Streit über Birkenstock-Werbefoto: Kind darf nicht Kunst sein
Birkenstock-Chef verklagt die Künstlerin Ida Ekblad und Hamburgs Kunsthaus wegen Verwendung eines Werbefotos, das seine kleine Tochter zeigt
Ein lachendes kleines Mädchen, blondgelockt, überlebensgroß, hängt 15, 20 Mal als Poster im Hamburger Kunsthaus. Quer drüber der Schriftzug „Ida Ekblad“. Doch das Kind ist ein anderes, den Kinderbildern der Künstlerin Ekblad zum Verwechseln ähnlich. Genau so war es gedacht: als Verfremdung, als Hinweis auf die Unschärfe von Erinnerung.
Auf die Idee, den Namen des Kindes zu recherchieren und dessen Eltern um Erlaubnis zu bitten, kam sie aber nicht. Das fällt ihr und dem Kunsthaus jetzt auf die Füße. Der Vater des Kindes, Birkenstock-Geschäftsführer Oliver Reichert, hat Künstlerin und Kunsthaus wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte seiner Tochter verklagt und die Abhängung der Bilder erzwungen.
Letzteres wohl recht handstreichartig: Am 11. 3., einem Freitagnachmittag, sei die Unterlassungsaufforderung gekommen, sagt Kunsthaus-Chefin Katja Schröder. Sie unterschrieb nicht, löschte aber freiwillig die betreffenden Fotos von der Webseite. Außerdem bekundete sie per Anwalt ihr Bedauern und lud Reichert zum Gespräch ein.
Statt einer Antwort verklagte Reichert Künstlerin und Kunsthaus, schickte am folgenden Montag den Gerichtsvollzieher, der dem Kunsthaus die Verbreitung der Fotos per Einstweiliger Verfügung verbot. Das Haus schloss für zwei Tage, während derer Ekblad die umstrittenen Bilder durch eigene Kinderfotos setzte. Damit war der Verfremdungseffekt perdu, die Grundidee des Kunstwerks zerstört.
Doch dieses Verbot gilt nur, bis das Gericht entschieden hat, ob die Präsentation der Fotos wirklich Persönlichkeitsrechte verletzt. Das ist hier besonders absurd, weil die Schau am 26. 3. ablief, die Verhandlung beim Landgericht Hamburg aber erst am 7. 4. beginnt. Ob die Urheberrechtsklage des Birkenstock-Werbefotografen Andres Overgaard durchkommt, ist dagegen noch unklar.
Birkenstock-Chef Reichert indes ist insbesondere deshalb erbost, weil er nicht um Erlaubnis gefragt wurde. Zudem sei das Kind, schreibt sein Anwalt der taz, durch die Isolierung in dem Ausschnitt „in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise in den Fokus gerückt“.
Allerdings, Reicherts Tochter modelt auf etlichen Fotos und Videos in Internet und Birkenstock-Filialen, ist also weit stärker der Öffentlichkeit ausgesetzt als im lokal rezipierten Kunsthaus. Und die Künstlerin sagt, sie habe niemandem schaden wollen, das Kind nicht verunglimpfend dargestellt. Das Foto sei eine Hommage und sie selbst zu jedem Gespräch bereit.
Davon will der Sprecher der Reicherts nichts bemerkt haben: Er vermisst bei Ekblad „ein Zeichen guten Willens, etwa die Entfernung der Fotos von ihrem Instagram-Account“. Dazu ist Ekblad aber erst dann verpflichtet, wenn auch ihr die Einstweilige Verfügung vorliegt.
Der Sprecher der Reichert-Familie sagt auch, der Dialog mit dem Kunsthaus komme „erst jetzt zögerlich in Gang.“ Verweist man auf Schröders Gesprächsangebot nach der Unterlassungsaufforderung, schwenkt er um: „Das ist egal. Vielleicht war dieses Angebot nicht in der Art, dass man schon darauf hätte eingehen müssen.“
Im Übrigen sei nicht nur das Kunstwerk, sondern auch dessen Bewerbung problematisch. Das Kunsthaus habe die Schau mit dem Kinderfoto in „Online-Aktionen und intensiver Pressearbeit bundesweit beworben“, schreibt der Reichert-Anwalt. „Diese effekthascherische Bewerbung“ diene „allein kommerziellen Aspekten“.
Vermutlich weiß er nicht, dass das Kunsthaus eine kleine, mager finanzierte öffentliche Kultureinrichtung ist, die gar nicht mit Kunst handelt. Sollte das Kunsthaus den Prozess verlieren, wird es jahrelang auf Schulden sitzen.
Doch so weit ist es noch nicht. Zwar ist Reichert formal im Recht. Andererseits ist seine Tochter schon lange öffentlich präsent. Außerdem sei diese auch in der Pop Art genutzte „Appropriation“ – die Verarbeitung von Werken anderer Künstler – „eine fest etablierte künstlerische Strategie“, sagt die Kunsthaus-Chefin. Nur dass Kinderfotos ein Sonderfall sind.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!