Streit zwischen Tschechien und Russland: Prager Denkmalsturz
Bezirksbürgermeister Ondřej Kolář lässt die Statue eines Sowjetmarschalls abräumen – Moskau droht. Jetzt steht Kolář unter Polizeischutz.
Auf einmal ging dann alles ganz schnell. Im Schatten des Corona-Lockdowns und unter dem Beifall der Anwohner am Platz der Interbrigaden, fiel der Marschall nach knapp zwei Stunden Rumruckeln morgens um zehn.
Jetzt wartet die drei Meter hohe Bronzefigur in einem Depositarium irgendeines böhmischen Dorfes auf seine weitere Bestimmung: als erstes Ausstellungsstück ist Konew schon dem geplanten Museum des 20. Jahrhunderts gewidmet worden. Stattdessen soll in Prag 6 ein einfaches Denkmal zur Befreiung Prags 1945 aufgestellt werden.
Das hatte der Stadtrat des Bezirks schon im vergangenen Spätsommer beschlossen. Die Mehrheit, die Konew museumsreif machte, war dabei mit 33:1 ziemlich eindeutig. Damals, im August und September, hatte sich die Front, die tschechische Gesellschaft 75 Jahre nach Kriegsende in zwei feindliche Lager teilt, um das Konew-Denkmal herum gebildet. Über Wochen hinweg kämpften hier Stammtisch und Kaffeehaus mal wieder darum wer Recht hat.
Zwei Lager
Dieses Mal ging es um Konew, seine Rolle als Befreier Prags und Kriegsheld (Lager Stammtisch), aber auch bei der brutalen Niederschlagung des Ungarn-Aufstands 1956 und bei den Vorbereitungen der Invasion zur Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 (Lager Kaffeehaus).
Den Anlass hatte eine nächtliche Farbbeutel-Attacke auf die Statue gegeben, die die Diskussion um die Konew-Statue, die seit Jahren im Bezirk vor sich her schwelte. In diesen Sommer muss bei der Denkmalschlacht besonders hart und dramatisch zugegangen sein.
Kolář sah in ihnen jedenfalls das Signal, den entscheidenden Angriff auf Konew zu eröffnen. „Das Denkmal lässt die Emotionen noch immer hoch kochen, es hat hier einfach nichts mehr zu suchen“, schimpfte Kolař damals. Und ließ abstimmen. „Natürlich wisse Prag 6 um die Opfer, die die Rote Armee während der Befreiung gebracht hat“, betont er seitdem immer wieder.
Dann das Aber: „Man muss auch dazu sagen, dass die Rote Armee Terror mit sich gebracht hat. Konkret in Prag 6 wurden unsere Nachbarn verhaftet, die in den 20er Jahren vor dem stalinistischen Terror aus Russland hierher geflüchtet sind“.
Nerviger Promi-Sohn
Unerwartete Unterstützung erhielt Kolář im Sommer aus Řeporyje, einem eingemeindeten Dorf im Südwesten, da wo Prag zu Böhmen wird. Hier ist das Reich von Pavel Novotný. Trotz seiner Anfänge als nerviger Promisohn, hat er sich seinen Ruf als enfant terrible der tschechischen Unterhaltungsszene in harter Arbeit verdient.
Als Rampensau des Boulevardjournalismus pflegte er nicht nur freche Reden und stellte die Klatschindustrie samt ihrer Stars und Sternchen bloß, sondern streckte, auch mal seinen nackten Hintern in eine Kamera.
Vor ein paar Jahren beschloss er, seine Talente in der Politik einzubringen und wurde Bürgermeister von Řeporyje. Dort wäre es am 5. Mai 1945 fast zu einem Massaker an der Zivilbevölkerung gekommen, wäre nicht zufällig der Anti-Konew der Geschichtsschreibung gerade im Dorf gewesen: Andrei Andrejewitch Wlassow samt Armee.
Der gefallene General, in Russland bis heute als Kollaborateur verachtet, kam Novotný in den Sinn, als Ondřej Kolář ein paar Kilometer weiter nördlich gerade am Sockel Konews sägte. Und da der 39-Jährige Tabus als Herausforderung sieht, hatte er eine Idee: Wir bauen Wlassow und seiner Armee ein Denkmal dafür, dass sie uns befreit haben. Und er ließ abstimmen. Während Prag 6 entschied, Konew zu stürzen, beschloss Řeporyje, 13. Bezirk, die Wlassow-Armee hochleben zu lassen.
