Strand oder Schnee: „Es gab immer diese Parallelwelt“

Frank Böttcher hat aus dem Schneewinter von 1978 einen Beruf gemacht. Er ist Chef des Instituts für Wetter- und Klimakommunikation, ohne Meteorologe zu sein.

Findet Hagelsturm auf der Autobahn super: Frank Böttcher. Bild: DPA

taz: Herr Böttcher, wie warm haben Sie es am liebsten?

Frank Böttcher: Es gibt zwei Temperaturen, die mir besonders gefallen: einerseits ungefähr 25 Grad mit Sonne mit etwas Wind. Gleichzeitig bin ich ein großer Freund von minus 3 Grad mit schönem dickem Schneetreiben.

Eine seltene Kombination.

Vermutlich. Für „25 Grad, Sonne, trocken, wenig Wind“ bekäme ich sicher die absolute Mehrheit und könnte eine stabile meteorologische Regierung bilden. Meine Schneesturm-Liebhaberei würde aber wohl nicht die Fünf-Prozent-Hürde schaffen.

Die meisten Deutschen begrüßen also den Klimawandel.

Das ist tatsächlich eine Crux. Den Temperaturanstieg, den der Klimawandel bewirken wird, finden viele gut. Da höre ich dann: „Wenn die Temperaturen ein bisschen steigen, ist es hier in Norddeutschland so schön warm wie in Paris!“ Diese Haltung macht es schwer, das Thema zu kommunizieren. Aber wir müssen ja auch über den Tellerrand gucken.

45, Werbekaufmann und Wettermoderator, erfand 1999 den "Wetterspiegel", eine der ersten Internet-Wetterseiten überhaupt. Er ist auch Mitbegründer von Klimabotschafter e.V. und Geschäftsführer des Hamburger Instituts für Wetter- und Klimakommunikation, das Radio- und Fernsehsender mit Wetterprognosen beliefert. Außerdem ist er im Hamburg-Vorstand der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft. Vor wenigen Wochen hat er - gemeinsam mit Sven Plöger - den Band "Klima-Fakten" herausgegeben.

Wurden die Menschen im Kongo eigentlich mal gefragt, wie sie den Klimawandel finden?

Vielleicht. Ich habe aber keine Information darüber.

Ist die Sehnsucht nach Wärme das wahre Motiv der Klimaskeptiker hierzulande?

Möglich. Aber es steckt auch Lethargie dahinter. Wir reden uns gern ein, dass wir gar nicht fähig sind, einen Klimawandel zu verursachen. Wir haben Angst, verantwortlich zu sein und gegensteuern zu müssen. Denn das könnte eine Veränderung unseres Lebensstils bedeuten, und da mag sich niemand bevormunden lassen. Ich glaube tatsächlich, dass man den sorgsamen Umgang mit Ressourcen nicht über Verbote erzwingen kann.

Dann ist es ja in Ordnung, dass die Politiker fast nichts tun.

Das wiederum glaube ich nicht, weil sie schon eine ordnungspolitische Aufgabe haben. Der Klimawandel wird global eine ähnliche Bedeutung haben wie in Deutschland der demographische Wandel. Wir werden im Süden so große Hitzewellen bekommen, dass noch mehr Menschen in die gemäßigteren Breiten des Nordens migrieren.

Was kann die Politik da machen?

Nachhaltiger Klimaschutz funktioniert wohl nur übers Geld: Produkte, die schädlich sind für den Globus, weil sie Ressourcen verbrauchen, müssten teurer sein als solche, die die Umwelt schonen.

Zögern die Politiker also auch aus finanziellem Kalkül?

Ich glaube, das liegt eher daran, dass der Zeithorizont des Klimawandels viel größer ist als eine Legislaturperiode. Wenn wir es per Gesetz schaffen würden, CO2 ab sofort aus der Atmosphäre zu verbannen, würden wir in den nächsten 30 Jahren kaum etwas davon merken, wie Modelle zeigen. Dieser Zeithorizont macht es schwer, eine Investitionsbereitschaft zu erzeugen.

Und wie sind Sie zur Meteorologie gekommen?

Auslöser war die norddeutsche Schneekatastrophe von 1978/79. Ich war damals zehn und extrem begeistert, weil der Schnee etwas schaffte, was ich als Kind nie hinbekommen hatte: Die Schule fiel vier Tage lang aus. Danach waren der Schneesturm und ich dicke Freunde, und ich wollte unbedingt wissen, wie das funktioniert. Ich wollte lernen, zu sehen, wann das wieder passiert, damit ich mich drauf freuen kann.

Aber Sie haben nicht Meteorologie studiert.

