Streitpunkt Freihandel: Mercosur-Abkommen stoppen

Vor einem Jahr kündigten Bolsonaro, Macri, Macron und Merkel den „größten Wirtschaftsraum der Welt“ an. Doch aus dem Abkommen wird wohl nichts.

Luftaufnahme eines einzelnen Baums

Zerstörter regenwald bei Port Velho, Rondonia, Brasilien Foto: Ueslei Marcelino/reuters

Seit jeher ist Exportweltmeister Deutschland der vehementeste Verfechter der sogenannten Freihandelsabkommen. Während der EU-Ratspräsidentschaft wollte die Bundesregierung denn auch zwei transatlantische Handelsverträge vorantreiben – ein TTIP light und das vor Jahresfrist bombastisch proklamierte „Assoziationsabkommen“ mit der südamerikanischen Zollunion Mercosur.

Doch mit Corona haben sich die Prioritäten verschoben: Angesichts der Systemkrise ist die Maxime von Angela Merkel und Emmanuel ­Macron nun, die neoliberale EU zu retten. Unter dem Motto „Global Europe“ versucht die EU-Kommission bereits seit 2006, „ihre“ Firmen wettbewerbsfähiger zu machen und die Länder des Südens als Rohstofflieferanten und Abnehmer von EU-Agrarüberschüssen festzuzurren, etwa durch „Freihandels“-Abkommen. Wie die Attac-Pionierin Susan George sprechen wir jedoch lieber von Vampirverträgen – kommen sie ans Tageslicht, steht es schlecht um sie, einer demokratischen Debatte halten sie nur selten stand.

EU-Mercosur ist dafür ein Lehrbeispiel. 1999, als der Neoliberalismus in Südamerika seinen Zenit bereits überschritten hatte, wurde das Projekt in Rio aus der Taufe gehoben. Doch dann kam die rosarote Welle mit Lula da Silva in Brasilien, Néstor Kirchner in Argentinien und Hugo Chávez in Venezuela. Unter dem Jubel sozialer Bewegungen gelang es den drei Linkspolitikern 2005 im argentinischen Mar del Plata, in Anwesenheit von George W. Bush, ein anderes neoimperiales Projekt zu begraben: die Freihandelszone FTAA von Alaska bis Feuerland.

Das neue Selbstbewusstsein in Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay machte einen asymmetrischen Deal auch mit der Europäische Union undenkbar, die Verhandlungen dümpelten lange vor sich hin. Umgekehrt öffnete die EU aus guten Gründen dem Rindfleisch und dem Gensoja aus dem Mercosur nie grenzenlos ihre Tore. An diesem Sachverhalt ändert auch eine „strategische Partnerschaft“ zwischen Deutschland und Brasilien seit 2008 nichts.

Entwurf nur in Umrissen bekannt

Mit dem kalten Putsch gegen Lulas Nachfolgerin Dilma Rousseff 2016, der skandalösen Verurteilung und Inhaftierung Lulas und dem darauffolgenden Sieg von Jair Bolsonaro wendete sich das Blatt: Mit dem Amtsantritt des Rechtsextremisten Anfang 2019 – in Argentinien regierte noch der neoliberale Unternehmer Mauricio Macri – liefen die Verhandlungen plötzlich auf Hochtouren. Nach gerade sechs Monaten stand ein Entwurf im Raum, der bis heute nur in Umrissen bekannt ist. Dennoch feierten Bolsonaro, Macri, Macron und Merkel auf dem G-20-Gipfel in Osaka Ende Juni 2019 die politische Einigung – auch als Signal gegen rechten Protektionismus à la Trump.

Mit diesem Deal würde die Rekolonialisierung Südamerikas weiter vorangetrieben. Dies aber liegt weder im Interesse der Bevölkerungen beiderseits des Atlantiks noch der Natur, wie Studien von Misereor, Greenpeace oder der Europa-Grünen zeigen. Sollte er unterzeichnet und umgesetzt werden, wäre dies vor allem ein Triumph der transnationalen Konzerne und ihrer Profitlogik.

Seit 1492 interessieren Europa an Lateinamerika vor allem Ressourcen wie Gold, Edelholz, heute auch Lithium. Nach den Emanzipierungsversuchen der nuller Jahre sollen auch die Mercosur-Länder weiter „reprimarisiert“ werden. Von einer schrittweisen Senkung der Zollschranken würden dort bestenfalls das Agrobusiness und der Importsektor profitieren. Arbeiter:innen, Kleinbäuer:innen und Indígenas hingegen würden die Festschreibung des Sklavenhalterkapitalismus mit der weiteren Zerstörung ihrer Rechte und Lebensgrundlagen bezahlen.

Die geplante Liberalisierung des Handels würde Lohndrückerei und Stellenabbau verschärfen, die Konzerne sollen laut EU-Kommission jährlich 4 Milliarden Euro Abgaben einsparen. Neue Geschäftsmöglichkeiten versprechen sie sich auch im Telekom- und IT-Bereich. Neben einer auch ökologisch unsinnigen Ausweitung des Welthandels beharren die EU-Verhandler auf verschärftem Patentschutz, was die Versorgung der Südamerikaner:innen, etwa mit bezahlbaren Generika, aushöhlen würde. Bei Regierungskäufen im Mercosur, die oft zur Stärkung einheimischer Firmen genutzt werden, sollen EU-Multis gleichberechtigt mitspielen können. Für Mitverantwortung bei Umweltverbrechen oder Menschenrechtsverletzungen aber sind weiterhin keine Sanktionen vorgesehen.

Leichtes Spiel mit neoliberalen Regierungen

Mit den neoliberalen Regierungen Brasiliens, Paraguays und Uruguays hat die EU leichtes Spiel. Auch wenn sie von der Deutsch-Brasilianischen Handelskammer hofiert werden: Es ist skandalös, dass der menschenverachtende Regenwaldzerstörer Bolsonaro und seine Militärs Partner eines demokratischen Europas sein sollen. Anders Argentinien: Seit Dezember 2019 regiert dort mit Präsident Alberto Fernández ein besonnener Sozialdemokrat. Wie sein alter Freund Lula wünscht er Beziehungen auf Augenhöhe und wird deshalb von den meist konservativ ausgerichteten Medien ignoriert – oder als Totengräber des Mercosur geschmäht.

Die Zerstörung nicht nur des Amazonasgebietes, sondern auch der artenreichen Ökosysteme Cerrado und Chaco, ist schon jetzt dramatisch, sie müssen lebensfeindlichen Monokulturen weichen. Bayer-Monsanto aber will noch mehr Gensaatgut und Agrargifte verkaufen, Tönnies & Co. importieren Gensoja. BMW, Daimler und VW, dessen brasilianisches Management bereits vor knapp 40 Jahren mit den Folterern der Militärdiktatur zusammenarbeitete, würden langfristig nicht mehr argentinische, sondern chinesische Autoteile verwenden.

Das EU-Mercosur-Abkommen ist ein neokoloniales, menschen- und umweltfeindliches Projekt, ja ein einziger Anachronismus – und deswegen wird es scheitern.

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