Streit um Kreisreform in Thüringen: Der Städtekampf
Die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen hat sich mit ihrer Gebietsreform ein Großvorhaben vorgenommen. Und stößt auf teils erbitterten Widerstand.
Die unter den vorigen CDU-geführten Regierungen verschleppte Gebiets- und Funktionalreform ist das zentrale Vorhaben der seit 2014 amtierenden rot-rot-grünen Koalition. Und Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) betonte am Wochenende, die Reform werde „wie von der Koalition vereinbart in dieser Legislaturperiode umgesetzt“.
Thüringen leistet sich mit seinen 2,2 Millionen Einwohnern 17 Landkreise, 849 Gemeinden und 5 kreisfreie Städte. Nur 58.000 Einwohner zählt etwa der Sonneberger Landkreis. Künftig nun soll es nur noch 8 Landkreise geben.
CDU sieht sich als Avantgarde
Bei der CDU-Fraktion läuft man dagegen Sturm. Warum gilt den Konservativen hier als Teufelszeug, was in der Bundesrepublik West seit den Sechzigern durchgesetzt und auch von der Union nebenan in Sachsen durchgezogen wurde? „Weil Sachsen immer ein zentral geführtes Königreich war und Thüringen von den Kleinstaaten geprägt wurde“, sagt CDU-Landeschef Mike Mohring. Auch für die Demokratie wären die größeren Verwaltungseinheiten nicht gut. „Wenn der Staat sich zurückzieht, überlässt er die leeren Räume den Populisten.“ Ein CDU-Fraktionssprecher bezeichnet seine Partei nicht als Nachzügler, sondern als Avantgardisten: Man wolle hier die Fehler gar nicht erst begehen, aus denen man anderswo zu lernen beginne.
Also klagen die CDU-Fraktion, die Hälfte der Landkreise und die bisher kreisfreie Stadt Weimar beim Landesverfassungsgericht: die CDU gegen das Vorschaltgesetz zur Gebietsreform – die Kommunen wegen vermeintlicher Einschränkung ihrer Selbstverwaltung. Auch die Landesregierung klagt: Sie will von den Richtern wissen, ob ein Volksbegehren gegen die Reform zulässig ist. Am 30. Mai wird erstmals verhandelt.
Genau zur Halbzeit der Koalition aus Linken, SPD und Grünen tritt damit das Vorhaben in seine kritischste Phase. Ramelow hatte zuvor das beabsichtigte Inkrafttreten der neuen Strukturen um ein halbes Jahr auf den 1. Juli 2018 verschoben.
Die Kritiker der Reform erhalten Rückenwind aus der Forschung. Sebastian Blesse vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Mannheim und Felix Rösel von der Dresdner ifo-Niederlassung bezweifeln in einer Studie die positiven Effekte von Gebietsreformen. Finanzielle Einsparungen und Effizienzgewinne seien nur in wenigen Fällen nachweisbar.
Vorteil AfD?
Signifikant geringer würden vielmehr Demokratiezufriedenheit und Wahlbeteiligung. Rösel weist in einem anderen Beitrag nach, dass in den von der Kreisreform 2011 in Mecklenburg besonders betroffenen Regionen die AfD auffallend höhere Wahlergebnisse erzielen konnte. Auch werde wirtschaftlich das Stadt-Land-Gefälle vergrößert.
Was der Union Argumente liefert, wird von Linken-Mann Kuschel belächelt. „Öffentliche Verwaltung ist immer Vorhalteverwaltung. Da lässt sich Effizienz kaum berechnen.“ Die Studie werde zudem in der Fachwelt ziemlich zerrissen. Kuschel nennt die sagenhafte Summe von 550 Millionen Euro, die man durch die Gebietsreform einzusparen hofft.
Bei der parallel angestrebten Funktionalreform muss er das Ergebnis einer Umfrage unter den Ministerien aber auch als „ernüchternd“ bezeichnen. Die Koalition will durch die Kommunalisierung von Aufgaben von einer drei- zu einer zweistufigen Verwaltung gelangen. Nur 51 von 18.600 Stellen seien so einzusparen, antworteten die Ministerien. „Ein Flop“, konstatiert CDU-Chef Mohring.
Traditionell CDU-geprägte Verwaltung
Ende März eskalierte der Reformstreit, als bekannt wurde, dass Landtagsdirektorin Birgit Eberbach-Born und Landtagspräsident Christian Carius (CDU) ein Gutachten des Juristischen Dienstes zu den Aussichten der Verfassungsklagen redigiert hatten. Ein normaler dienstlicher Umgang mit einer Referentenvorlage, sagt die CDU. Der für die CDU eher ungünstige Tenor sei nicht verändert worden. Die Linke aber ärgert sich schon lange über die traditionell CDU-geprägte Verwaltung und fordert den Rücktritt der Direktorin.
Innenminister Holger Poppenhäger (SPD) kam in der vorigen Woche einigen Landräten mit abgemilderten Plänen entgegen. Neben Erfurt und Jena sollen auch Weimar und Gera kreisfreie Städte bleiben dürfen. Doch der Landkreistag schießt sich in einem offenen Brief auf das „fachlich inkompetente und unprofessionelle Treiben“ des Linken-Chefreformators Kuschel ein. Unterschrieben hat auch SPD-Landrat Peter Heimrich.
Ministerpräsident Ramelow indes bleibt hart. In der Debatte gehe es einigen „offenbar mehr um Emotionen als um Fakten“. Die Verwaltungen blieben schließlich online erreichbar, alle Arbeitsplätze würden erhalten. Und der öffentliche Dienst müsse wegen der „größten Verrentungswelle seiner Geschichte“ ohnehin umgestellt werden. Die Reform sei „ohne Alternative“.
Berufen kann sich Ramelow auch auf seine Vorgängerin Christine Lieberknecht von der CDU, die die demografische Entwicklung als Herausforderung für die Verwaltung erkannt hatte. Der CDU habe nur der Mut zur Umsetzung gefehlt.
„Durchziehen, sonst wird das nie was“, ist auch aus der SPD-Fraktion zu hören. Seine Gelassenheit bezieht der Linke Kuschel aus zahlreichen Fahrten durch den Freistaat. „70 Prozent der Gemeinden haben konkrete Neustrukturierungsvorstellungen. Und auch die widerständigen Kreise haben längst einen Plan B in der Schublade.“ Es gehe bei der Reform nur noch um das Wie, nicht mehr um das Ob.
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