Streifzug am Gender-Tag der COP21: Der kleine Unterschied
Arme Frauen leiden besonders unter den Auswirkungen des Klimawandels. Zugleich profitieren sie stark von erneuerbaren Energien.
Und dann legt Abubakar los. Sie ist Mitglied der rund 70-köpfigen Delegation ihres Landes. Und ihr reicht es: „Wir brauchen Aktion. I am tired of talk. Es muss Geld her aus den Industriestaaten, damit wir in den Entwicklungsländern flächendeckend umweltfreundliche, saubere Energie installieren können.“ Nigeria, Afrikas größter Öl- und Gasproduzent ist gesellschaftlich stark gespalten: Es gibt eine kleine, extrem reiche Oberschicht, über 60 Prozent der rund 170 Millionen Einwohner leben jedoch von weniger als einem Euro pro Tag.
Abubakar ist Muslima und stammt aus der Großstadt Kaduna im Norden des afrikanischen Landes. Nigerianische Ölbarone, die zusammen mit Shell verantwortlich sind für die Umweltzerstörungen in Ogoniland im Nigerdelta, zählen nicht zu ihren Fans, wie sie sagt. Abubakar ist überzeugt: Die Erneuerbaren helfen in Nigeria besonders armen, benachteiligten Frauen dem Klimawandel entgegenzutreten.
Nicht erst seit Paris ist bekannt, dass weltweit wirtschaftlich und gesellschaftlich benachteiligte Frauen am stärksten unter dem Temperaturanstieg und seinen Folgen leiden. In ländlichen Gebieten etwa sind oft sie es, die allein für die Familie sorgen und körperlich die Hauptarbeitslast tragen, deren Gesundheit am stärksten gefährdet ist, wenn es zu Dürren und Überflutungen kommt.
Die Mehrheit der Klimaflüchtlinge sind Frauen
Die Mehrzahl der Menschen, die schon heute wegen des Klimawandels ihre Heimat verlassen, sind Frauen: 20 Millionen der 26 Millionen weltweit, schätzt das Women’s Environmental Network. Werden Frauen speziell gefördert dem Klimawandel entgegenzuwirken, etwa in Programmen zur nachhaltigen Energiewirtschaft, so zeige sich, sagt Sabine Bock von Women in Europe for a Common Future (WECF), „dass Frauen meist klüger und nachhaltiger wirtschaften als Männer“.
Sabine Bock, WECF
Das stimmt auch für ein Modellprojekt in Papua Neuguinea, das auf dem Gipfel-Gender-Tag am Mittwoch prämiert wurde. Tulele Peisa, übersetzt: „Wir nehmen die Welle alleine“, heißt die melanesische Bürgerorganisation der Carteret Inseln. Die Indigene Ursula Rakova leitet sie. Gestiftet hatte den Preis die WGC, die Women and Gender Constituency, die UN-Beobachterstatus hat und in der sich weltweit 15 Frauen- und Umweltverbände zusammengeschlossen haben.
Das Atoll der Carteret-Inseln, rund 1,5 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, wird unwiderruflich bis spätestens 2040 im Meer versinken. Es sind meist die Frauen, die dort schon heute nicht mehr genug Lebensmittel anbauen können, weil die Erosion der Eilande immer schneller vorangeht. Effiziente Hilfe gibt es bis heute keine von der Regierung von Papua Neuguinea, sodass sich Tulele Peisa auf Wunsch des Ältestenrates der Inseln gegründet hat.
„Was tust du für deine Heimat?“, fragten die Ältesten Ursula Rakova. Die gab ihren Job bei Oxfam auf und startete ein Umsiedlungsprogramm für die insgesamt 2.600 InselbewohnerInnen, das speziell Frauenbelange berücksichtigt. Die ersten acht Häuser für Familien sind auf der rund 86 Kilometer entfernten Nachbarinsel Bougainville entstanden. Die ist zumindest ob ihrer relativen Größe vorerst nicht vom Untergang bedroht. „Frauen haben in unser matriarchalisch organisierten Gesellschaft auf dem Carteret-Atoll zu viel Verantwortung und sie arbeiten zu viel“, erklärt Rakova lebhaft und ihre Ohrringe in Form von pinken Mini-Eiffeltürmen wippen. Auf Bougainville hat die 52-Jährige, die drei Kinder hat, eine Kakao-Kooperative gegründet, in der meist Frauen arbeiten, auch die bereits umgesiedelten der Carteret-Inseln. Bis ins neuseeländische Wellington, nach Hawaii und Hamburg exportieren Rukova und ihr Team an kleine Fairtrade-Unternehmen.
