Streit um Islamophobie bei Springer: „Bild“ zofft sich öffentlich
Öffentlich entschuldigen sich die Chefs von „Bild“ und „Bild am Sonntag“ für einen islamfeindlichen Text. Ändert sich da etwas an der Blattlinie der „Bild“?
BERLIN taz | Deutlicher hätte er es nicht schreiben können: „Wer eine Religion pauschal ablehnt, der stellt sich gegen Millionen und Milliarden Menschen, die in überwältigender Mehrheit friedlich leben.“ Mit diesen Worten reagierte Bild-Chefredakteur Kai Diekmann (Link auf Bild.de) Montag auf den islamfeindlichen Kommentar seines Kollegen Nicolaus Fest. Fest, selbst stellvertretender Chefredakteur der Bild am Sonntag (BamS) hatte am Sonntag unter der Überschrift „Islam als Integrationshindernis“ (Link zu Bild.de) den Islam mit Ehrenmorden und Zwangsheiraten gleichgesetzt. Sein Fazit: Der Islam sei ein Integrationshindernis. „Das sollte man bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen!“
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Politiker verurteilten den Kommentar, im Netz regten sich Hunderte über Fests „Engstirnigkeit“, „Dummheit“ und „Rassismus“ auf. „Für mich, Herr Nicolaus Fest, sind Sie für eigene Zwecke über Leichen gehender Abschaum“, schrieb ein Blogger. Fest twitterte unbeirrt zurück: „Herrlicher Shitstorm! Offensichtlich finden viele Homophobie, Antisemitismus und Ehrenmorde völlig ok“.
Kai Diekmann antwortete in der Ausgabe vom Montag: „Genau solche Auseinandersetzung entlang religiöser Grenzen wollen wir NICHT. Wir wollen sie nicht führen, nicht befördern und nicht herbeischreiben.“ Diekmann verantwortet zwar die Bild, hat aber auf die Berichterstattung der BamS keinen Einfluss. Marion Horn ist die zuständige Chefredakteurin der Sonntagsausgabe. Sie verteidigte Nicolaus Fest zunächst auf Twitter, schrieb dann aber: „Bild am Sonntag hat Gefühle verletzt. Ganz deutlich: Wir sind nicht islamfeindlich! Ich entschuldigte mich für den entstandenen Eindruck.“
Zu einer offiziellen Stellungnahme war Montag kein Mitglied der Chefredaktion bereit. Über einen Sprecher ließ sie mitteilen: „Kommentare sind in der Regel die Einzelmeinungen eines Autoren und geben nicht den Standpunkt der Redaktion wieder – das ist das Wesen dieses journalistischen Formats.“ Nur hat man das bisher in der Bild so noch nicht gelesen. Ein Chefredakteur, der einen Kommentar kritisiert – das gab es noch nie bei der Bild. Redaktionsinterna dringen selten nach außen, Meinungsverschiedenheiten schon gar nicht.
„Sensible und gefährliche Themen“
Nicolaus Fest, Sohn des früheren FAZ-Herausgebers Joachim Fest, ist seit Oktober 2013 einer von drei Chefredakteuren der BamS. Integration und Zuwanderung sind seine Schwerpunkte. Auch in der Vergangenheit zog er mit polemischen Kommentaren die Kritik von Bloggern und Kollegen, wie der Zeit-Autorin Carolin Emcke, auf sich. Im Blatt blieb das bislang allerdings unkommentiert. Ändert sich da nun also etwas an der Blattlinie der Bild? Oder war der Kommentar von Nicolaus Fest ein Ausrutscher, der eine Spur zu weit ging und den Diekmann, der Chef, so nicht stehen lassen konnte?
Günther Wallraff, der sich in den 1970er Jahren in die Bild-Redaktion einschleuste und das Blatt seitdem beobachtet, glaubt Ersteres und findet das „zu begrüßen“.
Ganz anders Medienwissenschaftler Hans-Jürgen Arlt. Er hat mehrere Studien zur Bild geschrieben und sagt: „Die Bild hat viel Erfahrung mit öffentlicher Inszenierung: Der Pleite-Grieche, Florida-Rolf, die Causa Wulff. Solche Kampagnen setzen sich bei den Lesern fest und bringen das Blatt in die Öffentlichkeit. Das funktioniert auch jetzt wieder sehr gut: Alle berichten über den angeblichen Streit bei der Bild.“ Trotzdem ist Arlt skeptisch, ob die Redaktion den Fest-Kommentar aus reiner Berechnung gedruckt hat: „Migration und Integration sind so sensible und gefährliche Themen. Ich will den Verantwortlichen bei Bild nicht unterstellen, dass sie damit nur aus eigenem Interesse spielen.“
Keine Konsequenzen
Ahmet Külahci ist Kolumnist der Hürriyet. Den Kommentar von Fest findet er rassistisch, islamophob und gefährlich. „Immerhin hat die Bild aber den richtigen Weg gefunden, darauf zu reagieren.“ Dass sowohl Internetnutzer, als auch Kai Diekmann selbst, Nicolaus Fest heftig kritisierten, findet Külahci positiv – und ein Zeichen dafür, dass Islamophobie zunehmend weniger toleriert wird. Dass Diekmann den Gegenkommentar nur gedruckt hat, um die türkische Leserschaft der Zeitung zu besänftigen, glaubt er deshalb nicht.
Konsequenzen hat Nicolaus Fest offenbar nicht zu erwarten. Sein Chef schien noch am Sonntagabend besänftigt und twitterte, ohne Fest zu nennen: „Ein kluger Mann macht nicht alle Fehler selbst. Er gibt auch anderen eine Chance.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs