Streitpunkte bei den Grünen: Claudia Roth legt Strategiepapier vor
Die Grünen debattieren über die Folgen ihrer Wahlsiege. Parteichefin Claudia Roth plädiert für eine inhaltliche Verbreiterung – und indirekt für höhere Steuern.
BERLIN taz | Die Grünen haben ein Luxusproblem. Bei Wahlen und in Umfragen haben sie massiv hinzugewonnen. Eilig müssen sie daher ihre politischen Inhalte aufpolieren und auf ihre Machbarkeit prüfen, bevor 2013 der Bundestagswahlkampf beginnt. Deshalb plädiert die Koparteivorsitzende Claudia Roth nun intern für einen Zeitplan zur programmatischen Erweiterung der Grünen.
In der Sitzung des 16-köpfigen Parteirats erklärte Roth zu Wochenbeginn, die "thematische Verbreiterung" sei eine "strategische Kernaufgabe" der kommenden Zeit. In einem vierseitigen Papier, das der taz vorliegt, erklärte die Koparteichefin: "Deshalb ist es von enormer Bedeutung, dass wir die Zukunftskonferenz am 2. Juli in Berlin", den Bundesparteitag im Herbst "und eine programmatische Debatte in Richtung 2013 dafür nutzen", vor allem die "Kompetenzen im Bereich Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik" zu "schärfen". "Kernkompetenzen" dürfe die Partei nicht vernachlässigen.
Damit zielt Roth auf einen wunden Punkt. Entgegen dem Eigenlob vieler Grüner sind ihre inhaltlichen Forderungen nicht aufeinander abgestimmt. Beispielsweise sollen die erhofften Erlöse aus der schrittweisen Abschaffung des Ehegattensplittings gleich mehreren Projekten zugutekommen. Ebenso plädiert die Partei zwar für eine Bürgerversicherung, die praktisch die Abschaffung der privaten Krankenversicherungen bedeutete. Doch wie dieses Mammutprojekt sich finanzieren ließe, ist unklar. Zudem wirbt Roths Amtskollege Cem Özdemir um die Stimmen von Unternehmern. Doch die wirtschaftspolitischen Ziele der Partei sind - abseits der Energiepolitik - vage.
"Vor der Wahl sagen, was auf die Wähler zukommt"
Roth will vermeiden, dass die inhaltlichen Debatten erst kurz vor der Bundestagswahl im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stattfinden. "Das heißt auch, vor der Wahl zu sagen, welche Zumutungen - auch für die eigene Wählerschaft - kommen werden", sagt Roth der taz. "Wer sowohl den Sozialstaat als auch den Gestaltungsanspruch im Rahmen einer Schuldenbremse nicht aufgeben will, darf weder bei den Ärmsten sparen noch Steuererhöhungen nur für Millionäre fordern." Damit spricht sich Roth dafür aus, einzugestehen, dass sich die Parteiforderungen nur umsetzen lassen mithilfe höherer Steuern für Bezieher mittlerer Einkommen - ihre Stammwähler.
Der finanzpolitische Fraktionssprecher Gerhard Schick sieht seine Partei ebenfalls in Zugzwang: "Für uns Grüne ändert sich zurzeit durch die zunehmende Unterstützung für unsere Ideen sehr viel. Das wird auch Auswirkungen auf die Strukturen haben müssen, in denen wir als Partei arbeiten", sagt Schick der taz. Der nächste Schritt: Auf einer "Zukunftskonferenz" Anfang Juli in Berlin will die Partei mit Mitgliedern und Sympathisanten über ihre künftigen Ziele beraten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse