Streitgespräch zu Stuttgart 21: „Es geht nicht um ein Versailles“
Grünen-Chef Cem Özdemir und CDU-Landesvorsitzender Thomas Strobl über den Bahnhofsbau, Kostensteigerungen und deutsche Ingenieure.
taz: Herr Özdemir, Herr Strobl, Stuttgart 21 ist seit 1994 öffentlich im Gespräch. Es gab Parlamentsbeschlüsse, Gerichtsurteile, Demonstrationen, Verträge, eine Schlichtung, ein Volksentscheid. Nervt das Thema langsam?
Cem Özdemir: Ich weiß, dass viele genervt sind, vor allem die, die das Projekt wollen. Aber so kann es nicht weitergehen. Wir haben ein Loch mitten in der Stadt, zwei Seitenflügel des alten Bahnhofs sind abgerissen, und obwohl noch kein Meter Tunnel gebaut wurde, haben sich die erwarteten Kosten schon verdoppelt. Ich fürchte, dass das in einem gewaltigen Schlamassel endet, wenn wir jetzt nicht neu nachdenken.
Thomas Strobl: Mich nervt, dass dieses Projekt angezweifelt wird, obwohl es die höchste politische Legitimation hat, die es überhaupt gibt, nämlich ein Volksentscheid. Außerdem haben alle Parlamente, vom Landtag bis zum Bundestag, zugestimmt. Wir müssen in Deutschland auch mal sagen können: Jetzt ist entschieden, also machen wir es so.
Özdemir: Ich nehme die Bundeskanzlerin beim Wort: Stuttgart 21 wird gebaut, solange es wirtschaftlich ist. Das ist es aber nicht. Das wissen selbst die Bahn und ihr Aufsichtsrat. Und die wahren Kosten werden doch immer weiter steigen. Mir geht es um Stuttgart und einen gut funktionierenden Bahnhof. Deshalb bin ich dafür, dass der Bundesrechnungshof als unabhängige Instanz ohne politischen Druck die Kosten von Stuttgart 21 und von Alternativen prüft. Parallel dazu verzichten Bahn, Stadt und Land gegenseitig auf mögliche Klagen oder Schadenersatzforderungen. Wir einigen uns darauf, dass wir den Konflikt nicht vor Gericht austragen werden. Zudem versichern alle Projektpartner: Das Geld, das bereits im Topf ist, bleibt für mögliche Alternativen im Topf.
Herr Strobl, wie klingt das für Sie?
Strobl: Das ist eine Pippi-Langstrumpf-Argumentation nach dem Motto: Jetzt mach ich mir die Welt, wie sie mir gefällt. Bei der Bahn gibt es für die Überprüfung der Zahlen ein Gremium, den Aufsichtsrat. Der wird am 5. März eine Entscheidung treffen. Im Übrigen hat die Bevölkerung in Baden-Württemberg im November 2011 mit großer Mehrheit entschieden, dass sie diesen Bahnhof möchte. Sie sind doch sonst so sehr für Bürgerbeteiligung, Herr Özdemir. Dann müssen Sie das Votum auch akzeptieren. Stuttgart 21 wird gebaut und das ist eine gute Sache für unser Land.
Cem Özdemir, Jahrgang 1965, ist neben Claudia Roth Bundesvorsitzender der Grünen und Bundestagsabgeordneter. Der Sozialpädagoge und Journalist stammt aus dem baden-württembergischen Urach. Özdemir gilt als Gegner des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21.
Thomas Strobl, Jahrgang 1960, ist Landesvorsitzender der CDU in Baden-Württemberg, Bundestagsabgeordneter und seit Dezember 2012 einer von fünf stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU. Der Rechtsanwalt stammt aus Heilbronn. Strobl zählt zu den Befürwortern des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21.
Der Kostenstreit: Am Dienstag entscheidet der Aufsichtsrat der Bahn, ob er einer Erhöhung des Finanzrahmens der Bahn um 2 Milliarden Euro für Stuttgart 21 zustimmt. Nach einem Spiegel-Bericht will das Gremium dem Projekt nur zustimmen, wenn sich die Bahn verpflichtet, das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart auf eine Beteiligung an den Mehrkosten zu verklagen. Die Kosten des Bahnhofs könnten laut Bahn auf bis zu 6,8 Milliarden Euro steigen. Finanziert wird Stuttgart 21 von Bahn, Bund, Baden-Württemberg und Stuttgart. Baden-Württemberg und Stuttgart lehnen eine Beteiligung an den Mehrkosten ab. (taz)
Özdemir: Die Volksabstimmung akzeptieren wir doch, im Guten wie im Schlechten. Aber worüber haben wir abgestimmt? Genau genommen, darüber, wie viel Geld das Land ausgeben soll. Bestandteil war ein Kostendeckel. Die klare Aussage der BürgerInnen war: Sie zahlen keinen Cent mehr. Also dürfen wir die Mehrkosten jetzt nicht mittragen.
Herr Strobl, Ihr Exministerpräsident Stefan Mappus hat gesagt: Wenn Stuttgart 21 teurer als 4,5 Milliarden Euro wird, dann wird es nicht gebaut. Es wird teurer werden. Stehen Sie noch zu dem Wort?
Strobl: Zunächst hat die Bahn Kostensteigerungen in Milliardenhöhe zu verantworten, die muss sie zahlen. Es gab allerdings auch eine Bürgerbeteiligung, den sogenannten Filderdialog, die Verbesserungen wollte. Da kann das Land jetzt nicht sagen: Wir zahlen nichts.
Özdemir: Da geht es nur um einen Bruchteil der Mehrkosten. Aber erst muss doch die Gesamtfinanzierung des Projekts stehen.
Egal, was Stuttgart 21 kostet, es wird gebaut?
Strobl: Was die Kosten angeht, bin ich auch nicht schlauer als Sie. Deshalb sage ich, dass die Bahn jetzt alles transparent machen muss, es dürfen nicht scheibchenweise Informationen bekannt werden. Klar ist aber auch: Vor allem Verzögerungen kosten Geld. Es muss Schluss damit sein, dass die Regierung in Baden-Württemberg das Projekt hintertreibt und verteuert. Mit Winfried Hermann sitzt da ein grüner Verkehrsminister, der mit der geballten Kraft seines Ministeriums jeden Tag gegen das Projekt wütet. Und Sie sitzen hier mit Krokodilstränen und jammern über Kostensteigerungen.
Özdemir: Das ist Ihre Propaganda. Der Projektsprecher von Stuttgart 21 sagt doch, die Verzögerungen lägen am Eisenbahnbundesamt, für das übrigens Herr Ramsauer zuständig ist. Und auch die Bahn hat ihren Vorwurf zurückgenommen, die Stadt Stuttgart oder das Land würden das Projekt verzögern oder sabotieren. Stuttgart 21 ist ein Überbleibsel der Ära Ihres abgewählten Ministerpräsidenten Stefan Mappus, für den Geld keine Rolle spielte.
Strobl: Stefan Mappus hat das Projekt nicht initiiert, sondern übernommen.
Özdemir: Und dann von 5 auf 4,1 Milliarden Euro schönrechnen lassen.
Strobl: Das ist eine dümmliche Polemik! Das Volk hat entschieden, dass Stuttgart 21 gebaut wird.
Özdemir: Ich nehme zur Kenntnis, dass die BürgerInnen entschieden haben, keinen Cent mehr zahlen zu wollen.
Strobl: Am Ende werden Sie mit Ihrer schönsten Krawatte bei der Eröffnung dabei sein.
Özdemir: Ja, bei der Eröffnung eines modernisierten Kopfbahnhofs, wenn der die nachweislich bessere und wirtschaftliche Alternative ist.
Herr Strobl, können Sie das Angebot von Herrn Özdemir annehmen?
Strobl: Ich erkenne da kein Angebot. Der Bahnhof wird gebaut. Das sollten Sie nicht ideologisch überhöhen. Es geht nicht um die ganze Welt, sondern um einen Bahnhof.
Özdemir: Richtig, es geht nicht um ein Schloss Versailles, sondern um einen funktionierenden Bahnhof. Wir haben heute bereits eine Verdopplung der ursprünglichen Kosten. Das macht Ihnen wirklich keine Sorgen?
Strobl: Auch der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner von der SPD hat kürzlich darauf hingewiesen: Wenn ein Projekt zehn Jahre länger dauert, wird es doppelt so teuer. Sagen Sie Ihrem grünen Verkehrsminister, er soll aufhören, das Projekt zu verzögern.
Özdemir: Sie haben schlicht das Problem, dass Sie zu den Projektbefürwortern gehören und jetzt eigentlich irgendwie erklären müssten, warum Sie Ihre Position revidieren.
Herr Strobl, gibt es für Sie ein Moment, an dem Sie sagen würden: Jetzt brechen wir ab?
Strobl: Ich sehe keine Alternative zu Stuttgart 21. Wenn man jetzt aufhört, dann hinterlässt man ein Chaos. 10, 20 Jahre Stillstand. Baden-Württemberg wird vom europäischen Verkehrsnetz abgekoppelt. Das halte ich für grob verantwortungslos.
Herr Özdemir, wann würden Sie sagen: Jetzt bauen wir eben Stuttgart 21?
Özdemir: Es muss eben wirtschaftlich sein. Ich halte nichts davon, von Alternativlosigkeit zu sprechen. Was wir brauchen, ist ein vernünftiger Verkehrsknoten mit einer Neubaustrecke nach Ulm.
Ist es für Sie alternativlos, gegen Stuttgart 21 zu sein?
Özdemir: Wenn die Bahn beschließt, dass sie stur bleibt, und die Bundesregierung das unterstützt, dann werden demnächst die ersten Tunnel gebohrt. Dann kommen wir an einen Punkt, an dem eintritt, was die Bahn schon heute zu Unrecht behauptet: dass ein Ausstieg nicht mehr vernünftig darstellbar ist. Aber heute sind wir noch nicht an dem Punkt. Wenn Herr Strobl meint, er habe Recht, dann dürfte er doch vor dem Bundesrechnungshof keine Angst haben.
Strobl: Natürlich habe ich keine Angst, aber Ihnen geht es doch nur darum, neuen Sand ins Getriebe zu streuen …
Özdemir: Mir geht es um Stuttgart.
Strobl: … nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass der Aufsichtsrat entscheidet.
Özdemir: Und der wartet auf ein Signal von Ihnen, da sitzen doch nicht nur Fans von Stuttgart 21.
Strobl: Es ist Unsinn zu glauben, dass die Aufsichtsräte auf Signale warten und ihre Arbeit nicht unabhängig erledigen.
Hat der Aufsichtsrat sein Vertrauen verwirkt, wenn er all die Jahre lang nichts von den Kostensteigerungen mitbekommen hat?
Strobl: Noch einmal: Alle zehn Jahre verdoppeln sich nun mal die Kosten. Ich habe daran auch keine Freude. Auf der anderen Seite habe ich die Zuversicht, dass deutsche Ingenieure solche Großprojekte bauen können.
Özdemir: Schieben Sie es nicht auf die Ingenieure! Die können’s. Bei Stuttgart 21 handelt es sich ausschließlich um Politikversagen.
Immerhin, ein Konsens. Sie glauben beide an deutsche Ingenieurskunst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos