Streit der Woche: Ist der Dr. wieder was wert?
Erst Guttenberg, dann Koch-Mehrin, jetzt Chatzimarkakis. Abschreiben beim Doktortitel scheint in zu sein. Nimmt der akademische Grad Schaden? Oder wird jetzt genauer gelesen?
BERLIN taz | Auch nach Guttenbergs Plagiatsaffäre beruhigt sich der akademische Promotionsbetrieb nicht. Immer mehr Politiker, die ihre Karriere durch einen Doktortitel fördern wollten, stehen unter Verdacht, von anderen abgeschrieben zu haben. Silvana Koch-Mehrin muss um ihren Doktortitel fürchten.
Und der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis lässt seine Dissertation gerade von der Uni Bonn untersuchen. Dass seine Zitierweise Raum für Spekulationen schaffe, hat er in den vergangen Tagen schon eingeräumt.
Durch bekannt gewordene Plagiatsfälle wird die Lust am Plagiatejagen offenbar noch verstärkt. Mitarbeiter von PlagPedi durchforsten momentan 200 Doktorarbeiten namhafter Wirtschaftsvertreter. Darunter die Dissertationen von Führungskräften wie Thomas Middelhoff, dem ehemaligen Vorstand von Arcandor, Dirk Nonnenmacher, dem Ex-Chef der HSH Nordbank und dem Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann.
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Dabei gebe es eine Reihe von Neidern, die Andeutungen machen, meint Debora Weber-Wulff. Die Professorin für Medieninformatik beschäftigt sich mit Plagiaten in der Wissenschaft: "Zur Zeit gibt es eine Flut von Hinweisen auf Doktorarbeiten von Managern. Gerade in der Wirtschaft wird sehr viel Wert auf Titel gegeben und Manager sind noch stärker in Versuchung zu schummeln als Politiker."
24.900 Doktortitel im Jahr 2008
Aber wie viele Einzelfälle braucht es, um ein ganzes System in Frage stellen zu können? 2008 wurden laut Statistischem Bundesamt an deutschen Hochschulen 24.900 Doktortitel vergeben. Bei wie vielen wurde wohl geschummelt?
Dass der gute Ruf des Doktortitels gefährdet ist, bestreitet Professor Diethelm Klippel von der "Selbstkontrolle in der Wissenschaft" an der Uni Bayreuth. Obwohl dort mit Guttenbergs Doktorarbeit alles seinen Anfang nahm, sieht Klippel "kein strukturelles Problem" an seiner Universität. Strengere Regeln und Kontrollen über das akademische Verhältnis zwischen Doktorand und Doktorvater lehne er ab, solange es keinen konkreten Anlass dafür gäbe: "Ich bin der Meinung, dass man auch alles so belassen könnte, wie es ist."
Hat das Ansehen des akademischen Grades Schaden genommen? Oder wird alles besser, weil in Zukunft besonders genau gelesen wird?
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