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Streit der WocheBürgerbeteiligung? Stimmenfang!

Seit einem Jahr regieren die Grünen Baden-Württemberg: Beteiligen sie die BürgerInnen besser? Von wegen, höhnt Piratin Beer. Schauspieler Sittler widerspricht.

Nein? Ja? Interessiert's die Grünen, was die Leute auf der Straße sagen? Bild: dpa

Bürgerbeteiligung! Das versprachen die Grünen, als sie vor einem Jahr zusammen mit der SPD die Regierung in Baden-Württemberg übernahmen. Mit dem verkrusteten schwarz-gelben Führungsstil sollte Schluss sein. Thema Nummer eins im Wahlkampf: das umstrittene Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“.

„Stimmenfang“ sei der Protest der Grünen gegen S 21 gewesen, kritisiert nun Angelika Beer, ehemals Bundesvorsitzende der Grünen und mittlerweile Mitglied der Piratenpartei, in einem Beitrag für den „Streit der Woche“ in der sonntaz.

„Es reicht dem Bürger nicht, wenn seine Stimme ins linke Ohr reingeht und aus dem rechten wieder rauskommt“, schreibt Beer. Die Grünen hatten sich im Wahlkampf an die Spitze der Protestbewegung gegen den geplanten Tiefbahnhof gesetzt. Als sie dann Baden-Württemberg regierten, ließen sie das Volk abstimmen. Ergebnis: Die Bevölkerung war mehrheitlich für S 21. Jetzt sind die regierenden S-21-Gegner gezwungen, das umstrittene Projekt umzusetzen.

Die von Ministerpräsident Winfried Kretschmann viel beschworene „Politik des Gehörtwerdens“ nimmt auch Thomas Strobl, Vorsitzender der CDU in Baden-Württemberg, den Grünen nicht ab. Die S-21-Abstimmung habe „bloß dem Koalitionsfrieden“ mit der SPD gedient. Viele Sozialdemokraten waren für das Bahnhofsprojekt.

Strobl führt ein weiteres Beispiel für mangelnde Bürgerbeteiligung der Grünen an. Bei der CDU hätten die Parteimitglieder zwischen mehreren Kandidaten für die Stuttgarter Oberbürgermeister-Wahl ausgewählt. „Der Grünen-Kandidat wird der Basis hingegen zwangsverordnet“, kritisiert Strobl in Hinblick auf die Nominierung des Grünen Fritz Kuhn für die OB-Wahl im Oktober 2012.

Auch die Berufung von Gisela Erler zur „Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung“ überzeugt die Kritiker nicht. Das neu geschaffene Amt allein stelle noch keine Basisdemokratie dar, meint Piratin Beer. Es diene lediglich der Außenwirkung.

Staatsrätin Gisela Erler kommt selbst in der sonntaz zu Wort – und sieht das anders: „Wir sind dabei, ein Musterland für Bürgerbeteiligung zu werden“, schreibt die Staatsrätin. Für sie bedeute Bürgerbeteiligung, dass möglichst viele Fakten und Daten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Mit einer Online-Beteiligungsplattform wolle die Regierung neue Informations- und Diskussionskanäle eröffnen.

Der Schauspieler Walter Sittler, der sich aktiv gegen S 21 engagiert und in erster Reihe demonstriert hat, bewertet die bisherigen Bemühungen der Grünen zwar auch positiv, meldet aber auch Bedenken an.

In vielen Punkten beteiligten sie die Regierten besser. Allerdings: „Schlechter als die schwarz-gelbe Vorgängerregierung und die SPD in Baden-Württemberg kann man die BürgerInnen gar nicht beteiligen“, schreibt Sittler. Besser sei noch nicht gut genug.

Die Beiträge zum „Streit der Woche“ können Sie in der sonntaz nachlesen. Darin betrachten weitere GastautorInnen die Bürgerbeteiligung der Grünen auch außerhalb Baden-Württembergs: die österreichische Politikwissenschaftlerin Barbara Steininger, taz.de-Leser Hasan Eker aus Nordrhein-Westfalen sowie der auf elektronische Demokratie spezialisierte Blogger Christian Heise.

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9 Kommentare

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  • C
    cassiel

    Dass Frau Erler als Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung eine Volksabstimmung zur Reform der Volksgesetzgebung in Baden-Würtemberg ablehnt spricht Bände:

    http://demokratie.mine.nu/read__8-1726-1726

  • S
    Sabine

    Die BürgerInnenbeteiligung bei den Berliner Grünen ist leider schlecht.

