Straßenkultur in Berlin: Bald ist es zu Späti
Der einstige Partybezirk Mitte will Spätis keine Außenbewirtschaftung mehr erlauben. Ein Betreiber klagt dagegen – und verliert.
Berlins Spätverkaufsstellen, kurz Spätis, sind auch ein Gradmesser dafür, wie es um die Freiheit – manche würden sagen: Anarchie – in dieser Stadt bestellt ist. Kontrolliert mal wieder ein übereifriger Polizist die Sonntagsöffnungen und kriegt dafür Rückendeckung von der Politik, ist das ein Alarmsignal; machen alle Spätis trotzdem auf, spricht das für Entspannung.
Spätestens seit der Coronakrise haben sich viele Spätis zudem zu einer Art Ersatzeckkneipe entwickelt, vor dem man sich zum Kaltgetränk trifft. Schließlich waren die Gaststätten im Frühjahr lange geschlossen. Für viele SchülerInnen sind sie schon aus Alters- und Preisgründen die einzige Anlaufstelle. So entstanden zahlreiche kleine Biergärten an der Straße, mit einigen Sitzgelegenheiten und bisweilen Kunstrasen.
Dem Bezirk Mitte, einst eine einzige Partylocation, inzwischen mit grüner Bürgermeisterhilfe weitgehend ruhiggestellt, wurde das zu viel. Im Mai änderte das Bezirksamt seine „Festlegungen zur Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen im Hinblick auf Schankvorgärten“, wie es so schön im Juristendeutsch heißt. Künftig sind diese Vorgärten nicht mehr erlaubt, wenn im zugehörigen Laden ein Sortiment an Waren angeboten wird, das dem eines Supermarktes entspricht. Das ist eine Lex Späti und ein ganz schlechtes Zeichen, was die Freiheit in Berlin angeht.
Das dachte sich wohl auch ein Betreiber in Mitte und ging vor dem Verwaltungsgericht gegen das geänderte Vorgehen des Bezirks vor. Bislang verkaufte er Lebensmittel und Backwaren, dazu Getränke, Tabakwaren und Süßigkeiten. Zudem war er im Besitz einer Gaststättenerlaubnis und einer befristeten Erlaubnis für das Herausstellen von Tischen und Stühlen.
Bäckereien dürfen, Spätis nicht
Sein Eilantrag wurde jedoch abgewiesen, wie das Verwaltungsgericht am Freitag mitteilte . Die Einschätzung des Bezirks, dass „Schankvorgärten vor ‚Spätis‘ anders als vor Bäckereien, Fleischereien und Feinkostläden vor allem während der Nachtruhezeiten zu größeren Personenansammlungen führten“, sei nachvollziehbar; die Folge seien Lärmbelästigung und eine partyähnliche Stimmung. Daher gehe der Bezirk, so das Gericht, weder willkürlich noch gleichheitswidrig vor (VG 1 L 228/20).
Aber noch gibt es Hoffnung: Gegen den Beschluss kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingelegt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!