piwik no script img

Streit um Stuttgart 21Bahn rechnet Ausstiegskosten durch

Die Deutsche Bahn prüft offenbar, was es kostet, das Großprojekt S21 aufzugeben. Zugleich ermittelt sie mögliche Ansprüche gegen das Land Baden-Württemberg.

Noch hat die Bahn bei Stuttgart 21 das Signal nicht runtergelassen. Aber schon gibt sie die Schwäbische Hausfrau. Bild: imago/Action Pictures

STUTTGART taz | Der Streit um das Großprojekt Stuttgart 21 kommt neu in Schwung - und die Deutsche Bahn drängt auf eine Entscheidung. Nachdem der Konzern am Freitag Mehrkosten in Höhe von 370 Millionen Euro bestätigen musste, wurde am Sonntag bekannt, dass sich die Bahn zudem offenbar darauf vorbereitet, aus dem Bau des neuen Tiefbahnhofs auszusteigen.

Laut Spiegel lässt Bahn-Vorstand Volker Kefer detailliert ausrechnen, wie teuer ein Ausstieg für die Bahn wäre. Das Ergebnis solle auf der nächsten Aufsichtsratssitzung noch in diesem Jahr beraten werden.

Außerdem, so heißt es weiter, würden Bahn-Mitarbeiter seit Wochen mögliche Ansprüche des Unternehmens gegen das Land Baden-Württemberg ermitteln. In den noch anstehenden Auftragsvergaben würde "eine Sollbruchstelle für den Fall eines Projektabbruchs verhandelt". Dies zitiert das Magazin aus einem Konzernpapier.

Bereits am Freitag hatte Vorstandsmitglied Kefer nach der Sitzung des S-21-Lenkungskreises mehrfach betont, dass Stuttgart 21 kein Selbstläufer sei. "Wir halten die Lage in dem Projekt durchaus für angespannt." Wenn es nicht gelänge, die politische Komponente mit der vertraglichen zusammenzubringen, "haben wir alle miteinander ein Riesenproblem", sagte Kefer.

Die über das Projekt zerstrittene grün-rote Landesregierung müsse sich politisch klar für den Bau des Tiefbahnhofs aussprechen. Schon auf der Aufsichtsratssitzung im Juni hatte Kefer laut einem vom Spiegel zitierten Protokoll bezweifelt, dass mit der baden-württembergischen Landesregierung eine gütliche Einigung zu Stuttgart 21 zu erzielen ist. "Trotz eindeutiger Rechtslage" sei es "schwierig, ein Projekt durchzusetzen, bei dem die Unterstützung aller Vertragspartner nicht gegeben" sei.

Stress wegen Stresstest-Kosten

Am Sonntag dementierte ein Bahn-Sprecher jedoch, dass sich der Konzern auf einen Ausstieg vorbereite: "Der Vorstand der Deutschen Bahn ist unverändert fest entschlossen, Stuttgart 21 zu bauen", sagte er. Nach taz-Informationen war die Berechnung der Ausstiegskosten auch nicht Thema im S-21-Lenkungskreis. Das grün geführte Landesverkehrsministerium hielt sich am Sonntag auf taz-Anfrage mit einer Bewertung zurück. Man müsse sich nun genau anschauen, was die Berechnung bedeutet.

Klar ist aber, dass die Bahn zunehmend unter Druck gerät. Nicht nur, dass sie am Freitag die allgemeinen Mehrkosten bestätigen musste. Auch gelang es ihr nicht durchzusetzen, dass die aus dem Stresstest entstandenen zusätzlichen Kosten von mindestens 80 Millionen Euro mit einer extra Finanzierungsvereinbarung unter allen Projektpartnern aufgeteilt werden. Hier stellt sich nicht nur die Landesregierung quer.

Auch der Bund, die Region und die Stadt Stuttgart haben betont, dass sie keinen Cent zusätzlich für Stuttgart 21 bezahlen wollen. Die 80 Millionen Euro müssten Teil der bislang vereinbarten Gesamtkosten von maximal 4,5 Milliarden Euro sein. Bislang wurden für den Bahnhofsbau ohne die Mehrkosten offiziell 4,1 Milliarden Euro veranschlagt. Man rückt nun also immer näher an die Obergrenze heran.

