„Streikkonferenz“ an der TU Berlin: „Alerta!“ im Audimax
Die Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Wochenende war überlaufen. Besonders viel Andrang gab es bei den neuen Bundestagsabgeordneten der Linken.

Die Abendveranstaltung am Freitag im Audimax der TU bildete den Auftakt zur dreitägigen Konferenz „Gegenmacht im Gegenwind“. Die „Streikkonferenz“ zur „gewerkschaftlichen Erneuerung“ ist die größte Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und findet zum sechsten Mal statt, diesmal mit Besucherrekord. Weit mehr als 2000 Teilnehmende irren am Wochenende durch die Gänge und über das weitflächige Gelände der TU auf der Suche nach einer der vielen Veranstaltungen, von denen oft mehr als ein Dutzend parallel in einem der Seminarräume und Hörsäle stattfinden.
Beim großen „Auftaktpodium“ im Audimax geht es um den „Rechtsruck in Betrieb und Gesellschaft.“ In ihrer kämpferischen Begrüßungsrede sprach TU-Präsidentin Geraldine Rauch von einem „Wow-Effekt“, so viele „Menschen mit kritischem Geist“ im Saal zu sehen. Sie warnte davor, nur auf die USA zu zeigen, um sich über eine Einschränkung der Meinungsfreiheit zu empören. Angriffe auf die Freiheit von Wissenschaft und Forschung und „die gleichen Mechanismen“ gebe es auch in Deutschland. Dagegen müsse man sich wehren, denn Hochschulen müssten politische Freiräume sein, sagt sie unter Applaus.
Warum wählen Arbeiter rechts?
Auf dem Podium überwiegen später jedoch die nachdenklichen Töne. Der Politologe Gerd Wiegel, Referatsleiter beim DGB, hatte anhand einer Power-Point-Präsentation dargestellt, dass die AfD unter Arbeitern inzwischen die populärste Partei ist. Selbst unter Gewerkschaftsmitgliedern erhält sie überdurchschnittlich Zuspruch. Wiegel deutet das als Ausdruck der Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg, der Teile dieses Milieus erfasst habe.
Diese Rechtsverschiebung hat viele Facetten. Marc Seeger, Betriebsrat der IG Metall bei VW in Braunschweig, beschreibt, wie der rechtsextreme Verein „Zentrum“ versucht, sich als „alternative Gewerkschaft“ in den Betrieben breitzumachen. Die Verdi-Gewerkschaftssekretärin Lisa Baumeister berichtet, wie sich AfD-Funktionäre in Brandenburg an Streiks und anderen Arbeitskämpfen beteiligten. Das könne man gar nicht vermeiden, die Leute nicht ausschließen. Aber es sei wichtig, „in den Konflikt“ zu gehen und zu versuchen, die Leute zu überzeugen.
Als Grund für den Zuspruch zur AfD macht Baumeister Enttäuschung aus: „Die Leute sind abgegessen davon, wie wenig sie gesehen und wertgeschätzt werden.“ Ines Schwerdtner benennt materielle Unsicherheit sowie „die Mischung aus Militarisierung und Sozialabbau“ als idealen „Nährboden für rechts“. Dagegen helfe nur, diese Sorgen zu adressieren. Die Parole „Mietendeckel ist Antifaschismus“ sei zwar etwas plump, aber dennoch sei da etwas dran, befand sie.
Die roten Fäden der Konferenz
Sozialabbau, Aufrüstung, rechte Gefahr: diese Themen ziehen sich wie ein roter Faden an den drei Tagen durch die über 80 Seminare, Workshops und „Branchentreffen“. Das Spektrum reicht von praktischen Fragen – „Wie baue ich eine Betriebsgruppe auf?“ – bis zu: „Wie kann die soziale Transformation der Stahlindustrie gelingen?“
Im Mathematikgebäude der TU haben mehrere linke Kleinverlage ihre Stände aufgestellt, an denen ihre Bücher und Broschüren ausliegen. Das Publikum ist eine Mischung aus Gewerkschaftlern, anderen Engagierten und Studierenden. Mitglieder der GEW tragen T-Shirts mit dem Konterfei von Marlene Dietrich und dem Slogan „Aus Anstand Antifaschistin“, mehrere junge Studierende tragen Palästinensertücher.
Beim Panel zur „Krise in der Automobilindustrie“ herrscht viel Ratlosigkeit. Ingo Kübler vom Zuliefererbetrieb Mahle wirft ein Schaubild an die Wand, um zu zeigen, dass ein Elektro-Antrieb viel weniger Teile benötigt als Motor und Getriebe eines Verbrenners, und dieser vor allem aus Kunststoffteilen und Elektronik besteht. „Dafür braucht man keine Metall-Facharbeiter mehr“, sagt er. Mit anderen Worten: die Transformation wird Arbeitsplätze kosten.
Eckhard Kirschbaum berichtet als Betriebsrat aus Osnabrück, die Kollegen seinen „schockiert und verunsichert“. Der Rüstungskonzern Rheinmetall erwägt, ein VW-Werk in Osnabrück zu übernehmen, um dort Militärfahrzeuge herzustellen. Das wird die Arbeitsplätze aber nicht retten, glaubt er.
Besonders gut besucht sind die Veranstaltungen mit den neuen Abgeordneten der Linken im Bundestag. Als der kalifornische Aktivist Keith Bower Brown vom Magazin Labor Notes über „die Erneuerung der US-Gewerkschaften“ referiert, ist der Hörsaal überfüllt. Die 37-jährige Violetta Bock aus Hessen, die ihn vorstellt, bekommt bereits Applaus, als sie sich nur als „eine der neuen Abgeordneten im Bundestag“ vorstellt. Beide tragen T-Shirts mit dem Aufdruck „Troublemakers Union“ und einer Steinschleuder als Logo – er in Lila, sie in Blau, im Partnerlook.
Erwartungsdruck und Hoffnungen
Am Samstagabend muss Cem Ince sogar Leute wegschicken, weil der Seminarraum aus allen Nähten platzt, in dem er mit den Referentinnen Ingar Solty und Judith Dellheim von der Rosa-Luxemburg-Stiftung über „Zeitenwende und Kriegsgefahr“ sprechen will. Der 31-Jährige war lange Betriebsrat bei VW im niedersächsischen Salzgitter und sitzt jetzt für die Linke im Bundestag. „Ich bin beeindruckt“, sagt er anschließend. „So viele Leute. Diesen Druck müssen wir auf die Straßen bringen“. Und: auch seine Partei brauche den „Druck von unten“.
Die ehemalige Parteivorsitzende Janine Wissler sitzt am Sonntagmorgen auf einem Podium „zu den Aufgaben der Gewerkschaften unter einer neuen Bundesregierung“. Vor einem halben Jahr hätten viele ihre Partei noch abgeschrieben, niemand hatte große Erwartungen. „Das hat sich jetzt geändert“, sagt sie. Nun stelle sich die Frage: „Wie können wir den Erwartungen und den Hoffnungen, die die Menschen in uns gesetzt haben, gerecht werden.“
Konferenzen wie diese seien wichtig, um die „Vereinzelung und Isolierung“ zu überwinden, sagt Wissler. Wichtig sei es, die Profitlogik und die Eigentumsverhältnisse infrage zu stellen. Eine gute Sozialpolitik alleine reiche aber nicht, um den Rechten den Nährboden zu entziehen. „Wir müssen auch Rassismus bekämpfen und dem Kulturkampf widerstehen, den die Union führen wird“, sagt Wissler.
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