Strukturwandel in Kohlerevieren: Was nach den Dörfern kommt
Zwei grüne Landtagsabgeordnete aus der Lausitz und dem Rheinland treffen sich am Hambacher Loch. Können die Reviere voneinander lernen?
„Gott hat die Lausitz erschaffen, aber der Teufel die Kohle darunter.“
(Sorbisches Sprichwort)
„Dörfer in Anspruch nehmen“
Heute steht auch Ricarda Budke staunend hier. „Das ist hier schon viel tiefer als bei uns in der Lausitz“, sagt sie. „Riesig das alles. Aber das Gefühl von Wüstenlandschaft ist das gleiche wie bei uns.“ Die 25-Jährige sitzt für die Grünen im Brandenburger Parlament. Und sie ist für die Lausitzer Reviere Mitglied im Landes-Sonderausschuss Strukturentwicklung, der drei Tage zu Besuch im Rheinland war. „Ich habe etwas Neues gelernt: RWE nennt die Pumpen Brunnen, ein sehr eigenes wording; bei uns sind Pumpen Pumpen. Aber ‚Dörfer in Anspruch nehmen‘ statt Dörfer zerstören, das sagt man bei uns auch.“ Besonders viele sorbische Siedlungen wurden in Anspruch genommen.
Budke war auf Einladung ihrer Parteifreundin Antje Grothus aus dem NRW-Landtag noch zwei Tage länger geblieben. Beide Frauen sind mit ihren Parteien in Regierungsverantwortung und müssen den Strukturwandel vorantreiben. Können die Regionen voneinander lernen? Budke: „Wir haben viele gleiche Probleme. Was kommt nach der Kohle? Wie können wir die Menschen beteiligen? Im Osten haben wir einen besonders großen Fachkräftemangel. Und eine besonders alte Bevölkerungsstruktur. Wie kriegen wir neue junge Menschen in unsere Region?“
Vor allem: „Wir brauchen internationale Topkräfte.“ Nun ist der Osten AfD-verseucht: „Ein wirklich großes Problem. Wenn sich die Menschen mit ihren Familien in unserer Region nicht willkommen fühlen, dann gehen die gleich woanders hin.“
Manches aber, sagt Budke, laufe in Brandenburg „vielleicht besser, etwa die Einbindung der Zivilgesellschaft. Wir haben Knotenpunkte aufgebaut im Land, wo sich Menschen beraten lassen können, sich vernetzen. Es gibt niedrigschwellige Mitmachprojekte, durch Bürgerfonds gefördert.“ Und das mit reduzierter Bürokratie: „Man kann als Abrechnung einfach Fotos machen.“
Ein Theater in Senftenberg
Vor dem Strukturwandel steht die strukturelle Skepsis der Menschen: „Manche nehmen das als Vertrauensbruch wahr, wenn aus der Kohle früher ausgestiegen werden soll. Man muss zeigen, die Milliarden versickern nicht irgendwo in der Nachfolge-Industrie, sondern helfen in der Lebensrealität. In Brandenburg werden Gelder über Werkstätten verteilt, da sitzen Menschen aus Zivilgesellschaft, Verwaltung, Wissenschaft, Kultur.“ Mitentscheiden zu können, gebe „ein Gefühl der Selbstermächtigung“. Das erste Projekt mit Strukturfördermitteln war ein Theater in Senftenberg, „mitten in der dünnbesiedelten Lausitz. Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft – solche angeblich weichen Faktoren machen echt was aus.“
Antje Grothus kann da nur staunen: „Hier werden solche Aktivitäten belächelt, es heißt: Das ist doch kein Standortfaktor! Hier wird es schon als Kunst und Kultur gesehen, wenn nach 2030 Braunkohle-Bagger in die Landschaft drapiert werden.“ Keine Frage, Industriekultur sei wichtig, „aber wir brauchen einen multiperspektivischen Ansatz: Die 40.000 Menschen, die aus über hundert Dörfern umgesiedelt wurden und die Zehntausende, die die Dörfer und den Hambacher Wald gerettet haben, denen muss ein Denkmal gesetzt werden. Damit die Wunden bei allen besser heilen können.“
Ist das weibliches Denken? Der Begriff löst bei beiden Frauen Unbehagen aus – und Einigkeit: Es dürfe nicht nur um typisch männliche Technologie und Wertschöpfung gehen. Sondern auch um das Umfeld, die Um-Welt, um Partizipation. Ricarda Budke: „Männer profitieren von den sogenannten weichen Standortfaktoren genauso, nur fällt es ihnen erst später auf. Aber das Wort weich stört mich. Was ist denn härter als keinen Kitaplatz zu finden?“
RWE Power hat weit unter Terra Nova gerade seinen Tiefpunkt gefeiert – beim Baggern: 411 Meter. Und Rekordgewinne gemacht: netto 4,5 Milliarden Euro im Jahr 2023. Weniger rekordverdächtig: Statt zuletzt 65 Millionen Tonnen Kohle wurden 2023 nur noch 50 Millionen verbrannt. Eine Folge auch der CO2-Politik Richtung Erneuerbare.
Nur 800 Frauen unter 7.400 Mitarbeiter*innen
Im Grubenalltag bleibt Braunkohleförderung strikte Männersache, in Ost wie West. Von den 7.400 Menschen, die heute noch für RWE Power arbeiten (80er Jahre: 100.000), sind laut Firmenangaben nur 800 Frauen. Gerade mal 400 Frauen sind in bergbaulich-technischen Funktionen aktiv, die meisten in der Verwaltung. Eine Baggerfahrerin kann RWE nicht bieten. Budke triumphiert: „In der Lausitz gibt es eine.“ „Bei uns“, kontert Grothus, „werden auf den RWE-Hauptversammlungen immerhin Frauen, die bei RWE arbeiten, auf Stellwänden präsentiert.“
Der Osten hat schon 20 Seen, die die alten Gruben füllen, im rheinischen Revier soll es 2030 mit dem herbeigepumpten Rheinwasser losgehen. Ökologische Schäden? „Unsere Löcher sind nicht so tief“, sagt Budke, „aber wir haben auch so schon große Probleme, die zu fluten, und Probleme mit der Wasserqualität. Es gibt auch Rutschungen.“ In den rheinischen Revieren dominieren Hochglanzprojekte, Strandpromenaden, Haus am See, Jachthäfen. Schöne Phantasien für eine ganz neue Welt.
„Was ich mitnehmen werde“, sagt Budke, „offenbar gibt die Mentalität rheinischer Frohnaturen einen optimistischeren Blick als bei uns, da ist eine weniger grundsätzlich negative Einstellung zu dem, was kommt.“ Führt die zu rheinischer Naivität? Budke empfiehlt den Kommunen unbedingt einen Plan B, wenn alles nicht so klappt wie geplant, wenn die Seen durch Trockenheit, hohe Verdunstung und Klimawandel vielleicht nur halbvoll werden. Und es Böschungsbrüche gibt wie im Osten.
Und worauf freuen wir uns in zehn Jahren? Antje Grothus: „Natürlich brauchen die Menschen in unserer Region schon heute mehr Lebensqualität. Aber ich freue mich auf einen großen Biotopverbund, dass wir ein Museum zur wechselvollen Geschichte des Hambacher Waldes und der verschwundenen Dörfer eröffnet haben und auf eine tolle Radtrasse am Hambacher Wald, weil wir dann um jedes bisschen Schatten froh sein werden.“ Budke sagt: „Wir haben schon einige neue Radwege, ich freu mich drauf, dass die Menschen, die so unter dem Tagebau und den Folgen leiden, sich in zehn Jahren neu erfunden haben können, mit neuen Chancen und tollen Perspektiven. Daran arbeiten wir.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland