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Streit um Stuttgart 21Das Ländle will den Kompromiss

Geißlers Vorschlag zu Stuttgart 21 wurde allseitig belächelt. Jetzt zeigt eine Studie: 69 Prozent der Baden-Württemberger wollen, dass der Kombibahnhof ernsthaft verhandelt wird.

Trotz seiner verbalen Entgleisungen: Die Mehrheit im Ländle will Geißlers Vorschlag nicht gleich vor den Prellbock fahren lassen. Bild: dpa

BERLIN taz | Diese Studie spricht eine klare Sprache: Die Mehrheit der Baden-Württemberger befürwortet den Kompromissvorschlag von Heiner Geißler im Streit um Stuttgart 21. Das ergibt eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Infratest im Auftrag des Berliner Politikwissenschaftlers Peter Grottian. Demnach befürworten 51 Prozent der befragten Baden-Württemberger den Vorschlag Heiner Geißlers, in Stuttgart eine Mischform aus ober- und unterirdischem Bahnhof zu bauen. 36 Prozent lehnen diesen Vorschlag ab.

Noch deutlicher sind andere Zahlen: Ganze 69 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, dass die Streitparteien über den Vorschlag des Schlichters zumindest ernsthaft verhandeln sollten. Dies lehnen lediglich 26 Prozent der Befragten ab. Interessant ist, dass sich quer über die Parteigrenzen hinweg deutliche Mehrheiten für eine Verhandlung des Kompromissvorschlags von Heiner Geißler aussprechen.

So sind unter den befragten Sympathisanten der Grünen 83 Prozent der Ansicht, über Geißlers Vorschlag sollte ernsthaft verhandelt werden, unter SPD-Anhängern sind es 72 Prozent. Doch auch unter den befragten Anhängern der CDU sind 62 Prozent dafür, dass die Streitparteien unter Einbeziehung der Stuttgart 21-Gegner die von Heiner Geißler vorgeschlagene Alternative ernsthaft verhandeln. Nur 33 Prozent der CDU-Sympathisanten sprechen sich in der Umfrage dagegen aus.

Das Meinungsforschungsinstitut hatte vom 2. bis 4. August in einer repräsentativen Telefonumfrage 1.002 wahlberechtigte Baden-Württemberger zu Ihren Positionen im Streit um das Bahnhofsprojekt befragt.

Mehrheit der S21-Befürworter stabilisiert sich

Dabei erfragten die Meinungsforscher auch, wer sich nach Ansicht der Baden-Württemberger an einer Volksabstimmung zur Zukunft des Bauprojektes beteiligen sollte. Auch hier ist die Meinung einhellig: 63 Prozent der Befragten sind der Meinung, alle Baden-Württemberger sollten an der Volksabstimmung teilnehmen dürfen. 34 Prozent sind dagegen der Meinung, nur Bürger in Stuttgart und Umgebung sollten abstimmen dürfen.

Ungeachtet eines möglichen Kompromissvorschlags stabilisiert sich im direkten Vergleich zwischen ober- und unterirdischem Bahnhof allerdings die Mehrheit der Stuttgart 21-Befürworter. Direkt danach befragt, ob sie den Stuttgarter Tiefbahnhof eher bauen oder lieber aus dem Projekt aussteigen würden, befürworteten 59 Prozent der Befragten den Bau. 31 Prozent sind der Meinung, aus dem Projekt sollte ausgestiegen werden.

In Auftrag gegeben hatte die Umfrage der Berliner Politologieprofessor Peter Grottian, der im Streit um das Bahnofsprojekt zu den Gegnern des geplanten Tiefbahnhofes zählt. Nach eigenen Angaben hatte Grottian die Studie aus eigenen Mitteln bezahlt, um zu ermitteln wie die Bevölkerung zu einem möglichen Kompromiss steht.

Nachdem auch die Auswertung des sogenannten "Stresstests", der das Ergebnis eines mehrmonatigen Schlichtungsverfahrens gewesen war, den Konflikt um das Bauprojekt nicht befriedet hatte, hatte der Schlichter Heiner Geißler zuletzt eine Kompromisslösung vorgeschlagen, wonach der Stutgarter Bahnhof aus einem ober- und einem unterirdischen Teil bestehen soll. Demnach soll der bestehende oberirdische Kopfbahnhof verkleinert und für den Regionalvekehr erhalten bleiben. Ein neuer Tiefbahnhof für den Fernverkehr soll zwar gebaut werden, mit vier Gleisen jedoch kleiner als geplant ausfallen und damit einen geringeren Eingriff in die Natur und eine Reduzierung der Kosten bewirken.

An der Entwicklung dieses Vorschlages war auch das renommierte Schweizer Verkehrsberatungsunternehmen SMA beteiligt. Öffentlich hatte Geißler, nicht zuletzt aufgrund einiger misslungener Auftritte, allerdings auch viel Hohn für seinen Kompromissvorschlag geerntet.

