Strafrecht: Kein Zurückweichen vor Muslimen
Wie eine Staatsanwältin ins Visier von Islamkritikern geriet, obwohl sie nur das Bundesverfassungsgericht zitierte.
FREIBURG taz Muss das Strafrecht gegenüber religiös motivierten Tätern "zurückweichen"? Dies scheint ein Bescheid der Staatsanwaltschaft Hamburg nahezulegen, den Islamkritiker gern zitieren.
Anlass des Bescheids war eine Strafanzeige. In einem längeren Traktat forderte eine Frau namens Jutta S., die Justiz möge gegen gegen die "Verbreitung des Islam" in Deutschland vorgehen. Das heilige Buch der Muslime rufe unter anderem zum Mord an Ungläubigen auf. Zitiert werden Suren, die sich auf konkrete kriegerische Konflikte aus der Frühzeit des Islams beziehen.
Die islamfeindliche Webseite "politically incorrect" machte im August die Antwort der Hamburger Staatsanwaltschaft bekannt. In einem Bescheid von Oberstaatsanwältin Kühne heißt es wenig überraschend, die Verbreitung des Islams sei von der Religionsfreiheit gedeckt. Der Absatz am Ende des Schreibens sorgte jedoch für Empörung. Das Recht auf Religionsfreiheit müsse "immer dann zu einem Zurückweichen des Strafrechts führen, wenn der konkrete Konflikt zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen bestehenden Rechtspflicht und einem Glaubensgebot den Täter in eine seelische Bedrängnis bringt, der gegenüber sich die kriminelle Bestrafung als eine übermäßige und daher seine Menschenwürde verletztende soziale Reaktion darstellen würde".
Die Webseite "politically incorrect" quoll vor wütenden Kommentaren über. "Wenn ich das richtig verstehe, darf das Strafrecht einen Moslem nicht belangen, wenn dieser überzeugend vermittelt, dass er es für seine Pflicht hielt, den Ungläubigen zu köpfen", argumentierte etwa ein Diskutant. Mehr als 200 Protest-Mails gingen daraufhin bei der Staatsanwaltschaft ein. Auf Anfrage bestätigte Pressesprecher Rüdiger Bagger die Echtheit des Bescheids vom 6. Juni 2006. "In der Sache stehen wir dazu", erklärte er weiter.
Was die empörten Islamfeinde übersehen haben: Das Strafrecht muss nur zurücktreten, wenn eine Sanktion "übermäßig" wäre. Wer einen Andersdenkenden tötet, hat keinerlei Strafrabatt zu erwarten, schließlich schützt das Grundgesetz auch das Leben und die Freiheit der Nichtmuslime.
Das Zitat von Staatsanwältin Kühne stammt ursprünglich vom Bundesverfassungsgericht. Dort ging es um eine strenggläubige Christin, die nach einer Geburt mit viel Blutverlust lieber beten wollte, als ins Krankenhaus zu gehen - und alsbald starb. Ihr ebenso gläubiger Ehemann wurde wegen unterlassener Hilfeleistung zu 200 Mark Geldstrafe verurteilt, weil er nicht versucht hatte, seine Frau umzustimmen. Die Verfassungsrichter hoben die Strafe 1971 mit Blick auf die Religionsfreiheit auf.
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