab 2010 rasant ansteigen. Derzeit sind es 2,13 Millionen Studierende. Erwartet werden in wenigen Jahren zwischen 2,2 und 2,5 Millionen Studierende -- vor allem wegen der doppelten Abiturjahrgänge, die ab 2011 auf die Hochschulen kommen. "Nur mit 500.000 zusätzlichen Studienplätzen und besten Studienbedingungen für alle lassen sich Studienverzicht und Abbruchquoten senken", sagte daher der hochschulpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Kai Gehring.

Miesmacherei der Opposition? Nein, Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) stimmte zu: "Entscheidend ist aber natürlich nächste Woche der Bildungsgipfel: Erhalten unsere Hochschulen das Geld, um die Betreuungsrelation deutlich zu verbessern? Das ist die Gretchenfrage, wenn Bund und Länder ernst machen wollen mit der Bildungsrepublik."

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