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Streiktag in Spanien

■ Alle Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes wehren sich gegen Nullrunde

Madrid (taz) – Die meisten der kleinen Gruppe von Lehrern, die durch Madrids Innenstadt zieht, waren schon in der Nacht zuvor unterwegs gewesen, bei den ersten Streikposten, die um 0.00 Uhr vor das Gebäude des staatlichen Rundfunks und Fernsehens gezogen waren. Nach kurzer Nachtruhe sind sie jetzt wieder auf den Beinen. Auch der Nieselregen und der kalte Wind konnten sie nicht davon abhalten. Mit Gewerkschaftsfahnen ziehen sie von Schule zu Schule – „Streikbrecher suchen“, erklärt die völlig durchnäßte Maribel (37), Grundschullehrerin.

Heute ist Generalstreik im öffentlichen Dienst. Aufgerufen haben alle Gewerkschaften gemeinsam, von der kommunistischen CCOO über die sozialdemokratische UGT bis hin zum eher konservativen Beamtenbund CSI. Das ist neu. Gemeinsam machen sie Front gegen die Nullrunde im öffentlichen Dienst, die José Maria Aznars konservative Regierung verordnet hat, um die Stabilitätskriterien der Währungsunion einzuhalten. Schon 1993, noch unter der sozialistischen Regierung Felipe González, hatten sie auf eine Lohnerhöhung verzichtet. Für die letzten fünf Jahre bedeutet das insgesamt einen Kaufkraftverlust von 15 Prozent. „Bei einem Lohn von nur 1.200 Mark auf den unteren Stufen der Verwaltung und knapp über 2.000 Mark für Lehrer ist damit die Schmerzgrenze überschritten. Und was noch viel schlimmer ist, diese Regierung bestreitet, daß wir als Beamte ein Recht auf kollektive Tarifverhandlungen haben“, fügt Maribel hinzu. Die Umstehenden stimmen zu. Erst vor drei Jahren hatte die Regierung González dieses in der Verfassung verankerte gewerkschaftliche Grundrecht auch für Beamte anerkannt.

Die Regierung liefert fast täglich neue Gründe für Gewerkschaftsproteste. Erst am Tag vor dem Streik stimmte Aznars konservative Partido Popular zusammen mit den baskischen, katalanischen und kanarischen Nationalisten einen Gesetzentwurf nieder, der vorsah, die Ausgaben für das Bildungssystem in den nächsten acht Jahren auf das europäische Durchschnittsniveau anzuheben.

81 Prozent der zwei Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst folgten, laut Gewerkschaften, dem Streikaufruf. Das Fernsehen bot den ganzen Tag, bis auf die Nachrichtensendungen, nur vorproduziertes, die Post bearbeitete nur Eilzustellungen, die Universitäten blieben geschlossen, die Eltern wußten nicht wohin mit ihren Kindern, die Krankenhäuser funktionierten im Notdienst, viele Flüge fielen aus.

„Ein ganz normaler Tag wie jeder andere“, wußte der Minister für öffentliche Verwaltung, Mariano Rajoy, dennoch schon morgens um acht in einem Radiointerview zu berichten. Die Proteste seien sinnlos, die Nullrunde werde auf gar keinen Fall zurückgenommen. Reiner Wandler

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