Streit um Christoph Peters' neuen Roman: Würde der fiktive Galerist gegen das Buch klagen?
Christoph Peters hat einen Berlin-, Künstler-, Glaubens-, AfD-, Familien- und auch MeToo-Roman geschrieben. Er soll verboten werden.
Funktioniert die Überschreibung eines literarischen Klassikers? Wie, genau, sind Kirche und Kunst hier verknüpft? Wo leuchtet in den Figurenzeichnungen tatsächlich die Berliner Gegenwart des Jahres 2022 auf (Nach-Corona-Zeit, Aufstieg der AfD, Krieg in der Ukraine), und wo ist sie eher Dekor?
Es ergeben sich, wenn man Christoph Peters’ aktuellen Roman „Innerstädtischer Tod“ liest, viel interessantere Fragen als die, wie ähnlich der fiktive Galerist Konrad Raspe dem realen Galeristen Johann König sieht, der das Buch gerne vor Gericht verbieten lassen würde, weil er sich in Konrad Raspe, gegen den in dem Buch MeToo-Vorwürfe erhoben werden, wiedererkennt.
Der reale Johann König ist nahezu blind, der fiktive Konrad Raspe braucht nicht mal eine Brille. Die reale Galerie befindet sich in einer modernistischen profanisierten Kirche, die fiktive Galerie ist zwar auch in einer Kirche, aber die ist neoromantisch-wilhelminisch. Christoph Peters mixt hier also Realitätssplitter, wie man sie leicht aus dem Internet ziehen kann, mit fiktiven Elementen, verfremdet sie aber auch und bettet sie vor allem in einen genuin literarischen Kontext ein.
Überformt und eingeschmolzen
Das gilt auch für den MeToo-Strang, der literarisch überformt und eingeschmolzen ist – mit einer brillanten Schlusswendung übrigens, die mit der Wirklichkeit nun gar nichts zu tun hat.
Unwillkürlich fragt man sich irgendwann beim Lesen, ob der fiktive Konrad Raspe auch gegen diesen Roman klagen würde. Und man denkt: Nein, das würde er nicht. Bei aller bis nahe ans Satirische gehenden Kunstbetriebsoberflächlichkeit, mit der Christoph Peters seine Figur ausstattet, hätte sie bestimmt auch einen Sinn für die dem Text zugrunde liegende künstlerische Idee gehabt. Der reale Johann König hat das offenbar nicht.
Dabei ist Konrad Raspe in dem Roman nur eine Figur von vielen. In einer Szene kocht er bretonischen Hummer mit Pommes frites und Aioli (Details, mit denen Peters eher sein eigenes Kochnerdtum – besondere Kartoffeln und ganz besonderes Öl für die Pommes frites – karikiert) und fällt ansonsten nur durch Kunstbetriebsfloskeln auf.
Konzeptionell wichtiger ist, dass Christoph Peters das Personal und teilweise auch die Handlung aus Wolfgang Koeppens Roman „Tod in Rom“ mit der Berliner Gegenwart zusammenbringt. Das ist insgesamt virtuos gebaut, ein paar Einwände hat man beim Lesen aber auch. Es gibt die Figur eines alterndes AfD-Funktionärs, der Preußens Klassizismus nachtrauert. Überzeugend tippt Christoph Peters neorechte Narrative an; manchmal muss man den Atem anhalten, wenn man bedenkt, wie viel Empathie und Würde in all seiner Peinlichkeit er dieser Figur zugesteht.
Christoph Peters: „Innerstädtischer Tod“. Luchterhand, München 2024, 232 Seiten, 24 Euro
Familienromanelemente mit Krawattenfabrikanten
Es gibt einen jungen katholischen Priester, der in der religiösen Diaspora Berlin so glühend wie einsam seinen Gottesglauben aufrecht erhalten will. Es gibt Familienromanelemente mit Krawattenfabrikanten aus Krefeld, die auf Besuch nach Berlin kommen. Es gibt Einschübe über Sexualität und auch eine Sexszene, die allerdings etwas Knarzendes haben; Sexualität erscheint hier, nicht durchgehend, aber im Kern doch, als Triebgeschehen wie zu Koeppens Zeiten.
Und es gibt die Künstlerfigur Fabian Kolb, der Christoph Peters (der selbst in Karlsruhe Kunst studiert hat) als einzige die Ich-Perspektive zugesteht, während er die inneren Vorgänge aller anderen Figuren aus der personalen Perspektive beobachtet. Manches ist da nahe am erzählerischen Baukasten, mit dem Konstellationen durchgespielt werden. Doch je unsicherer die Figuren ihrer selbst werden, desto näher rückt Christoph Peters an sie heran. Aber auch zu dem in seinen künstlerischen Ambitionen und Ich-Entwürfen sich verheddernden und strampelnden Künstler Fabian Kolb behält er letztlich den Abstand bei; was gut ist.
Es ist schlicht irritierend, dass ausgerechnet ein Galerist einen Roman mit einer so überzeugend zeitgenössischen Künstlerfigur verbieten lassen will.
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