„Gründlicher analysieren“
Zurück auf den Gipfel. Fleur Newman, Programmkoordinatorin Gender und Nachhaltige Entwicklung beim UN-Klimasekretariat in Bonn, steht in einem sterilen, neonbeleuchteten Raum und lächelt. „Die Begeisterung bei Genderfragen ist immer groß – auch bei Männern.“ Dann zwinkert sie mit ihren flinken, wachsamen Augen: „Doch die entscheidenden Finanzzusagen der Regierungen bleiben bis jetzt klein.“ Es brauche an Schaltstellen wie etwa in Ministerien weltweit noch viel mehr Frauen als bisher. „Und wir müssen gründlicher analysieren, warum und wie besonders Frauen vom Klimawandel betroffen sind.“
Der Erde droht der Hitzekollaps. Deshalb wollen die Staatschefs der Welt Anfang Dezember in Paris einen globalen Klimaschutz-Vertrag vereinbaren. Die taz berichtete vom 28. November bis zum 14. Dezember 2015 täglich auf vier Seiten in der Zeitung und hier auf taz.de.
Immerhin heißt es schon mal bei den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen, den Sustainable Goals der UN, unter Punkt 5: Gender Equality, Gleichberechtigung der Geschlechter. Und nochmal zurück zu Bahijathu Abubakar aus Nigeria. Die Koordinatorin für Erneuerbare Energien im dortigen Umweltministerium stammt aus einer Großfamilie, hat 21 Geschwister und keine eigenen Kinder, dafür in zweiter Ehe einen Mann, der sie gerne mehr zu Hause wüsste. „Aber ich bin halt eine ständige Handlungsreisende in Sachen sauberer Energie.“
Abubakars Haupteinsatzgebiet ist der ländliche und von Dürren geprägte muslimische Nordosten und Nordwesten Nigerias, wo es “hot, hot, hot“ ist und die Ernte mäßig. Feldarbeiterinnen müssen mittlerweile eine Stunde eher morgens raus, weil ab 12 Uhr die Hitze unerträglich wird. Und sie können ihre Ernte gerade mal einen Tag verwenden. „Früher haben die Frauen das Obst und Gemüse eine Woche auf Märkten verkauft oder selbst genutzt. Heute verfault es bis zum Abend.“
Abubakars Ministerium fördert etwa mit Hilfe des Umweltprogramms der UN Kooperativen von Frauen, die pro Dorf einen solarbetriebenen Trockener bekommen, mit dessen Hilfe sie die Ernte länger frisch halten. Mehr als zwei Millionen Frauen sind mittlerweile in solchen Initiativen organisiert. Regelmäßig treffen sie sich, Expertinnen sprechen über den Klimawandel und seine Folgen, beraten. Viele muslimische Bauern, so Abubakar, sahen das zuerst mit Argwohn, waren gegen eine Beteiligung von Frauen außerhalb von Feld- und Hausarbeit. Erst durch die von ihr eingeleitete Vermittlung durch das geistige Oberhauptes der nigeranischen Muslime, dem Sultan von Sokoto, begann ein Teil der muslimischen Männer umzudenken.
Bahijathu Abubakar wird immer wieder bedroht von Boko Haram. Sie macht weiter, sie will, dass immer mehr Frauen ein Licht aufgeht, dass immer mehr Frauen selbstbestimmt handeln – für ihr eigenes Leben und gegen den Klimawandel. Egal welcher oder gar keiner Religion diese Frauen angehören. „Love life“. Abubakar lächelt beherzt. Und jetzt endlich kommt auch ihr Assistent Henry mit dem gewünschten Kakao for the lady!
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