Streit um Hamburgs neues Jugendgefängnis: „Eine echte Fehlplanung“
Linken-Politiker Martin Dolzer und Sozialwissenschaftler Bernd Maelicke kritisieren die Architektur des neuen Jugendknasts Billwerder.

Ein Luftbild zeigt: Die Bauweise ähnelt stark dem erst 2015 fertiggestellten Untersuchungsgefängnis in Augsburg-Gablingen. Die V-Form soll explizit verhindern, dass die Gefangenen miteinander kommunizieren.
So ein Konzept, in dem es baulich vorrangig um Kontrolle geht, sei als U-Haft für Erwachsene verständlich, sagte Sozialwissenschaftler Bernd Maelicke der taz im Juli. Doch als Jugendanstalt, in der Jugendliche im Schnitt zwei Jahre verbringen, sei dies eine „echte Fehlplanung“. Dadurch angeregt hakte nun der Linke-Justizpolitiker Martin Dolzer mit einer Anfrage nach, warum der Senat so plant.
In der Antwort heißt es, man hätte sich nicht an Augsburg orientiert. Allein die Tatsache, dass beide Baukörper über so eine Magistrale verfügen, deute nicht darauf, dass die Hamburger Jugendanstalt identisch mit der Augsburger sein werde. Augsburg sei mit 600 Haftplätzen größer, die vier Hafthäuser hätten je vier Ebenen, in Hamburg dagegen nur zwei oder eine. Zudem gebe es in Augsburg mehr Treppenhäuser, in Hamburg werde darauf bewusst verzichtet, da Aufgänge Raum für gewalttätige Übergriffe böten. Deshalb sei die Magistrale zweigeschossig, alle Ebenen seien so zu erreichen.
Luft wie im Kaufhaus
Dolzer überzeugt das nicht: „Eine 250 Meter lange Magistrale ist Unfug.“ Es sei falsch, als Hauptkriterium zu gucken, dass es keine unkontrollierten Räume gibt. „Die finden sich sowieso immer.“ Wie im Rechtsausschuss mitgeteilt worden sei, solle es nur kippbare Oberfenster mit Gitter geben und eine Klimaanlage wie im Kaufhaus. Der Linke fürchtet, dass dies „nicht förderlich ist für das Wohlbefinden“ und dass die jungen Menschen „einen Rappel kriegen“. Besser als klimatisierte Räume sei Bewegung an der frischen Luft.
Das alte Jugendgefängnis auf der Elbinsel Hahnöversand besteht aus 38 Einzelgebäuden und 7,5 Kilometer Weg dazwischen. Martin Dolzer hat es kürzlich besucht und sieht auch dort Verbesserungsbedarf, etwa durch mehr Bildungsangebote und Traumatherapeuten.
Die Zahl der dort in U-Haft und Strafhaft sitzenden Jugendlichen ist seit 2016 steil gestiegen. Auffällig ist, dass die Zahl der U-Häftlinge 2017 und 2018 in die Höhe schoss. Zudem gab es im Mai allein 18 junge Menschen, die dort auch saßen, weil sie keinen Wohnsitz hatten. Bei seinem Besuch habe Dolzer den Eindruck gewonnen, dass dort unbegleitete junge Flüchtlinge wegen Bagatelldelikten einsitzen und verwahrt würden. Doch die Stadt schreibt auf Dolzers Anfrage, sie führe weder zu Bagatelldelikten noch zum Aufenthaltsstatus eine Statistik.
Martin Dolzer, Linksfraktion
Die 2017 und 2018 gestiegenen Haftzahlen jedoch nimmt Rot-Grün zum Anlass, den neuen Jugendknast viel größer zu planen. Statt ursprünglich geplanten 152 soll es gleich 200 Plätze im geschlossen Jugendvollzug geben. Dolzer nennt das „zynisch“. Die Jugendkriminalität geht zurück, die Zahl der Tatverdächtigen sank 2018 gegenüber 2008 um 22 Prozent.
Für Dolzer schlägt der Senat die falsche Richtung ein. Besser wäre es laut dem Linken, am Standort Hahnöversand zu bleiben, dort einige Häuser neu zu bauen, also kleine Wohnbereiche und viel offenen Vollzug zu ermöglichen. „Leider fehlt die Bereitschaft, darüber nachzudenken“, sagt er. Die Linke hofft auf die im September geplante Anhörung im Justizausschuss. Dort ist eine Expertin aus Tschechien geladen, die gute Konzepte habe für „modernen Vollzug mit menschenfreundlicher Architektur.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?