Streit um Garnisonkirche: Potsdam hat einen an der Glocke
Der Streit über die Potsdamer Garnisonkirche ist wieder aufgeflammt. Oberbürgermeister Mike Schubert hat ihr Glockenspiel abgeschaltet.
Fast 30 Jahre ist er nun alt, der Streit über die Garnisonkirche in Potsdam. Doch geht man davon aus, dass eine Lösung in Sicht kommen könnte, wenn ein Streit an seine Wurzeln zurückkehrt, man könnte direkt Hoffnung schöpfen.
Angestoßen hat die neue Kontroverse ein offener Brief von Künstlern und Wissenschaftlern um den Architekten und Professor für Architekturtheorie in Kassel, Philipp Oswalt, der bereits am 19. August an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke ging. In diesem wird ein Umdenken beim Wiederaufbau der Kirche gefordert. Am 4. September folgte der Donnerschlag: Mike Schubert (SPD), Potsdams Oberbürgermeister seit November 2018, sprach statt des bislang anvisierten Versöhnungszentrums in der wie auch immer wiederaufgebauten Kirche von einer internationalen Jugendbegegnungsstätte.
Vor allem aber kündigte er an, dass das Glockenspiel der Garnisonkirche drei Tage später abgeschaltet werde. Schubert sagte, Potsdam brauche einen „Neuanfang“, die Inschriften der Glocken müssten wissenschaftlich ausgewertet werden.
Die Garnisonkirche, 1701 bis 1703 von Friedrich I. gebaut, ist das Symbol schlechthin für die Vermählung preußischer Eliten mit der braunen Revolution. Sie ist der Ort, an dem 1933 Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler die Hand reichte. Als die Stadt die Reste der im Krieg bombardierten Kirche 1968 sprengen ließ, da sahen große Teile der DDR-Bevölkerung dies als überfällige Giftmüllbeseitigung.
Dann kamen die Neupotsdamer
Doch dann kam die Wende, und mit ihr viele Neupotsdamer, die mit der verschwundenen Garnisonkirche alles andere als Giftmüll assoziierten. Einigen von ihnen mag es bis heute um den Wiederaufbau der historischen Potsdamer Mitte gehen, um die Kirche als Teil eines schön anzusehenden Ensembles mit den längst wiederaufgebauten Prunkbauten Stadtschloss und Museum Barberini. Anderen geht es um mehr, um Preußens Glanz und Gloria, um einen zentralen Identitätsort der NS-Zeit auch.
Entsprechend groß sind die Proteste der Gegner, die immer wieder und zuletzt 2014 in einem Bürgervotum mit 14.000 Unterschriften die Frage stellten, ob man eine Kirche bauen muss, um die Ideologie, die sie repräsentiert, zu widerlegen. Das Bürgervotum scheiterte. Seit zwei Jahren wird am Wiederaufbau des Turms gearbeitet, gefördert unter anderem mit 12 Millionen Euro Steuergeldern vom Bund. Auch die evangelische Kirche hat ihren Segen dazu gegeben – allerdings unter der Voraussetzung, dass nicht das historische Kirchenschiff wiederhergestellt wird, sondern ein Versöhnungszentrum, das auch äußerlich einen Bruch mit der Tradition markieren soll.
Doch nun könnte ein anderer Wind aufkommen. Frank-Walter Steinmeier, der Schirmherr des Wiederaufbauprojekts ist, hat den Vorstoß Schuberts unterstützt. Und am Sonntag rief bereits zum zweiten Mal die Bürgerinitiative Mitteschön zum Protestsingen am stillen Glockenspiel. Ulrich Zimmermann von Mitteschön sagt der taz, die Entscheidung, ein Kirchenlied, noch bevor es überhaupt wissenschaftlich untersucht sei, abzuschalten, gehe „an der Bevölkerung vorbei“, die Religion werde aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Seine Initiative hält dem Plädoyer der Kirche zum Trotz auch am Wiederaufbau des historischen Kirchenschiffs fest: „Üb immer Treu und Redlichkeit.“
Aber was bedeutet das Glockenspiel für den Wiederaufbau der Kirche, das 200 Meter nördlich von der Baustelle steht? Eigentlich ist es nur ein Nachbau des historischen Glockenspiels. Es wurde 1987 auf dem Paradeplatz der Winkelmannkaserne der Bundeswehr in Iserlohn errichtet und 1991 der Stadt Potsdam geschenkt, und zwar von einem gewissen Max Klaar, den man bedenkenlos als Vater der Idee, die Garnisonkirche wiederaufzubauen, bezeichnen kann.
Untersuchungen unnötig
Klaar, ein rechtskonservativer Ex-Bundeswehroberst, war Vorsitzender des Verbands deutscher Soldaten, der bis zu seiner Selbstauflösung für die Amnestierung von wegen Kriegsverbrechen verurteilten Angehörigen der Wehrmacht kämpfte. Als die evangelische Kirche entschied, sie wolle aus der Kirche ein Versöhnungszentrum machen, zog sich Klaar aus dem Projekt Garnisonkirche zurück.
„Ich denke, da braucht es keine Untersuchungen, der Fall liegt klar auf der Hand“, sagt Mitinitiator des offenen Briefes Philipp Oswalt der taz in Bezug auf die nun geforderte wissenschaftliche Untersuchung des Glockenspiels. Vor wenigen Jahren trat er mit seiner Entscheidung an die Öffentlichkeit, wegen der Haltung der Kirche zu den Wiederaufbauplänen aus ihr ausgetreten zu sein. Als Mitinitiator der kulturellen Zwischennutzung des Palasts der Republik 2004 und 2005 sagt er, dass das Stadtschloss im Vergleich zur Garnisonkirche „geradezu ein linksliberales Projekt“ gewesen sei.
In einer Pressemitteilung hat er darauf hingewiesen, dass eine der Glocken des nun abgeschalteten Glockenspiels dem besagten Verband deutscher Soldaten gewidmet sei, eine andere dem Kyffhäuserbund, eine dritte dem Wehrmacht-Luftwaffenoffizier Joachim Helbig, der selbst nach Hitlers Tod noch für die Regierung Dönitz flog.
Oswalt und die Mitverfasser des offenen Briefes an Steinmeier – darunter Gerd Bauz von der Martin-Niemöller-Stiftung –, sie haben viel erreicht bislang. Die Fans der Garnisonkirche, darunter der Vorstand der Garnisonkirchen-Stiftung Peter Leinemann, reagieren brüskiert und sagen, sie lassen „sich nicht in eine rechte Ecke schieben“. Andere – selbst Mitstreiter von Mitteschön – haben begonnen, sich von der „erinnerungspolitischen Wende“, wie sie Björn Höcke und Konsorten seit einigen Jahren propagieren, abzugrenzen.
Jene wohlhabenden wie einflussreichen Neupotsdamer, die sich bislang monetär oder politisch zur Garnisonkirche bekannten, darunter Günther Jauch, Wolfgang Joop, Christian Thielemann und Lea Rosh: Sie werden sich künftig mehr Gedanken über ihr Image machen müssen, wenn sie die Garnisonkirche unterstützen.
„Ich denke, die Potsdamer müssen sich jetzt sortieren“, freut sich Philipp Oswalt über den bisherigen Erfolg seiner Initiative.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch