Streit bei Podemos in Spanien: Fundi, Realo oder beides?
Die spanische Podemos-Partei könnte zufrieden sein, ist aber zerstritten. Die „Pablistas“ wollen Gegenmacht, die „Errejonistas“ Teil der Regierung sein.
Die Regierung stellt zwar weiterhin die konservative Partido Popular (PP) unter Mariano Rajoy. Sie wird von der rechtsliberalen Ciudadanos (Cs) unterstützt und von den Sozialisten (PSOE) geduldet. Damit ist Podemos die einzige echte Opposition Spaniens. Angesichts dessen könnten sich die Podemos-Aktivisten einen Moment zufrieden zurücklehnen. Stattdessen gehen sie am kommenden Wochenende völlig zerstritten in den zweiten Parteitag ihrer Geschichte.
Das „Schnellboot für die Wahlen“ – das agile, zentralistische Parteikonzept, das vor zwei Jahren auf der ersten „Bürgerversammlung“ entstand, aus der Podemos hervorging – soll einem dezentralisierten „größeren Schiff“ für ruhigere Zeiten weichen, darüber sind sich mit leichten Nuancen alle bei Podemos einig. Umstritten zwischen den „Pablistas“ um Generalsekretär Pablo Iglesias und den „Errejonistas“ um Iñigo Errejón, Nummer 2 der Partei und Politsekretär, bleibt, welche Oppostionsstrategie die richtige ist.
Die beiden einstigen engen Freunde haben sich völlig überworfen. „Wir regieren nicht, deshalb müssen wir uns stärken, indem wir Schützengräben in der Zivilgesellschaft ausheben“, erklärt der 38-jährige Politikprofessor Iglesias. Das Regime sei zwar angeschlagen – aber dank Unterstützung durch Cs und PSOE sei es Rajoy gelungen, eine starke Regierung zu bilden, um die geschwächte Ordnung zu restaurieren. Dagegen will Iglesias „Gegenmacht auf gesellschaftlicher Ebene“ bilden.
Abgeordnete als Aktivisten
Der Generalsekretär sieht die Podemos-Abgeordnete als Aktivisten, die an Protesten teilnehmen, wo es sie gibt, und solche organisieren, wo nötig. Nur so könne sich Podemos von anderen Parteien abheben, so Iglesias in seinem „Plan 2020: PP besiegen und Spanien regieren“, der den Podemos-Mitgliedern zur Abstimmung vorliegt. Die Partei ist darin nur eine „Kraft des Wandels“ von vielen, die gemeinsam in „etwas Breiterem“ aufgehen müssen.
Bei den Wahlen im Dezember 2015 trat Podemos gemeinsam mit regionalen Parteien an; bei denen im Juni 2016 tat sich die Partei mit der postkommunistischen Vereinigten Linken (IU) zusammen, der Iglesias vor der Podemos-Gründung als Berater zuarbeitete. So mancher aus seinem Umfeld will das Wahlbündnis in feste organisatorische Strukturen gießen.
Doch über Wahlkoalitionen hinaus will Politsekretär und Podemos-Nummer 2, Iñigo Errejón, von einem Linksblock nichts wissen. Für ihn ist dies „alte Politik“ ohne Aussicht auf eine breite Mehrheit. Der 33-jährige Politikwissenschaftler kommt aus der undogmatischen Studentenbewegung und der Empörtenbewegung 15M. Er und die Seinen wollen das „ursprüngliche Podemos“ als Erbe der Empörten wahren.
„Nicht links, nicht rechts – sondern transversal“ ist sein Motto. Der Verantwortliche für die Wahlkampagnen, die Podemos so schnell wachsen ließen, schaut nach Lateinamerika, wo „national-populistische“ Projekte in mehreren Ländern breite Mehrheiten schufen und mit fortschrittlicher Politik regieren. Seine Doktorarbeit schrieb er über das Bolivien von Evo Morales.
„Im Zweiparteiensystem war viel von rechts und links die Rede, dabei machten beide die gleiche Politik“, sagt Rita Maestre, Sprecherin der Stadtverwaltung der spanischen Hauptstadt, die seit Mai 2015 vom Bürgerbündnis „Ahora Madrid“ regiert wird. Sie redet weiterhin von „unten gegen die dort oben“ – wie Podemos in den ersten Jahren. „Mit der bisherigen linken Politik waren wir nicht in der Lage, neue Mehrheiten zu bilden. Warum dorthin zurückkehren?“
Wie Errejón machte die heute 28-jährige Politologin erstmals in der Studentenbewegung von sich reden. Barbusig forderte sie die Schließung der Kapelle in der Madrider Universität Complutense. Dafür musste sie vor Gericht.
Maestre ist eine der engsten Vertrauten Errejóns. Vergangenen November versuchte sie bei Urwahlen, Podemos-Generalsekretärin in der Region Madrid zu werden – unterlag aber knapp dem von Iglesias unterstützten Kandidaten. Seither hat sich der Konflikt zwischen „Pablistas“ und „Errejonistas“ weiter zugespitzt.
Spanien steckt seit Jahren in einer wirtschaftlichen und sozialen Krise. Bei der Debatte in Podemos geht es darum, ob das „Fenster der Möglichkeiten“, das die Parteigründer um Iglesias und Errejón einst erfolgreich nutzten, weiterhin offen ist – oder ob es den Altparteien gelungen ist, die angespannte soziale Lage zu beruhigen. Maestre sagt: „Wir müssen all unser politisches Potenzial einsetzen, um die Initiative zu ergreifen, um zu einer Kraft zu werden, der die Menschen das Regieren zutrauen.“ Rajoy sei schwach, gerade weil er ständig Unterstützung von Cs und PSOE brauche. Genau das böte Raum für Politik innerhalb der Institutionen.
Nicht auf die anderen schielen
Für diese Haltung müssen sich Errejón und Umfeld immer wieder vorwerfen lassen, sie seien „zu moderat“ und würden sich „den Sozialisten andienen“. Maestre weist dies weit von sich: „Wir dürfen nicht wie die alte Politik schauen, was die PSOE macht, um dann einen eigenen Platz zu bestimmen. Es muss genau umgekehrt laufen. Wir sind eine politische Kraft mit Führungsanspruch, die die dynamischsten Teile unserer Gesellschaft umfasst und die Fähigkeit hat, Themen und Diskurse in der politischen Agenda zu verankern.“ Mit anderen Worten: Podemos soll mit guter Politik die PSOE dazu zwingen, sich zwischen Wandel und PP-Herrschaft zu entscheiden.
Errejón und seine Anhänger fallen Generalsekretär Iglesias ständig in den Rücken, meint dagegen Juan Carlos Monedero. Mit 53 ist er der Älteste aus der mittlerweile völlig zerstrittenen Podemos-Gründergruppe. Der Politikprofessor arbeitete als Berater für die IU in Spanien und die Regierung von Hugo Chávez in Venezuela.
Wenn er den Namen des Podemos-Politiksekretärs hört, beginnt er sofort zu schimpfen. „Die Auseinandersetzung und deren Zuspitzung durch die Medien hat dieses besondere Etwas zerstört, das die verschiedene Sektoren zusammengeführt hat“, warnt Monedero, der in Deutschland studiert und gelehrt hat.
Er zieht Vergleiche zu Realos und Fundis in den Anfangsjahre der Grünen. „Nur der Dialog zwischen Strömungen garantiert eine Mehrheit. Beide Strömungen haben einen Teil Realo und einen Teil Fundi. Diese beiden Elemente dürfen nie auseinanderdriften. Denn das nutzt nur der Rechten. Die Grünen begannen links und endeten bei der Unterstützung der Bombardierung von Jugoslawien.“
Für Iglesias könnte es knapp werden
Ohne Iglesias als Generalsekretär gebe es keine Zukunft für Podemos, warnt Monedero. Dabei bewirbt sich Errejón gar nicht für dieses Amt. Er begnügt sich mit eigenen programmatischen Dokumenten und einer Liste für den Parteivorstand, dem sogenannten Bürgerrat. Doch dort könnte es für Iglesias Strömung knapp werden, denn die „Errejonisten“ erfreuen sich immer größerer Beliebtheit.
Das gilt selbst im Parteiapparat, wo viele Aktivisten aus der Empörtenbewegung stammen. Iglesias reagiert mit Entlassungen von bisherigen Beratern und Mitarbeitern. Mittlerweile umgibt er sich vor allem mit ehemaligen Mitgliedern der Kommunistischen Jugend.
Der wohl bekannteste linke Philosoph Spaniens, Santiago Alba Rico (56) – bei den Wahlen im Juni Kandidat für den Senat in der Provinz Ávila – ist einer derer, die sich von Iglesias und seiner Politik abgewandt haben.
„Die Strömung um Iglesias analysiert das Ende der Möglichkeit, schnell an die Regierung zu kommen, und fühlt sich in der alten Linken, aus der sie stammen, wohler“, erklärt der Kolumnist, der einst zum engsten Kreis um Iglesias gehörte und jetzt Errejóns „ursprünglichen, transversalen Podemos“ unterstützt.
Die Sozialisten verlieren, aber Podemos gewinnt nicht
Alba Rico beobachtet ein Debakel: „Die Sozialisten verlieren in den Umfragen ständig an Wählern, seit sie eine erneute Regierung Rajoy ermöglicht haben – aber Podemos gewinnt nicht dazu.“ Sollte sich die Linie von Iglesias endgültig durchsetzen, „wird es nur noch ein schwaches Podemos geben, mit etwas mehr Stimmen, als IU bisher hatte“, befürchtet er. Die Vereinigte Linke saß zuletzt mit zwei Vertretern im Parlament, das Bündnis um Podemos errang auf Anhieb 71 Mandate.
„Wir brauchen ein Podemos, das wächst und konkrete Lösungsvorschläge macht, die die Menschen so dringend brauchen. Wenn Podemos keine Antworten gibt, werden die Menschen sie sonst wo suchen“, warnt Alba und hat dabei Le Pen in Frankreich oder Trump in den USA vor Augen.
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