Ja, es war nie Zeit dafür. Als Jugendlicher habe ich einige Praktika im Seewetteramt gemacht, da sagte der Chef: „Ich schlage vor, Sie studieren Meteorologie, und dann kommen Sie zu uns in den gehobenen Dienst und machen Vorhersagen.“ Ich hab’ ihm gesagt, dass ich mehr Lust habe, Wetter im Fernsehen zu machen – das hatte ich im offenen Schülerkanal schon gemacht. Da lehnte er sich zurück und sagte: „Das kann gar nicht funktionieren! Die BRD ist viel zu klein für interessantes Wetter, und in den öffentlich-rechtlichen Sendern bekommen Sie nicht eine Sendesekunde!“

Stimmte das?

Ich habe mir dann erstmal andere Dinge angeeignet, um mein Ziel auf anderen Wegen zu erreichen. Ich habe Werbekaufmann und Werbetexter gelernt und in kaufmännischen Berufen gearbeitet. In der Parallelwelt gab es aber immer den rote Faden „Meteorologie“ – bis ich irgendwann mit der eigenen Firma die Gelegenheit hatte, das Thema Wetter wieder für mich zu entdecken.

Hat sich Ihre Haltung zum Wetter durch Ihren Beruf verändert?

Meine Leidenschaft für die Dynamik des Wetters und der Respekt vor Naturgewalten sind gewachsen. Mich fasziniert immer wieder die unglaubliche Dynamik, die Tornados und Gewitterzellen entwickeln können. Und ich finde es großartig, wenn ich auf der Autobahn in einen starken Hagelschauer gerate!

Was halten Sie von Bauernregeln? Konnten die Leute das Wetter früher besser vorhersagen?

Bauernregeln haben ja eine bestimmte Geschichte. Die Siebenschläfer-Regel zum Beispiel stammt aus dem Österreichisch-Ungarischen. Und sie wurde wahrscheinlich nicht von Bauern gemacht, sondern von Mönchen, die dort viele Jahrhunderte lebten und Agrarwirtschaft betrieben. Sie haben gelernt: Wenn sich im Frühsommer eine Wetterlage einstellt, ist sie über Wochen relativ stabil. Tatsächlich hat die „Siebenschläfer“-Regel in Österreich-Ungarn eine Eintrittswahrscheinlichkeit von über 80 Prozent.

In Norddeutschland nicht?

Nein.

Wie kommt sie dann hierher?

Ja, das ist interessant: Weil diese Bauernregel im Österreich-Ungarischen relativ plausibel ist, wurde sie im deutschen Sprachraum weiter verbreitet und wanderte bis an die Elbe. Hier hat sie allerdings nur noch eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 55 Prozent. Allerdings kann man mit Bauernregeln keine konkreten Vorhersagen treffen, sondern nur Trends angeben.

Sie haben kürzlich das Buch „Klimafakten“ ediert. Sind Sie Mahner oder Missionar?

Weder noch. Mir geht es darum, dass wir die Informationen neutral aufbereiten. Ein großer Teil davon ist nämlich interessengesteuert. Denn die Resultate der Klimaforschung sind von so großer Tragweite für fast alle gesellschaftlichen Bereiche, sodass von den betroffenen Gruppen starke Impulse ausgehen.

Zum Beispiel?

Ein Energiekonzern sagt: Wir glauben nicht, dass CO2 eine große Wirkung hat. Und sie denken: Wir wollen Zeit gewinnen und weiterhin viel Geld verdienen. Das tun wir in erster Linie, indem wir nichts verändern. Deshalb zeichnen Konzerne immer wieder andere Szenarien, um einen breiten Diskurs zu erzeugen. Solange man diskutiert, handelt man nämlich nicht.

Ihr Buch beendet den Diskurs?

Nein, aber es versachlicht ihn vielleicht. Die Frage ist ja: Wie informiere ich mich unabhängig? Und wir haben geschaut, was kann man belegen? Es ist zum Beispiel nicht leicht festzustellen, wie viel Eis auf Grönland schmilzt, weil es verschiedene Messmethoden gibt: durch Satellitenbeobachtung oder durch die Messung von Gravitationsveränderungen. Der Trend ist gleich, aber die Ergebnisse variieren. Wir haben auch gefragt: Wer zählt die Eisbären? Und wo nimmt deren Population ab?

Nämlich?

Es zeigte sich, dass wir gar nicht über alle Eisbären Bescheid wissen. Ein großer Teil von ihnen lebt in russischen Gewässern, und da dürfen Forscher gar nicht hin, um zu zählen. Da gibt es weiße Flecken auf der Karte, und das ist wichtig zu wissen.

Ist Klimaschutz für Sie auch eine moralische Kategorie? Gehört er ins Grundgesetz?

Ob er ins Grundgesetz muss, weiß ich nicht; wichtig ist ja nicht das Papier, sondern die Tat. Die wird allerdings dadurch erschwert, dass Klimaschutz in Deutschland zum Beispiel nicht gemeinnützig ist, Umweltschutz dagegen schon. Wir brauchen also einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass Klimaschutz der Gemeinschaft gut tut. Solange wir den nicht erzielen, klingt es, als sei Klimaschutz ein interessengeleitetes Privatvergnügen wie der Verkauf von Limonade.

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