Grottian selbst sagte zu der Studie: "Die Umfrage zeigt den ganz starken Wunsch, in irgendeiner Form noch zu einem Kompromiss zu kommen. Ich hätte nicht erwartet, dass selbst die CDU-Wähler sich so eindeutig für einen Kompromiss aussprechen." Alle Beteiligten seien daher nun gefragt, Geißlers Kompromissvorschlag ernst zu nehmen.

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10 Kommentare

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  • BA
    Berthold Asche

    Die Grünen - Totengräber der Demokratie?

    Ich für mich bin zu der Auffassung gekommen, dass die Wandlung der ökologischen Bürgerbewegung in die Partei der "Grünen" ein entscheidender Fehler war. Die Parlamentarisierung der ökologischen – menschenrechtlichen Bewegung führte und führt zu einer Erstarrung und Verdrossenheit der Teilnehmer an der APO. Die Folge ist geistige und moralische Verarmung weiter Bevölkerungsschichten.

     

    Bis heute bleiben die Grünen die Antwort auf die Globalisierung des Kapitals schuldig. In Regierungsverantwortung betreiben sie diese sogar. Die Folge ist die Zunahme der Armut und die immanente Verletzung von Menschenrechten.

     

    Sogar der Verschleuderung von Menschenrechten machen sich die Grünen mitschuldig. Durch die Legitimierung der Teilnahme am Krieg hat die parlamentarisierte APO die pazifistische Position verloren und ist somit Verursacher des millionenfachen Leids.

     

    Die Relativierung aller politischen Forderungen auf ein "mehrheitsfähiges" Minimum führte bis vor kurzem (Stuttgart 21) zum schleichenden Tod der Demokratie. Die Hoffnung der Bügerprotestbewegung, nach der Wahl des "grünen" Ministerpräsidenten in BW, wird sich schnell als unhaltbar und der MP als Janusfigur erweisen. So ähnlich wie in Hamburg die Grünen alles verdorben haben, für das sie mal angetreten waren (Moorburg, Schulreform, Energiepolitik, Hafen, Elbvertiefung usw.)

     

    Ich frage mich seit einiger Zeit, ob die Grünen als bourgeoise Antwort auf die APO gegründet wurden, mit etwas ökologischem Tamtam, damit die "Protestwähler" sie wählen. Da alle in sie gesetzten Hoffnungen enttäuscht werden, tragen die Grünen nicht unerheblich Schuld daran, dass unsere Gesellschaft mangels Alternativen politisch verarmt.

     

    Einen Hoffnungsschimmer gibt es - der Bürgerprotest gegen Stuttgart 21, der trotz des grünen Ministerpräsidenten nicht beendet wird. Dieser außerparlamentarische Widerstand ist gut vorbereitet, fachlich besser aufgestellt, als die verantwortlichen Planer und auch einem Heiner Geißler (vielleicht ja auch nur ein Januskopf, wer weiß?) nicht erlegen.

  • P
    PeterWolf

    Werde ich es erleben, dass die Befürworter, genau die Bahnmanager und Politiker, mit ihrem persönlichem Einkommen/Vermögen haften für die Überschreitung des Budgets?

    Einfach so haften, wie jeder normaler (kleiner) Unternehmer?

    Wird es bei Stuttgart 21 doch wesentlich teurer, zahlen weder Mappus noch Grube.

    Deren Pensionen sind sicher, egal ob es ein Fiasko gibt.

     

    Und da liegt das Poblem:

     

    Diese Menschen müssen keine wirklich persönlichen Konsequenzen aus ihren (Fehl-)entscheidungen befürchten.

    Also wie in der DDR.

  • T
    Tanja

    Entschieden werden sollte erst, wenn wirklich alle Zahlen und Risiken analysiert wurden, vorher kann auch das Volk nicht entscheiden. Das bei diesem Stresstest wieder mal alles vertuscht wurde, wird sich doch wohl wenigstens bei den Journalisten rumgesprochen haben. Der Tiefbahnhof kann nicht mehr leisten als der Kopfbahnhof noch vor 20 Jahren geleistet hat, warum sollte man ihn bauen, bei dem Preis und den Risiken? Diese Frage ist noch immer nicht beantwortet. Wenn es denn wirklich ein Bahnhofsprojekt und kein Immobilienprojekt ist, wenn das Ziel wirklich die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur ist und nicht die Verbesserung der Gewinne der Immobilienspekulanten muss doch einfach die Frage geklärt werden, ob der Tiefbahnhof besser ist als der Kopfbahnhof. Leider wird der Vergleich zum zweitpünklichsten Bahnhof Deutschlands, dem Stuttgarter Kopfbahnhof, von der Bahn gescheut. Die ehemaligen Daimler-Manager bei der Bahn haben doch so offensichtlich andere Ziele als eine gute Bahninfrastruktur, dass ich nicht verstehe, dass Journalisten da nicht nachforschen anstatt irgendwelche Umfragen ohne weitere Information zu veröffentlichen. Das ist wirklich langweilig, wirkt eher manipulativ als informativ, also schlechter Journalismus.

  • S
    sillything

    Unterirdischer Taz-Artikel - mal wieder zum Thema S21.

    Ein Link zu einer Analyse des Stresstests von B. Palmer, den ich auch den Taz-Redakteuren, z.B. Ingo Arzt dringend mal empfehlen würde. Man kann auch differenziert und trotzdem verständlich und einladend über schwierige Sachverhalte sprechen. Spätestens seit eurem Stresstest-Gefasel gespickt mit lauter Halb-und Unwahrheitungen sowie unterlassenen Informationen habt ihr mich schwer enttäuscht.

     

    http://www.fluegel.tv/beitrag/1595

  • B
    Bürgerle

    Das war ja wieder klar.

     

    Wenn eine Umfrage belegt das eine Mehrheit sich mit dem Kombibahnhof anfreunden kann, heisst es natürlich von den S21 Fans gleich wieder, das die uralt ist oder eh nicht stimmen kann.

     

    Auseinander genommen wurde ohnehin gar nichts.

     

    Das einzige was man immer liest, sind verzweifelte Versuche von Befürwortern einen wirklich guten Kompromiss schlecht zu reden.

     

     

    In sozialen Netzwerken rühmen sich die Befürworter ja inzwischen offen damit, das es keinen Frieden geben darf. Denen ist einfach nicht mehr zu helfen. Da hat sich das ganze Gesindel aus der Immobilien- und Finanzbranche versammelt. Die fürchten scheinbar um ihre Provisionen. Völlig zurecht. Denn der Bürger hat das verlogene Spiel längst durchschaut.

     

    Deswegen wird der Kompromiss vom Volks präferiert.

  • I
    ich

    "BERLIN taz | Diese Studie spricht eine klare Sprache: Die Mehrheit der Baden-Württemberger befürwortet den Kompromissvorschlag von Heiner Geißler im Streit um Stuttgart 21"

     

    Diese Studie spricht keineswegs eine klare Sprache.

     

    -> Denn: Es sind nur max. 1002 Personen befragt worden!

     

    Für eine realistische Hochrechnungen auf die Gesamtbevölkerung (oder auch nur auf die, eines Bundeslandes) zu wenig Befragte - um solch eine Headline zu formulieren, auch wenn die Standards einer stastistischen Erhebung rechnerisch eingehalten worden sind (wovon ich mal ausgehe).

  • HS
    Hari Seldon

    Zum Vorschlag von Herrn Geissler: Ungefähr die Hälfte der Kosten wurden nicht berücksichtigt. Damit wäre die Kombilösung teurer als S21. Dazu kommt eine neue neue Planfeststellung: 10-15 Jahre Vezögerung. Weil wichtige Elemente wegfallen würden (reduzierter Leistungsumfang), würden Finanzierungspartner aussteigen. Auf gut Deutsch: Die Kombilösung ist nur eine Skizze (laut SMA-Chef), genauer gesagt eine Schnapsidee, und keine ernstzunehmende Alternative. Der grüne Verkehrsminister in BaWü hat die Kombilösung gerade letztes Jahr als "zu teuer" abgelehnt. Jetzt wäre nicht mehr teuer für die Grünen... Bitte, wer könnte noch diese Clowns ernst nehmen?

  • R
    rheinelbe

    Mehr Gutachten!

     

    Es sollte noch viel mehr Verhandlungsrunden auf Steuerzahlergeld geben!

    Jede Woche mindestens drei Mammut-Stresstests, dreiundvierzigtausend Obergutgegengutachten und 12 hoch zig Gegengutachten zum Stresstestobergutachten in der Anlage xyz-ungelöst und ...

     

    Anschließend bauen wir den Bahnhof in Absurdistan.

    Da können die Dauer-Demonstranten dann hinfliegen!

    Juchu!

  • RN
    Ralph Neuer

    Die Umfrage muss wohl relativ kurz nach der Stresstest-Präsentation erfolgt sein. Zwischenzeitlich ist die Kombi-Lösung auseinandergenommen worden, da diese sich technokratisch nur auf die Belange des Bahnhofsverkehrs konzentriert (und auch da - siehe Heimerl - Schwächen zeigt) und den Aspekt der Stadtentwicklung völlig außer acht lässt. Kombi ist vom Tisch. Nur dafür, dass Schwarz / Grün perspektivisch eine Machtoption haben, sollte sie nicht wiederbelebt werden.

  • R
    RLS

    Macht endlich den Volksentscheid.

    Und meiner Meinung nach sollte dieser Unterschrieben werden.

     

    Sollten die Baukosten nicht eingehalten werden,

    haften die Leute dafür, die für dieses Bauprojekt waren.

    Nur so kann man konservative Kopfnicker aus der CDU, FDP und SPD zu mündigen Bürgern erziehen.

     

    Lernen durch Schmerzen.