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Strukturwandel in BrandenburgWenn nur die Bockwurst bleibt

In der Lausitz naht der Kohleausstieg. Viele Menschen fühlen sich abgehängt. Ein Verein möchte mehr Bürger an der Zukunftsgestaltung beteiligen.

Jetzt schon museal: Schaufelrad eines Kohlebaggers im brandenburgischen Welzow Foto: Daniel Chatard/laif

„Gott schuf die Lausitz und der Teufel die Kohle darunter“, besagt ein altes sorbisches Sprichwort. Seit über zweihundert Jahren wird in der Lausitz Kohle abgebaut – mitsamt all den viel diskutierten Folgen für Landschaft, Bevölkerung, Wasserhaushalt und Klima.

Ab 2038 ist damit Schluss. Allein in meiner Straße kenne ich zwei Frauen, die ihr ganzes Leben lang in der Kohle gearbeitet haben. Ein Knochenjob, den sie trotzdem gern gemacht haben: „Das kann man sich heute vielleicht nicht mehr vorstellen, aber wir waren hier das Rückgrat der DDR“, erklärte mir eine von ihnen nicht ohne Stolz.

Die Identifikation mit der Kohle ist in der Region nach wie vor hoch. Trotzdem haben sich viele Menschen damit abgefunden, dass der Ausstieg kommen wird. Nur über das Wie herrscht noch Diskussionsbedarf. Mit dem Kohleausstieg steht die Lausitz vor enormen Herausforderungen. Einer der letzten großen Industriezweige in einer ansonsten vergleichsweise strukturschwachen und überalterten Region fällt weg.

Um den nötigen Umbau zu unterstützen, wurde 2020 das Investitionsgesetz für Kohleregionen verabschiedet. Allein auf die sächsischen Landkreise Bautzen und Görlitz entfallen damit bis 2038 knapp 7 Milliarden Euro.

Hinweis

Dies ist der fünfte von sechs Texten der Reihe „Geschichten aus der Lausitz“. Sie erscheinen wöchentlich bis zur Bundestagswahl am 23. 2.

Der sogenannte Strukturwandel ist in vollem Gange. Dabei ist es nicht selbstverständlich, dass derartige Summen in betroffene Regionen investiert werden.

Umso bemerkenswerter fand ich, dass ich vor Ort bisher kaum jemandem begegnet bin, der den Strukturwandel und die damit einhergehenden Investitionen mit sich in Verbindung bringt. Ein Nachbar hat es auf den Punkt gebracht: „Ich bin in der DDR aufgewachsen – mein ganzes Leben ist ein einziger Strukturwandel!“

Auf offene Arme gestoßen

Handelt es sich um ein politisches Problem, weil dieser Region – schon wieder – ein Umbruch von oben übergestülpt wird oder ist es vielmehr ein Kommunikationsproblem, weil die Menschen schlichtweg zu wenig von den Prozessen mitbekommen?

Das habe ich meine Bekannten Jan und Franzi gefragt, die sich an verschiedenen Stellen für einen ganzheitlichen Strukturwandel engagieren. Spoiler: Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Jan arbeitet seit Jahren im Bereich Bürgerbeteiligung und macht sich als Gründungsmitglied der Lausitzer Perspektiven für mehr Partizipation im Strukturwandel stark.

„In Brandenburg sind wir mit dem Thema auf offene Arme gestoßen, in Sachsen eher gegen Wände gelaufen“, erklärte er mir. Er hat den Eindruck, die sächsische Politik fühle sich beinahe bedroht von dem Gedanken der Beteiligung ihr Bürger*innen. Bestehende Beteiligungsformate hätten dabei häufig eher symbolischen Charakter als echte Gestaltungsmacht.

Beispielsweise gibt es einen Regionalen Begleitausschuss, in welchem betroffene Landkreise und ausgewählte Gemeinden über kommunale Strukturwandelprojekte abstimmen.

Dieser Ausschuss steht in der Prozesskette jedoch so gut wie am Ende, sodass in den meisten Fällen lediglich die Projekte durchgewunken werden, die bereits ministeriell bestätigt worden sind. Zudem sind Interessenvertretungen aus dem Bereich Wirtschaft, Zivilgesellschaft oder Ökologie involviert – nur haben diese kein Stimmrecht.

Die echten Entscheidungen werden vornehmlich da gefällt, wo die Betroffenen keinen Zugang haben. Dabei sendet die Kommunikation der Beschlüsse und Zuwendungen zudem oft an den Menschen vor Ort vorbei: „Wir brauchen nicht noch mehr riesige Aufstelltafeln oder Anzugträger, die mit Flipcharts irgendwelche Investitionsströme erklären“, so Franzi. Vielmehr gehe es darum, die Leute da abzuholen, wo sie sind. So zieht eben doch das Fest mit Bockwurst und Bier am besten, bei dem der ansässige Bäcker vom gelungenen Umbau seiner Filiale berichten kann.

Neben dem Wie liegt das Problem auch im Was: „Der Strukturwandel in der Oberlausitz ist am Ende des Tages eine business as usual Wirtschaftsförderung“, so Jan. Für ihn ist zumindest fraglich, ob die alte Logik noch gilt, man müsse einfach genügend Arbeitsplätze schaffen und dann kämen die Leute von ganz allein.

Natürlich sind beim Strukturwandel wirtschaftliche Veränderungen zentral. Doch wenn es darum geht, diesen Wandel auszugestalten, geht es um mehr als nur die Kompensation von Wirtschaftsfaktoren.

Hier wird nicht weniger verhandelt als die Frage, in was für einer Region die Menschen künftig arbeiten und leben wollen. Im Umkehrschluss liegt für Franzi und Jan die Vision darin, den Strukturwandel ganzheitlich zu betrachten – wirtschaftlich, ökologisch und zivilgesellschaftlich. Das geht nur gemeinsam.

Einmalige Chance

So einleuchtend dieser Ansatz klingt, räumt Jan nach langen Jahren der Arbeit in verschiedenen Beteiligungsformaten ein:

„Das Problem liegt nicht nur auf der Seite der Politik, sondern ist auch ein gesellschaftliches. Ganz oft haben die Leute zwar viel zu meckern, wollen sich aber gar nicht einbringen.“ Auf Kompetenzen der Selbstwirksamkeit in einer gelebten Demokratie können viele nicht zurückgreifen. Der Glaubenssatz, man könne ohnehin nichts bewirken, sitzt tief. Zeit für Engagement muss man sich zudem auch erst mal leisten können.

Was ich aus den Gesprächen auch mitgenommen habe: Bei aller berechtigen Kritik sind der Strukturwandel und die Milliardensummen eine einmalige Chance für die Lausitz. Es gibt durchaus Leuchtturmprojekte, wie die Ansiedlung des Deutschen Zentrums für Astrophysik in Görlitz, die eine Strahlkraft auf die ganze Region ausüben können.

An machen Stellen braucht es vielleicht auch einfach noch Zeit, bis die Leute merken, dass hier wirklich was passiert. Dass sich das Ganze positiv auf ihr Leben auswirkt.

Umso wertvoller ist die Arbeit all der Initiativen, Vereine oder Einzelpersonen, die sich in den betroffenen Regionen unermüdlich mittels soziokultureller Zentren, Beteiligungsformaten oder auch Gewerkschaftsarbeit für einen erfahr- und gestaltbaren sozial-ökologischen Wandel starkmachen. Davon gibt es zum Glück so einige.

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8 Kommentare

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  • Schöner & wichtiger Artikel !



    Demokratie muss man lernen, dieser Aspekt ist bei Mauerfall viel zuwenig, wenn nicht garnicht berücksichtigt worden. ( Beabsichtigt oder Unbeabsichtigt, sei dahingestellt )



    Bürgerbeteiligung und Informationsveranstaltungen sind ein probates Mittel für mehr Einbeziehung in demokratische Abläufe und fördert auch die unbedingte Eigenverantwortung, die eine Demokratie beinhalten sollte. Zudem die Solidarität unter den ansässigen Bürger der Region für Projekte, die im Interesse der Bürger sein sollten.



    Die Gefahr, einer rechten Unterwanderung sollte aber auch unbedingt dabei immer im Auge behalten werden.



    ...toi toi toi 👍

  • Sehr interessanter artikel. Danke!

  • "Mit einem Durchschnittsalter von 47,1 Jahren hatte Brandenburg 2022 die viertälteste Bevölkerung in Deutschland. Nur die Einwohner von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen waren älter." (Demografieportal)

    Die Alterung ist mit Sicherheit ein Problem. Die Menschen haben ihren Berufsweg hinter sich, die Kinder/Enkel sind ggf. nicht mehr in der Region!

    Und die Unternehmen/Genossenschaften existieren nicht mehr. Daran kann man nicht mehr anknüpfen und eigenes Fachwissen einbringen :-/

    Und letztlich sind Bürgeräte aus meiner Sicht nicht wirklich hilfreich, weil die Problemstellungen einfach fachlich zu komplex sind. Da sind in der Tat nur "die Anzugträger" (Spezialisten des Investitionsfeldes) in der Lage, die Situation darzustellen.



    Das sind aber strategische Themen, die den Normalbürger, hilft nix, einfach überfordern und deprimieren! Und zur Selbstdarstellung pensionierter "Experten" ist es auch zu teuer.

    Das Geld sparen und in gute Ausstattung soziale Projekte stecken. Das hebt ggf. die Stimmung.

    • @Ansu:

      "Und letztlich sind Bürgeräte aus meiner Sicht nicht wirklich hilfreich, weil die Problemstellungen einfach fachlich zu komplex sind. "

      Zu komplex auch für viele Abgeordnete und Minister.



      Daher braucht es auch Heerscharen von Spezialisten, Lobbyisten und Ohrenflöhe.

      Was qualifiziert z.B einen Dr. phil für den Posten des Wirtschaftsministers ? Sehen sie ...

      • @Bolzkopf:

        Wie jetzt, Sie finden es nicht richtig & gut, wenn Politiker sich von externen ( teuer von unseren Steuern finanzierten ) Beratungsunternehmen, die oftmals ihre eigenen politischen Ideologien und politischen Interessen haben, sich in die " richtige " Richtung lenken lassen ?



        Sie sind nicht überzeugt davon, wenn ca. 4.000 Lobbyisten von Vereinen wie z. B. " die Familienunternehmer " , & Lobbyisten von der Rüstungsindustrie & Wirtschaft auf die Politiker Einfluss nehmen ?



        Sie sind nicht davon überzeugt, wenn parteinahe oder von " unabhängigen " Rüstungsunternehmen , finanzierte Wissenschaftsinstitute - Einfluss durch " neutrale " Expertisen - den Politikern sagen wo es in Zukunft langgeht ? Also also , da. darf man sich ja echt nur etwas wundern 🤣😂😅🤣

      • @Bolzkopf:

        Wir sind uns sicher einig, dass Politiker nicht auf die Welt kommen, sondern vorher sehr oft Lehrer, Juristen, Beamte, Handwerker, Mediziner etc. sind.

        Ohne jemandem auf die Füße treten zu wollen, ist es so, dass die Beamten in den Ministerien die eigentlichen Experten sind. Ja, die Beamten.

        Meistens bringen Politiker ja noch eigene Kräfte mit, damit sie Vertraute haben. Eben weil es so komplex ist und sie idRegel ebenkeine Experten sondern Parteipolitiker!

        Zusätzlich setzen sie externe Beratungsunternehmen ein. Machen alle!!!

        Sie haben das Steuerrecht, Finanzmarkt, BWL/VWL und Klimatschuzt (Bspw. nur alleine die gesammelte Förderlandschaft) drauf?



        Bitte überprüfen:



        www.foerderdatenba.../DE/Home/home.html



        Soll keine Verteidigung sein. Aber alleine hier zeigt sich schon, womit sich der geneigte Bürgerrat beschäftigen müsste? Sie glauben an Märchen?

        So und jetzt zu unseren lieben MitbürgerInnen in den Bürgerbeiräten. Man könnte jetzt natürlich versuchen "echte Experten" aus dem Bürgertum so auszuwählen, dass sowohl die Demografie, als auch der Parteienproporz stimmt. Aber wer sagt schon, wen er wählt ;-)

        Sehen Sie...

        • @Ansu:

          Demarchie !



          Das ist das Zauberwort !

  • Würde sagen: Spätfolgen der Wiedervereinigungspolitik.



    Kurze Erinnerung : Reinigung sämtlicher Führungspositionen von "Oasis" und Ersatz durch "Wessis" und Enteignung der Bevölkerung durch Verkauf des einstmaligen Volkseigentums durch die Treuhand wobei die Erlöse NICHT den Menschen vor Ort zugeflossen sind.