Stromausfälle in Japan stoppen die Industrie: Glühlampen raus, Neonwerbung aus

Der Energiemangel nach dem Erdbeben zeigt den Japanern die Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums auf. Bürger sparen nun konsequent Energie.

Stromsperren: Tokio würde sich in eine Geisterstadt verwandeln. Bild: ap

TOKIO taz | Als die Kundin nach Joghurt und Bier fragt, entschuldigt sich der Verkäufer im Supermarkt Extra Life im Tokioter Stadtteil Nerima. Beides sei wegen der Stromsperren knapp. "Bier und Joghurt kann man nur schwer gesundheitlich sicher herstellen, wenn der Strom ausfällt", erklärt der Verkäufer.

Ganze Industriezweige wie Auto, Halbleiter und Stahl haben das gleiche Problem. Drei Stunden ohne Strom in einer Autofabrik bedeuten neun Stunden Produktionsausfall. Auf schmerzliche Weise müssen die Japaner feststellen, wie stromabhängig ihre Industriegesellschaft ist.

Der Stromversorger Tepco veröffentlicht immer für die nächsten zwei Tage die erwartete Nachfrage und die eigene Lieferkapazität. Am Mittwoch benötigt der Großraum Tokio 33.500 Megawatt. Tepco kann 39.500 Megawatt liefern, genug, um Stromsperren zu vermeiden.

Seit mehr als einer Woche geht das gut, weil die Bürger konsequent Energie sparen. Politiker und Prominente werben für Jishuku, japanisch für Selbstbeschränkung: Das heißt Treppensteigen statt Aufzugfahren, Glühlampen raus, Neonwerbung aus und Heizöfen kleinstellen. Sogar der Kaiser verzichtet in seinem Palast stundenweise auf Elektrizität.

Erdbeben und Tsunami haben knapp ein Viertel der Kraftwerkskapazität von Tepco zerstört. Allein durch den Ausfall von Fukushima fehlen auf Dauer 8.400 Megawatt. Die Einfuhr von Strom ist nicht möglich. Wegen eines Firmenstreits nach dem Krieg läuft das Netz in Westjapan auf 60 Hertz und in Ostjapan mit Tokio auf 50 Hertz. Nun nimmt Tepco alte Thermalkraftwerke in Betrieb und kauft Gasturbinen ein. Bis zum Sommer sollen maximal 54.000 Megawatt zusammenkommen. Doch im feuchtheißen Juli und August verbrauchen die 45 Millionen Tepco-Kunden bis zu 60.000 Megawatt.

29 Prozent des Stroms in Japan stammten bisher aus der Kernspaltung, 50 Prozent sollten es bis 2030 werden. Seit Jahrzehnten verfolgt Japan das Ziel, sich durch einen geschlossenen Brennstoffkreislauf für Plutonium vom Ausland völlig unabhängig zu machen. Die Stromversorger propagierten "Alles-Strom-Häuser".

Produktionszeiten untereinander abstimmen

Statt mit Kerosin und Gas sollten die Japaner mit Strom heizen und kochen. Das verringerte die Feuergefahr für die Holzbauten - und die Ölrechnung aus dem Nahen Osten. Daneben wurde nur die Solarenergie wirklich gefördert.

Dank neuer Einspeisetarife wird Japan bis 2020 mit 28.000 Megawatt weltweit die Nummer eins bei der Solarleistung sein. Dagegen lassen sich die Windkraft wegen Taifunen und die Geothermie wegen ständiger Erdbewegungen nicht einfach nutzen. Wasserkraft wurde als altmodisch vernachlässigt. Stattdessen schrieb Japan seit der Ölkrise 1973 Energiesparen groß. Das TOP-Runner-Programm wurde international zum Vorbild dafür, wie Elektrogeräte Jahr für Jahr sparsamer werden.

Die Regierung will den Firmen in diesem Sommer erlauben, ihre Produktionszeiten untereinander abzustimmen. Bisher wäre dies ein Verstoß gegen das Kartellgesetz. Außerdem sollen sie einen Teil ihres Bedarfs mit eigenen Generatoren erzeugen, ohne dabei Umweltvorschriften beachten zu müssen. Den Betreibern von Hochhäusern will man erlauben, ohne Rücksicht auf den Arbeitsschutz die Kühlleistung der Klimaanlagen zu reduzieren. So hat die Katastrophe Japan an die Grenzen des Wachstums gebracht.

Damit die Industrie so viel wie bisher produzieren kann, muss Japan mehr Kohle, Gas und Öl kaufen. "Die Importrechnung steigt, das heißt, der Wohlstand sinkt", sagt Volkswirt Cyrus de la Rubia von der HSH Nordbank. Neue Atomkraftwerke wird die Bevölkerung nicht mehr akzeptieren. Der Ausbau alternativer Energien ist bei Staatsschulden von über 200 Prozent der Wirtschaftsleistung schwer zu finanzieren. Japan hat deshalb nur die Wahl, radikal Energie zu sparen. Auch dies verringert die Wirtschaftsleistung - und damit den materiellen Wohlstand.

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