    - Online wie offline.

     

    http://www.freitag.de/community/blogs/lila-lueftchen/berliner-gruene-im-online-krampf

  • MG
    Manfred Gerber

    .. von wegen Bürgerbeteiligung. Ich warte als Vorstand einer Umweltorganisation mittlerweile 3 Monate auf eine Antwort des grünen Landwirtschaftsministerium zu den Themen klimaschonendes effizientes Grünland & Technik zur Pestizideinsparung.

    Vor seiner Wahl fragte Kretschmann seine CDU.Kollegen, ob Sie weiter Bienen mit dem Insektenkiller Clothianidin schädigen wollen, jetzt tut er es selbst.

    Fazit: die Grünen sind schlimmer als der Rest, denn sie vollziehen Ihre Tatenlosigkeit im Gewand des Retters.

  • R
    rrebbyy

    Grad der Strobl....

     

    .... der Vertreter der altes schwarzen Filzregierung..... einer Partei, die in ihrer Regierungszeit nur linientreue Parteisoldaten und Bürgermeister zu Wort hat kommen lassen.... eine Partei, die sonst nur zugehört hat, wenn ihrem Gute-Laune-Minister eine Einladung zur Hausschlachtung oder Huldigungen durchs Stimmvieh zuteil wurde.

     

    Die CDU im Ländle war so unantastbar, so sicher im Sattel, dass es heute immer noch viele einfach nicht fassen können....

  • N
    neuezeiten

    Wer möchte denn heute von Politikergnaden in irgendeiner halbgaren, immer noch bevormundenden Form "beteiligt", "besser informiert" werden etc.? Danke, lasst stecken. Ihr habt während der letzten Jahrzehnte versagt und versucht, Diskussionen durch leere, ewig wiederholte Phrasen zu ersetzen. Die will jetzt keiner mehr hören. Jetzt geht es um direkte Demokratie.

     

    (Schade, dass mittlerweile Kader von Grünen und FDP in die Piratenpartei eindringen. Man kann nur hoffen, dass sie nicht zu viel Einfluss gewinnen.)

  • S
    Schreiber

    Ich teile die Meinung das die Beteiligung reines Wahlkampfgetöse ist. Grade hier in Hamburg - was hat die SPD uns alles versprochen - kommen tut da nix. Vorgelegt von SchwarzGrün die anstatt eines sogenannten Bürgerdialogs uns einen Werbemonolog vorgesetzt hat. Kann ich drauf verzichten. Am Ende die Fragerunde - lächerlich. Sämtlichen Fragen wurde ausweichend in Politikersprech geantwortet. Die SPD machts jetzt nicht besser. Bin gespannt wie die Piraten das umsetzten werden - wenn die denn mal überhaupt die Möglichkeit bekommen das sie so viel zu sagen kriegen.

    Lustig ist das jetzt, wo es die Freibeuter gibt, auf einmal alle Parteien ganz viel über Transparenz reden. (TV-Duell Wahlkampf NRW) Hier denke ich nicht - hier weiß ich - auch das ist reines Wahlkrampfgetöse. Schade.

  • K
    KFR

    die übliche Verar***ung, bekannt aus den AKW, Startbahn, Emndlager, dem G8-Kriegszustand Meck-Pom ... und unzähligen Gesetzen mit Umdeutung der Realität zugunsten der Betroffenheits-Dasteller und Gut-menschen und gesicherten Pöstchen. DANKE !

  • S
    Schnuppe

    Ich verstehe immer noch nicht, was an einem Bahnhof denn so schlimm sein soll. Zumal, wenn man sich dieses gruselige Gleisumfeld anschaut, welches nach Bau größtensteil unterirdisch verlegt wäre. Der Juchtenkäfer hätte anschließend oberirdisch wieder sehr viel "grünes Umfeld".

  • F
    Friederike

    Bürgerbeteiligung? Das ist nur ein Wort.

     

    Keiner von den Politikern ist daran interessiert. Man müsste ja dann nachdenken, sich mit den Bürgern und ihren Belangen beschäftigten. In der Politik geht es nur um eigene Entscheidungen, die durch sogenannte Experten und Lobbyisten durchgedrückt werden. Die Wirtschaft entscheidet was gebraucht wird und die Politik setzt es um. Äusserst Volksschädigend und nur die eigene Profilierung zählt.

     

    Volksverarschung- wäre das bessere Wort. Daher mache ich schon lange meinen eigenen Wahlkampf gegen die Altparteien.