Unter Polizeischutz
Heute stehen Ondřej Kolář und Pavel Novotný unter Polizeischutz. Den Shitstorm nach dem Denkmalsturz, habe er ja erwartet, meinte Kolář vor einem Monat noch lässig, als die ersten Folterphantasien und Morddrohungen auf seinen social media-Kanälen aufgetaucht waren. Inzwischen war aber der russische Bär aufgewacht und stürmte hinter den Stöckchen her, die Kolář und Novotný ihm hin geworfen hatten.
Protestnoten aus Moskau und vom Botschafter wechselten mit öffentlichen Wuttiraden, in denen Außenminister Lawrow und Verteidigungsminister Schoigu um die Wette schimpften. In Moskau und Petersburg kam es zu heftigen Protesten und Brandbombenanschlägen auf tschechische Vertretungen.
Bei all dem Volkszorn musste Präsident Wladimir Putin sich aufmachen, um die russische Ehre retten. Am 7. April, vier Tage nach dem Prager Denkmalsturz, unterzeichnete er ein Gesetz, das die Schändung von Kriegsdenkmälern mit bis zu fünf Jahren Straflager ahndet. Das Gesetz wurde als rückwirkend beschlossen und bezieht sich auch auf Kriegsdenkmäler im Ausland. Andernfalls hätte Verteidigungsminister Schoigu ja keine Strafanzeige gegen Ondřej Kolář stellen können.
Die Posse hat Ondřej Kolář und Pavel Novotný nun zu Hauptdarstellern gemacht. Der Diplomatensohn Kolář, der in Dublin und Washington studiert hat gilt als Hoffnungsträger der kleinen, pro-europäischen TOP 09. Mit seiner Drahtbrille und dem sensiblen Kurzhaarschnitt wirkt Kolář immer ein bisschen wie ein Konfirmand aus gutem Hause.
Vornehmes Gegenstück
Er ist das vornehme, gutbürgerliche Gegenstück zu Pavel Novotńy mit seinem wilden, dunklen Schopf dem Vollbart und dem Bierbauch. Was sie eint und mit dem Kaffeehaus-Lager der tschechischen Gesellschaft verbindet, ist eine abgrundtiefe Verachtung für alles Russische.
Sollten Kolař und Novotný mit ihren Denkmalaktionen im Sinn gehabt haben, der Welt die Russen so vorzuführen, wie sie sie sehen – übergriffig und bedrohlich – haben sie das ganz wunderbar geschafft. Und das alles nur, weil ein Bronzedenkmal aufgrund einer demokratischen Entscheidung in ein Museum verfrachtet wird.
So ganz überraschend mag das für Ondřej Kolář nicht gekommen sein. Sein Vater, Petr Kolář, war ein recht prominenter Diplomat. Heute leitet er den Think-Tank “Europäische Werte“, der sich zur Aufgabe gesetzt hat, den russischen Einfluss im Land zu analysieren, um dann davor zu warnen.
Was aber selbst ein professioneller Russland-Mahner wie Kolář kaum ahnen konnte, war die Eilmeldung, die das Magazin Respekt vergangene Woche verbreitete: ein Killerkommando des Militärgeheimdienstes GRU sei auf dem Weg in die Prager Stadtbezirke. Mit Ricin im Koffer. Moskau reagierte promt und wies die Mordabsichten in einer weiteren diplomatischen Note empört zurück.
Feierlicher Baubeginn
Dennoch hat die Polizei Kolář und Novotný bis auf weiteres unter Polizeischutz gestellt. Und den Prager Oberbürgermeister Zdeněk Hřib gleich mit. Warum Hřib ist zwar nicht ganz klar. Er sei jedenfalls bereit, für die Demokratie zu sterben, erklärte er dramatisch in einem Interview mit der Deutschen Welle.
Pavel Novotný machte Moskau bereits klar, was er von Ricin und russischen Killerkommandos hält: er lud nach Řeporyje zum feierlichen Baubeginn des Wlassow-Denkmals.
Die Gedenktafel mit den Namen der Gefallenen steht bereits. Neben dem Abzeichen der Wlassow-Armee ziert sie ein Zitat des russischen Schriftstellers Alexandr Solschenyzin: „Ob wohl alle Tschechen verstanden haben, welche Russen ihre Stadt befreiten?“
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