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Streit in Jüdischer Gemeinde BerlinReligionsgemeinschaften dürfen diskriminieren

Im Streit um eine diskriminierende Wahlordnung in der Jüdischen Gemeinde hat das Landgericht eine Klage abgewiesen. Grundrechte seien nicht anwendbar.

Irdische Grundrechte gelten offenbar nicht für Religionsgemeinschaften Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Berlin taz | „Wir sind bitter enttäuscht“, sagt Lala Süsskind, nachdem das Landgericht Berlin ihre Klage am Dienstag abgewiesen hat. „Herr Joffe kann jetzt schalten und walten, wie er will.“ Das Ehepaar Lala und Artur Süsskind hatte gehofft, dass ihr Einsatz zur Wahrung von Grundrechten in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin vor einem staatlichen Gericht Gehör findet – vergebens.

Lala und Artur Süsskind sind Urgesteine der Berliner jüdischen Gemeinde. Die heute 78-jährige Lala Süsskind führte von 2008 bis 2012 den Gemeindevorsitz. Zur letzten Gemeindewahl im September 2023 wollte sie dann erneut antreten. Denn schon seit Jahren rumort es unter dem Vorstand Gideon Joffe. Von einem „Klima der Angst“ ist die Rede und von undemokratischen Zuständen. In der Folge sanken die Mitgliederzahlen von knapp 12.000 auf etwas mehr als 8.000.

Das Fass zum Überlaufen brachte eine kurz vor der letzten Gemeindewahl im Mai 2023 erlassene neue Wahlordnung. Die sah einschneidende Änderungen vor: So durften Personen über 70 Jahren nicht mehr kandidieren – also auch Lala Süsskind. Und ehemalige Mitarbeiter der Gemeinde erst nach zwei Wahlperioden, also nach zwölf Jahren. Verwehrt wurde eine Kandidatur überdies Amts- und Mandatsträgern anderer jüdischer Organisationen, etwa des Zentralrats, der Jewish Claims Conference oder des Sportvereins TuS Makkabi.

Das unabhängige Gericht beim Zentralrat der Juden in Deutschland forderte die Berliner Gemeinde im Sommer 2023 auf, die Wahlordnung zurückzunehmen. Als das nicht geschah, verbot das Gericht die Wahl. Was die Gemeinde jedoch nicht davon abhielt, sie trotzdem durchzuführen – gegen den scharfen Protest etlicher Mitglieder.

Der Zentralrat erkannte die Wahl nicht an

Joffes Partei wurde zum unangefochtenen Wahlsieger. Der Zentralrat erkannte diese Wahl jedoch nicht an. Als Konsequenz wurde der Berliner Gemeinde zunächst für ein Jahr das Stimmrecht in den Gremien des Zentralrats entzogen.

Lala Süsskind klagte daraufhin gegen die Wahl. Weil gesetzliche Diskriminierungsverbote hier nicht anwendbar seien, wies der vorsitzende Richter Gerhard Pfannkuche die Klage am Dienstag zurück: „Die Religionsgemeinschaften sind nicht an das Grundrecht gebunden“, so Pfannkuche. In die interne Organisation von Religionsgemeinschaften greife man nicht ein.

„Kleines Pjöngjang in Berlin-Mitte“

Die im Staatskirchenrecht verankerten weitreichenden Autonomierechte religiöser Gemeinschaften findet Nathan Gelbart, Anwalt der Süsskinds, im Prinzip richtig. Problematisch sei jedoch, wenn Gemeinden daraus einen Freibrief ableiten und gegen Grundrechte verstoßen. „Herr Joffe kann jetzt sein kleines Pjöngjang in Berlin-Mitte aufrechterhalten und weiter demokratische Grundrechte mit Füßen treten“, so Gelbart.

Einen kleinen Teilerfolg konnte er dennoch erzielen: Die Jüdische Gemeinde hatte argumentiert, dass in Fragen der Wahlordnung ausschließlich das gemeindeeigene Schiedsgericht zuständig ist. Alles andere wäre ein schwerer Eingriff in die religiöse Autonomie der Jüdischen Gemeinschaft. Das Landgericht Berlin hält den Gang vor ein staatliches Gericht jedoch grundsätzlich für zulässig. Nur in diesem Fall sehe man keine Grundlage, in die internen Gemeindebelange einzugreifen.

Das Urteil kann den Konflikt nicht beenden

In der Jüdischen Gemeinde ist die Freude über das Urteil groß. „Sollten noch Zweifel zur Rechtmäßigkeit der Gemeindewahlen oder der Wahlordnung bestanden haben, dann dürften diese nun vollkommen ausgeräumt sein“, hieß es am Dienstag. „Wir reichen der Opposition unsere Hand zur konstruktiven Zusammenarbeit.“ Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland solle nun sein Verhältnis zur Jüdischen Gemeinde zu Berlin „neu überdenken“.

Beendet ist der Konflikt mit dem Urteil nicht. Ohne eine Wiederholung der Wahl droht nach wie vor der vorübergehende Ausschluss aus den Gremien des Zentralrates. Es wäre ein einmaliger Vorgang. Die mit 14,7 Millionen Euro per Staatsvertrag finanzierte Berliner Gemeinde ficht all die – nicht zuletzt aus dem Senat – wiederholt vorgebrachte Kritik indes nicht an. Sie kann sich durch das heutige Urteil bestärkt sehen.

Lala und Artur Süsskind, die auch stellvertretend für andere gemeindeinterne Kritiker vor Gericht zogen, überlegen nun, die Gemeinde, der sie seit Jahrzehnten angehören, die sie mitgestaltet und mitgetragen haben, zu verlassen.

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3 Kommentare

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  • Eine juristische Frage. Ist dieses Urteil des Landgerichts rechtskräftig oder steht auch hier der Rechtsweg (Widerspruch/Revision usw.) offen? Habe dazu leider nichts im Artikel gefunden (oder vielleicht überlesen).

  • Keine über 70? Das wäre auch was für den Papst und den US Präsidenten.

    • @Stoffel:

      Bei einer Papstwahl dürfen Kardinäle über 80 Jahren nicht mehr mitwählen. Und da üblicherweise der Papst aus den Reihen der wählenden Kardinäle gewählt wird (das ist kein Kirchengesetz, aber Usus), ist ein neuer Papst bei seiner Wahl noch keine 80 Jahre alt.