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Streit um GebäudesanierungDer goldene Weg zum Klimaschutz

Mieter und Vermieter streiten darüber, ob der Klimaschutz in Hamburg beschleunigt werden kann. Derweil empfehlen Experten, die Strategie zu wechseln.

Ein Bauarbeiter bringt Dämmplatten an einer Häuserwand an Foto: Armin Weigel/dpa

Hamburg taz | Der bisherige Weg, das Wohnen klimaneutral zu machen, ist Experten zufolge unbezahlbar. Entsprechende Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (Arge) haben die Diskussion um den anstehenden Hamburger Klimaentscheid angeheizt.

Bei der Volksabstimmung am 12. Oktober geht es darum, ob die Stadt schon 2040 statt 2045 klimaneutral werden soll. Außerdem sollen der Politik jährliche Reduktionsziele vorgeschrieben werden und ihre Maßnahmen sollen sozialverträglich sein – „mit günstigen Öffis und niedrigen Strom- und Wohnkosten“, wie es im Aufruf heißt.

Mit Blick auf die neuen Berechnungen hat der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), der die eher gemeinwohl­orientierten Unternehmen wie kommunale und genossenschaftliche vertritt, jetzt noch einmal vehement dagegen protestiert, das Ziel der Klimaneutralität fünf Jahre vorzuziehen. Kontra gibt der Mieterverein, der den Klimaentscheid unterstützt.

Mieten würden massiv steigen

Das Konfliktfeld Wohnungsbau ist dabei höchst relevant. Gebäude verursachen nach Angaben der Arge durch das Heizen und die Warmwasserbereitung 33 Prozent der deutschen Treibhausgas-Emissionen. Weitere Prozente werden durch Baumaterialien und -prozesse verursacht – darin steckt sogenannte Graue Energie.

Die Arge hat berechnet, dass der bis dato betriebene Versuch, die Klimaneutralität bis 2045 durch Verbesserung der Gebäudeeffizenz zu erreichen – das heißt im Wesentlichen dadurch, dass man sie immer besser dämmt – extrem teuer wäre. 263 Milliarden Euro pro Jahr würde das allein für Wohngebäude kosten – gerade einmal 60 Milliarden sind 2022 in Deutschland dafür investiert worden.

Das Pestel-Institut hat diese Zahlen im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustofffachhandel auf Hamburg heruntergerechnet: 2,7 Milliarden Euro pro Jahr. Der VNW rechnete damit weiter und kam zu dem Schluss: „Allein für das Erreichen von Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 müssen die Mieten um drei Euro pro Quadratmeter steigen. Würde das Ziel um fünf Jahre auf 2040 vorgezogen, kämen weitere 1,50 Euro hinzu.“

Gesetzlicher Spielraum nicht genutzt

Der Mieterverein zu Hamburg wies darauf hin, dass das nicht so dramatisch sei, wie es sich anhöre. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch dürfen Modernisierungskosten jährlich nur zu acht Prozent auf die Miete aufgeschlagen werden – maximal drei Euro in sechs Jahren; bei Mietern unter sieben Euro maximal zwei Euro.

Einen Unterschied könnte es machen, ob die Unternehmen zehn oder 15 Jahre Zeit haben, das investierte Geld wieder hereinzuholen. „Wenn man das Ganze jetzt um fünf Jahre vorzieht, werden natürlich auch die Mieten rascher steigen müssen“, warnt der VNW.

Seine Unternehmen hätten bei einer Sanierung immer schon genau geprüft, in welcher Höhe Kosten auf die Mieter umgelegt werden könnten und dabei den gesetzlichen Spielraum nicht genutzt. „Wenn aber Klimaneutralität um fünf Jahre vorgezogen wird, werden soziale Vermieter gezwungen sein, jede Möglichkeit der Refinanzierung zu nutzen“, warnt VNW-Verbandsdirektor Andreas Breitner.

Unrealistisch hohe Förderpreise

Der Mieterverein geht demgegenüber davon aus, „dass eine energetische Sanierung sowieso kommt und Veränderungen bei Mieten und Nutzungsentgelten damit unvermeidlich sind“. Da die Mieten ohnehin von Jahr zu Jahr stiegen, sei eine eher durchgeführte Maßnahme für Mieter von Vorteil, weil sie dann im Gegenzug eine „moderne Wohnung ohne Schimmel zu geringen Energiekosten“ hätten. Letztlich gehe es darum, den vielen Vermietern, die bisher noch gar nichts in puncto CO2-Vermeidung unternommen hätten, Beine zu machen, sagt Rolf Bosse vom Mieterverein.

Dass die Mieten so stark steigen müssen, wie vom VNW an die Wand gemalt, bezweifelt der Mieterverein unter Berufung auf ein Gutachten der Stadtentwicklungsbehörde, das allerdings eine gehörige Spanne ausweist. Zudem setzt die Mieterlobby darauf, dass Vermieter eine staatliche Förderung in Anspruch nehmen, die die Erhöhung deckeln würde.

Die Arge hat demgegenüber errechnet, dass die Kosten so hoch wären, dass dabei unrealistisch hohe Förderbeträge notwendig wären. In einem in diesem Jahr veröffentlichen Manifest fordern die Arge-Mitglieder – Professoren aus den Fachbereichen Architektur und Ingenieurwesen – einen „Paradigmenwechsel im Klimaschutz bei Gebäuden“.

Gesamtlösungen könnten Kosten senken

Sie schlagen der Politik vor, auf einen „Praxispfad der CO2-Reduktion im Gebäudesektor“ umzuschwenken, der einen finanzierbaren Weg weisen würde. Der bisherige Weg, die Energieeffizienz von Gebäuden zu steigern, habe in den vergangenen zehn Jahren keine Fortschritte erbracht, trotz hoher Kosten. Auch sei es nicht richtig, dass die erhöhten Kosten bei den Bewohnern durch einen niedrigeren Energieverbrauch kompensiert würden.

Nach Ansicht der Wissenschaftler sollten künftig Gesamtlösungen angepeilt werden: Durch die Förderung und den Einsatz klimaneutraler Energiequellen wie mit erneuerbarer Energie betriebenen Wärmepumpen und Wärmenetzen sowie der Wiederverwendung von Bauteilen könnte der Dämmaufwand reduziert werden. Damit sänken die Gesamtkosten bundesweit um deutlich mehr als die Hälfte.

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