Ende November sollen die Bürger Baden-Württembergs über die Finanzierungsbeteiligung des Landes abstimmen. Denkbar ist deshalb auch, dass die Bahn mit der Angabe von hohen Ausstiegskosten die Bürger dazu bewegen will, pro Stuttgart 21 zu stimmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • M
    Marcus

    Zum Thema Strestest solte den Bezahlen der ihn wollte. Wobei der ja das kleinste Problem ist denn jeder Tag den das Projeckt blockiert wierd, egal ob politisch oder durch Demonstrationen kostet Milionen. Nicht nur durch eventuelle Verzugsstrafen sondern schon wegen der Inflation bis zu einer halben Milion Täglich. (Annahme 3% Jährlich bei 4,5 Millarden Projektkosten).

  • A
    Anna

    spätestens seit der Schlichtung weiß jeder, dass die Bahn insbesondere Herr Kefer, nicht rechnen kann (Beispiel Rechenexempel bei der Schlichtung, wo kurzerhand durch Rundung Millionenkosten verschleiert wurden). Wenn jemand nachrechnen sollte, dann bitteschön nicht die Bahn.

    Warum die Kosten der zwingend notwendigen Nachbesserung der Pläne, die bei der Schlichtung herausgekommen sind (was sonst erst während des Baus wohl rausgekommen wäre) nicht die Bahn zahlen sollte, ist völlig unverständlich. Da nehmen schon andere Ingenieure der Bahn die Arbeit ab, richtig zu planen, und dann will die Bahn die zwingenden Nachbesserungen nicht zahlen? Das ist alles so unlogisch, merkt das keiner von den Journalisten?

  • G
    Gene

    Die Bahn sollte aus dem Projekt aussteigen. Bei einem feindseligen Auftraggeber kann das nichts werden. Die Millionen für den Stresstest den geplanten Projektkosten zuzuschlagen ist offensichtlich ungerecht. Schließlich hat nicht die Bahn die Bedingungen verändert.

    Setzt das Geld doch lieber für Infrastrukturprojekte in Norddeutschland ein, wenn es die Süddeutschen nicht wollen ...

  • C
    Chiemgauer

    Entschuldigung, aber der Schluß in ihrem Artikel, die Bahn überlege auszuszteigen, scheint mir ein wenig zu einfach.

    Für mich passt das eher in das Bild, welches die Bahn die ganze Zeit über zeigte: wahre Kosten verschleiern, oder klein rechnen. Ausstiegskosten dramatisieren und groß rechnen.

    Das passt auch prima zu dem Zeitplan der nächsten Wochen. In dieser Zeit soll die Volksabstimmung (eher: Volksveräppelung) statt finden. Dafür braucht die Bahn neue Munition, um mit Phantasiezahlen den Bürgern einzutrichtern, dass es billiger sei, weiterzubauen, anstatt endlich die Reißleine zu ziehen.

  • F
    F.Nguyen

    Reichlich verwirrend und nicht von dieser Welt scheint doch immer wieder die Reaktion der werten Gegnerschaft, obgleich seit Beginn des Projekts in den 90er Jahren völlig legitime Planfeststellungsverfahren mit öffentlichem Charakter statt fanden. Dies vermute ich als Schreiber nicht nur, nein, ich habe dies völlig öffentlich erlebt. Es ist schlichtweg absurd, einer Landesregierung der damaligen Zeit die Schuld in die politischen Schuhe zu schieben, die obendrein mehrheitlich gewählt wurde. Auch hat nicht nur das Land dieses Projekt legitimiert, der Bund hat ebenfalls die Weichen hierfür gestellt. (siehe hierzu die Enscheidungen aus dem Jahr 2009, bei denen auch die Abriss-und Umbaumaßnahmen ihre rechtliche Einstufung erhielten). Was für einen nicht Baden Württemberger oder Nicht-Stuttgarter krotesk und absurd anmuten muss, ist in der Landesmetropole Woche für Woche Realität: Chronisches "Dagegen" Rufen wider jeglicher Kompromisshaltung zu einem Projekt, aus dem man nicht einfach aussteigen kann, wie aus einer Mitgliedschaft im örtlichen Kegelverein. Der Eindruck, die Mehrheit sei absolut gegen ein solches Projekt trügt indes - Befürworter haben schließlich keinen Grund auf die Straße zu gehen, daher sieht man sie auch nicht en masse in der Presse. Ob die Mehrkosten überraschend kamen? Sicher nein - gab es in der Vergangenheit vergleichbare Projekte diesen Ausmaßes, die finanziell und zeitlich eine Punktlandung hingelegt haben? Auch hier: Nein! Über die Kosten für Sicherheit und Ordnung hat schon lange keiner mehr gesprochen - wenn die Gegnerschaft von Betrug am Steuerzahler spricht, dann sage ich: Diese Kosten produziert allein der Demonstrant! AUsfälle für die Wirtschaft in der Innenstadtzone durch Behinderungen, die der Demonstration zu zuordnen sind: Richtig, der Demonstrant!

    Und zu guter Letzt wird der Bahn jetzt noch vorgeworfen, dass sie die Kosten für einen Ausstieg kalkuliert. Hach, wie fein ist doch die heile Welt eines Demonstranten: Es gibt IMMER einen Grund, "dagegen" rufen zu können!

    Angesichts dieser Bahnhofs-Tragödie in mehreren Akten lässt sich mein Kommentar nur so beschließen:

    Baden Württemberg hat scheinbar keine ernsthaften Probleme! Oder, lieber Gegner, was macht ihr demnächst, wenn eure grüne Regierung Windanlagen forciert? Ich bin gespannt!

  • E
    emil

    nein so eine überraschung, es kommen tatsächlich noch mehrkosten auf das projekt zu. das hat es ja noch nie gegeben!

  • NP
    Nina Picasso

    Die Bahn darf sich mal ganz schön zurückhalten.Bevor sie ihre wieder einmal geschönten Zahlen zum Ausstieg durchrechnet,wäre es mal angebracht, die seit Jahren nicht offengelegten Kosten zu Stuttgart 21 der Landesregierung auf den Tisch zu legen-wie es sich für "Vertragspartner" gehört. Ferner wäre es angebracht,die 121 Risiken offenzulegen,die Milliardenschwer sind.

    Verkehrsminister W. Hermann stellte fest: Der Risikopuffer von ehemals 1,4 Milliarden Euro ist JEZT schon AUFGEBRAUCHT bis auf 68 Millionen Euro.!

    ( http://www.mvi.baden-wuerttemberg.de/servlet/is/103217/ )

    Der eigentliche Bau hat noch nicht mal richtig begonnen-und der Risikopuffer weg!. Der hanseatische Kaufmann der Bahn AG Grube wird das nicht weiter stören-er bekommt das Projekt ja von uns Steuerzahlern "geschenkt". Er zahlt so gut wie nix für Stuttgart 21! Er will ja sogar weiterbauen,selbst wenn der Volksentscheid für den Finanzierungsausstieg ausgeht. Die Bahn verhöhnt die Bürger und die Demokratie!

     

    Juristen verklagen die Bahn wegen Betrugsverdacht.

    Flächen sind nicht entwidmet worden........

    Flughafenbahnhof muss neu geplant werden

    Teile der Planfeststellungen nicht genehmigt oder noch nicht mal eingeleitet, illegale Baumfällungen, Schwarzer Donnerstag,....

     

    ...wir Bürger wehren uns weiter!Wir lassen uns nicht betrügen.

     

    Herr Dr. Kefer wird weiter seine Motivation verlieren.

    Oben bleiben

  • PS
    Prof. Stefan Faiß

    Der Artiekel ist schlecht recherchiert. Die Bahn ging bisher von Kosten in Höhe von gut 3,7 Milliarden Euro aus. Zusätzlich gabe es einen Puffer für Preissteigerungen in Höhe von über 322 Mio Euro. 130 Millionen Euro dieser 322 Mio Euro wurden bisher aufgebraucht. Weitere 240 Mio könnten dazu kommen, so dass wir bei rund 4,1 Milliarden Euro prognostizierter Baukosten liegen, sollte der worst case eintreten - und das bis 2016.

  • V
    vic

    Wer in der derzeitigen Regierung hat die Vertragspapiere für S21 unterzeichnet?

    Ich dachte das war Mappus und die Seinen.