Streit ums Turbo-Abi: SPD will Schulen befragen
Schulsenator Ties Rabe will von den Schulkonferenzen der Gymnasien wissen, ob sie zum Abi nach neun Jahren zurückkehren wollen. Dann sehe man weiter
HAMBURG taz | Der Vorschlag der SPD an die Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ entpuppte sich als unspektakulär. „Wir werden die Gymnasien bitten, in ihrem Schulkonferenzen ein Meinungsbild zu erstellen“, sagte Schulsenator Ties Rabe. Bis Ende Mai solle klar sein, ob man dort zu einer neunjährigen Gymnasialzeit (G9) zurückkehren möchte oder nicht. Mit dem Ergebnis werde man dann umgehen, sagte Rabe.
Die Schulkonferenz ist das höchste demokratische Gremium einer Schule, das paritätisch mit Eltern, Lehrern, Schülern und Schulleitung besetzt ist. Rabe werde ihnen einen Brief schreiben und das Informationspapier mit der Forderung der G-9-Initiative beilegen. Auf weitere „wertende Argumentationspapiere“ werde man laut Rabe verzichten. Es gebe, anders als in Niedersachsen, unterschiedliche Meinungen. Zwar gebe es eine „Bauchgefühl“-Mehrheit der Bevölkerung, aber so ein umfassender Eingriff könne nicht die Beteiligten stattfinden. Details der Umfrage werde man noch mit der Initiative besprechen.
Deren Sprecherin Mareile Kirsch sagte im Anschluss an die gestrige Verhandlungsrunde mit der SPD: „Wir haben dem nicht zugestimmt, sondern darum gebeten, darüber mit unseren Mitstreitern zu beraten.“ Rabes Vorschlag bedeute, „dass G8-Befürworter G8-Befürworter befragen“. Am Freitag will die Initiative eine Pressekonferenz geben.
Beide Seiten haben sich davon verabschiedet, sich noch bis zum Ablauf der Anmeldefrist für das Volksbegehren im April zu einigen. Falls doch, so SPD-Fraktionschef Andreas Dressel, könne das Volksbegehren, für das im September binnen drei Wochen rund 65.000 Unterschriften gesammelt werden müssen, jederzeit gestoppt werden.
Das Vorgehen der SPD dürfte im Sinne der Vereinigung der Gymnasialschulleiter sein, die Dienstag in einem Offenen Brief vor einem Kompromissangebot gewarnt hatten. Dies sei keine Schadensberechnung, sondern lediglich der „vorgezogene Maximalschaden“ für den Fall, dass die Initiative ihren Volksentscheid gewinne. G9 fände an den Stadtteilschulen statt und sei an den Gymnasien „nicht erwünscht“. Auch die Elternkammer warnte vor einer Rückkehr zum G9, weil es zu falschen Prioritäten führe, sagte der Vorsitzende Gerrit Petrich. Die Eltern seien in Sorge, dass Finanzmittel in Richtung der Gymnasien umgeschichtet werden, die für die Verbesserung der Schulqualität, der Inklusion sowie der Mittelstufe der Stadtteilschulen viel dringender gebraucht werden. Und die Schülerunion appellierte an Rabe, doch bitte die Schüler zu fragen, was sie wollen.
Vor drei Jahren vereinbarten alle Fraktionen im Parlament, zehn Jahre lang keine neue Schulreform zu machen – und jetzt sei man genötigt, auf die Initiative zu reagieren. Es dürfe aber keine Einzelverhandlungen der SPD-Mehrheit mit der Initiative geben, sagte CDU-Fraktionschef Dietrich Wersich gestern in der Bürgerschaft: „Wir brauchen den Konsens in dieser Stadt.“
Das zumindest war Konsens im Parlament. „Wir haben kein Interesse an einem neuen Schulkampf“, sagte Dressel. „Bloß nicht schon wieder eine überhastete Schulreform“, mahnte der Grüne Jens Kerstan. Die Wiedereinführung von G9 an Gymnasien „darf nur flächendeckend geschehen, sonst nicht“, sagte Dora Heyenn von der Linkspartei. Und auch Anna von Treuenfels (FDP) forderte „Kontinuität für das zweigliedrige Schulsystem“.
Lediglich der partei- und fraktionslose Abgeordnete Walter Scheuerl wiederholte seine bekannten Exzellenz-Visionen. Die gesamten fünf Minuten Redezeit, die ihm jetzt pro Sitzungstag zustehen, verbrauchte er mit der Mahnung, „nicht so emotional zu debattieren“. Weder Zustimmung noch Missfallen lohnte seine Worte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden