Strategiewandel bei Hessnatur: Weg vom Naturlatschen-Image
Der Öko-Versandhändler Hessnatur will stärker auf Mode setzen. Doch von dieser Strategie sind nicht alle überzeugt.
Damit bekommt die neue Strategie der Butzbacher Modemarke ein Gesicht: Obwohl Batra hessnatur schon als Beirat verbunden war, stammt er doch aus dem konventionellen Modegeschäft: Bislang war er Geschäftsführer der Mannheimer Edelmarke „Dorothée Schumacher“, zuvor machte er unter anderem Karriere bei der Mutterfirma des Push-up-BHs „Wonderbra“.
Damit kommt der gebürtige Inder da her, wo hessnatur hinwill: in den konventionellen und vergleichsweise hochpreisigen Modehandel. Die faire und ökologische Lieferkette steht nicht mehr im Mittelpunkt der Unternehmenskommunikation, sondern schöne und modische Kleidung. Dafür wurde die Designerin Tanja Hellmuth eingekauft, und die neuen Läden am Hamburger Alstertor oder der Kaiserstraße in Frankfurt kommen trendy daher. Vom traditionellen, zweimal jährlich versendeten Katalog möchte man weg, dafür den Onlinehandel stärken.
In Butzbach freut man sich auf den neuen Chef, allerdings auch, weil man den alten dadurch loswird. Viele Mitarbeiter konnten sich mit Marc Sommer nicht anfreunden, gegen den die Staatsanwaltschaft Bochum erst im November 2015 Anklage in einem Untreueprozess erhoben hat; seine Zeit als Manager des pleitegegangenen Arcandor-Konzerns holt ihn immer wieder ein. Erratisch und ziellos sei seine Unternehmensführung gewesen.
Mitarbeiter skeptisch
„Im Versandhandel muss man den Kunden auch mal zwei, drei Saisons Zeit geben, sich an etwas zu gewöhnen“, klagt eine Mitarbeiterin, „so kurzatmig kann man das Geschäft nicht führen“. Die Belegschaft sei verunsichert, der Weg aus der Nische heraus ins Modesegment ein Irrweg, so ist zu hören, und: „Modefirmen gibt’s doch schon genug“.
Seinem Nachfolger hinterlässt Sommer also eine Baustelle. Zwar ist hess mit einem Umsatz von rund 68 Millionen Euro noch immer ein Branchenriese – der bejubelte Kölner Öko-Nachwuchs Armed Angels etwa kommt auf einen Umsatz von rund 7 Millionen Euro, das etablierte Kölner Ökolabel Lanius kratzt an der Millionenmarke. Doch machten die Butzbacher im vergangenen Jahr zum wiederholten Male keinen Gewinn.
HessNatur-Mitarbeiterin
Für einen ehemaligen Betriebsrat ist klar: Hessnatur findet keine Sprache mehr, die der Kunde versteht. Dass sich Kunstfasern wie Recycling-Polyester und Viskose in die Kollektion geschlichen hätten, sei ein Unding. „Das Unternehmen träumt von neuen Kunden und stößt die alten dabei weg“, kritisiert er. Nachhaltigkeit werde in der Firma nicht mehr gelebt, seit der Schweizer Finanzinvestor Capvis sie übernommen habe.
Bewertung: „good“
Mitarbeiter berichten, die Lieferanten würden häufig gewechselt und einem enormen Preisdruck ausgesetzt. Darum sei man bei der niederländischen Fair Wear Foundation (FWF) nicht mehr so angesehen wie früher. Die Organisation arbeitet mit Unternehmen zusammen, um deren Lieferkette sozialer zu gestalten. Hessnatur erhält zwar noch immer die Wertung „good“, schneidet laut dem derzeit auf der FWF-Website abrufbaren Bericht aber schlechter ab als etwa die münsterländische Billigkette Takko-Fashion, die ebenfalls mit der Stiftung kooperiert. Offiziell will sie hessnatur aber nicht kritisieren.
Und auch Heike Scheuer vom Internationalen Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN) hält die Kritik an hessnatur für überzogen: Etwa Kunstfasern aus Recyclingmaterial einzusetzen sei ein interessanter Ansatz, den viele Ökodesigner derzeit diskutierten, und nicht etwa Teufelszeug. Noch immer sei das Unternehmen ein Vorreiter für die Branche, arbeite aktiv in den Gremien des Verbandes mit. Hessnatur nutze seine IVN-Mitgliedschaft inzwischen allerdings weniger als Marketing-Instrument, sondern vielmehr als Standard, um die Qualität zu sichern.
Eigentümer Capvis hält das für ein erfolgversprechendes Modell. Dass hessnatur derzeit keine Gewinne mache, sehe man gelassen: In der Textilindustrie sei Nachhaltigkeit inzwischen ein Riesenthema, außerdem wachse der Onlinehandel, in dem hessnatur schon stark sei. „Alle Trends sprechen für das Unternehmen“, sagt Daniel Flaig, zuständiger Fondsmanager bei Capvis. Verkaufsabsichten hege man daher nicht.
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