Streitgespräch: „Die Polizei darf auch nicht foltern“

In Schleswig-Holstein werden immer wieder Regionen zu „Gefahrengebieten“ erklärt. Polizistin Simone Lange (SPD) verteidigt diese Praxis, der Piraten-Abgeordnete Patrick Breyer will sie rechtlich überprüfen.

Bild: dpa

Herr Breyer, wollen Sie die Polizei abschaffen?

Patrick Breyer: Nein, wir wollen, dass die Polizei da ist, wenn wir sie brauchen, dass sie uns aber auch in Ruhe lässt, wenn wir sie nicht brauchen.

Frau Lange, bei Ihnen kam es anders an – Sie haben es Herrn Breyer vorgeworfen.

Simone Lange: Ich gebe zu, das war etwas überspitzt. Aber die Frage sei erlaubt: Welche innere Sicherheit wollen die Piraten, welche Politik verfolgen sie?

Erklären Sie es uns, Herr Breyer?

Breyer: Die Polizei wurde ausgedünnt. Stellen wurden gestrichen, gleichzeitig sind die Befugnisse ausgeweitet worden. Wir wollen lieber mehr Personal auf der Straße anstelle immer neuer Befugnisse, die kaum Nutzen bringen, wie Videoüberwachung, Gefahrengebiete, Vorratsdatenspeicherung.

Lange: Die Behauptung, wir würden Instrumente der Überwachung einsetzen, um Personal zu sparen, stimmt einfach nicht. In diesen so genannten Gefahrengebieten gibt es Anhalte- und Sichtkontrollen, um Straftaten aufzuklären.

37, ist justizpolitischer Sprecher der Piratenfraktion im Kieler Landtag und sitzt im Wirtschaftsausschuss. Fraktionsintern ist er Fachmann für die Themen Polizei und innere Sicherheit. Über die Vorratsdatenspeicherung hat er promoviert. Breyer, der seit 2006 den Piraten angehört, ist Jurist und stammt von der Westküste. Im Juni wurde bekannt, dass Breyer polizeiinterne Dokumente über Ermittlungen im Rockermilieu im Intrenet veröffentlich hatte - versehentlich, wie er sagt.

Herr Breyer, Sie haben angeboten, die Frage juristisch überprüfen zu lassen – das war ja eher eine Drohung?

38, ist polizei-politische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Die Flensburgerin war vor ihrem Einzug in den Landtag als Kriminalpolizistin tätig. Sie ist verheiratet und Mutter von zwei Kindern. In der SPD ist sie seit 2003 in verschiedenen kommunalpolitischen Funktionen aktiv.

Breyer: Das Gesetz erlaubt, in weiten Gebieten Schleswig-Holsteins unbescholtene Personen zu kontrollieren. Das halten wir für grundrechtswidrig. Darum werbe ich dafür, wenn wir diesem ineffizienten Instrument politisch nicht beikommen, es juristisch zu tun.

Lange: Sie sagen, dass es ineffizient ist. Wir können das gern überprüfen – aber Sie beantragen, das ganze Instrument zu streichen. Was denn nun, Streichung oder Prüfung? Und wenn es gestrichen wird, wie wollen Sie die Polizei ausstatten? Anderes Beispiel: Vorratsdatenspeicherung. Wir hatten sie mal und haben erfahren, dass sie wirkt.

Zur Vorratsdatenspeicherung gibt es in der SPD und im Regierungsbündnis Konflikte. Innenminister Andreas Breitner geriet in die Kritik, weil er gesagt hat, fachlich stehe er für das Eine, politisch tut er das Andere. Ist das für Sie schwierig?

Lange: Ich habe selbst als Polizistin mit der Vorratsdatenspeicherung gearbeitet und befürworte sie. Auf der anderen Seite bin ich Mitglied der SPD und halte mich an den Koalitionsvertrag.

Breyer: Es gibt Grenzen, die die Verfassung und die Grundrechte auferlegen – die Polizei darf auch nicht foltern. Durch Vorratsdatenspeicherung hat sich die Aufklärungsquote nicht verbessert – und auch nicht verschlechtert, nachdem sie gestoppt wurde.

Lange: Aber Daten werden nach wie vor gesammelt, weil die Provider sie speichern – allein für ihre Buchhaltung und das Finanzamt. Es ging nur darum, diese Daten in Händen privater Provider einheitlich zu regeln. Auch heute kann die Polizei darauf zurückgreifen.

Breyer: Es stimmt nicht, dass Vorratsdatenspeicherung nur die Abrechnungsdaten betrifft. Eingehende Anrufe oder Einzelanrufe bei Flatrate-Verträgen müssen nicht zur Abrechnung gespeichert werden. Durch die Speicherung entsteht eine zusätzliche Datenbank.

Zurück zu den Gefahrengebieten: Frau Lange, haben Sie kein seltsames Gefühl bei dem Gedanken, dass man einfach so angehalten und überprüft werden kann?

Lange: Wenn es so wäre, wäre es in der Tat seltsam. Aber es gibt enge Grenzen, dieses Instrument anzuwenden. Die Polizei muss es begründen und Prognosen erstellen. Wenn ich Bandenkriminalität unterbinden möchte, dann muss ich dieses Instrument zur Gefahrenabwehr anwenden. Es gibt keine Gesellschaft ohne Straftaten, und es gehört mehr als Polizei dazu, um Straftaten zu verhindern. Also stellt sich die politische Frage: Wie umgehen mit Instrumenten, die in Grundrechte eingreifen? Ich habe nie gesagt, dass es triviale Eingriffe sind. Aber ich lasse nicht gelten, dass die Maßnahme wirkungslos ist. Im Instrumentenkoffer der Polizei liegen mehrere Dinge, unter denen ich gehalten bin, das mildeste zu wählen. Hier bringen mich die Piraten in Rage, die suggerieren, wir würden die Mittel auch noch illegitim anwenden.

Bei den bekannt gewordenen Fällen ging es nicht um konkrete Taten, sondern ganze Regionen, etwa Neumünster, wurden für Monate zum Gefahrengebiet erklärt. Und der Erfolg? In Hamburg wurde ein Mensch mit einer hochgefährlichen Klobürste gefunden.

Lange: Hamburg ist nicht Schleswig-Holstein. Wir haben andere und zwar strengere Voraussetzungen für Gefahrengebiete. Richtig ist, dass die Länge zu hinterfragen ist. Aber hier hat der Innenminister angekündigt, er wolle künftig unterrichtet werden. Das Gesetz sagt: 28 Tage, eine Verlängerung, dann muss ein Gericht eingeschaltet werden.

Herr Breyer, in Hamburg war der Protest groß, in Schleswig-Holstein passierte nichts – laufen Sie mit Ihren Forderungen ins Leere?

Breyer: Ich glaube, dass die Leute es in Hamburg anders gespürt haben. Die Gebiete wurde abgesperrt, es wurde kontrolliert, wer rein- und rausgegangen ist. Bei uns unterschied es sich nicht von normaler PKW-Kontrolle, nur dass auch in Kofferräume und Taschen geschaut wurde.

Dann würden Sie Frau Lange Recht geben, die sagt, das Mittel sei milde angewendet worden?

Breyer: Frau Lange vermischt zwei Dinge. Es gibt bestimmte Befugnisse an Orten, an denen Straftaten drohen, doch das ist normale Gefahrenabwehr. Wir wenden uns gegen das Gesetz, das vorsieht, dass aufgrund polizeilicher Erkenntnisse beliebige Personen angehalten werden dürfen. In einem ganzen Gebiet. Und ohne Prognose. Hier ist ein grundsätzlicher Unterschied: Die SPD will einen Präventionsstaat aufbauen, wir Piraten sind dagegen, im Nebel zu stochern. Der Innenminister sagt, wir müssten begründen, warum wir der Polizei Rechte nehmen wollen – das hat mich erschüttert. Wir sagen: Der Staat muss begründen, warum er unsere Rechte als Bürger einschränken will.

Frau Lange, wer muss einen Eingriff begründen?

Lange: Der Gesetzgeber, da sind wir einer Meinung. Aber wir haben einen Instrumentenkoffer, den ich, den die SPD für ausgewogen hält, auch um präventiv Straftaten zu verhindern. Wenn ich die Gefahr der Straftat nicht eingedämmt habe, ist es sinnvoll, die Maßnahme zu verlängern.

Breyer: Straftaten werden immer stattfinden – trotz Gefahrengebieten. Sie sagen: Das Gefahrengebiet hat nichts geändert, daher bleibt es – das ist die Quintessenz der Innenpolitik der letzten Jahrzehnte: Das Instrument hat nichts bewirkt, also brauchen wir mehr davon. Wir Piraten sehen es umgekehrt: Wenn etwas nichts bringt, dann müssen wir etwas anderes versuchen.

Piraten machen eine Anfrage nach der andren – nervt das, oder freut Sie das Interesse?

Lange: Es ist ein Wust von Anfragen. Natürlich ist legitim, aber – und da schließt sich der Kreis – ich erkenne keine Linie bei den Piraten. Heute fragen sie nach Schusswaffen, morgen nach der Straffälligkeit von Polizisten …

Breyer: Gute Idee, gute Frage!

Lange: Ich bin weit entfernt zu sagen, dass es nervt, sondern gespannt, was die Piraten noch wissen wollen – ich erzähle auch gern was aus meinem Arbeitsalltag.

Um Gefahrengebiete und den „Instrumentenkoffer“ der Landespolizei sprechen und streiten am Dienstag, 10. September, ab 19 Uhr in der „Pumpe“ in Kiel Innenminister Andreas Breitner, Patrick Breyer, der Innenexperte der Piraten-Landtagsfraktion, Burkhard Peters (Grüne) und Gunda Diercks-Elsner, Rechtsanwältin und Demobeobachterin der Humanistischen Union
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