Straffällige sanieren eine Berliner Schule: Schöne Schmierenkomödie
Im Rahmen einer „Arbeit statt Strafe“-Maßnahme haben seit November 2014 rund 60 straffällig gewordene Männer eine Charlottenburger Grundschule saniert.
Schultheater kann manchmal eine recht zähe Angelegenheit sein. Man klatscht folgsam in die Hände und nutzt den Moment, um möglichst unauffällig einen Blick auf die Armbanduhr zu werfen. Im Vergleich dazu war das schon großes Kino, wie die GrunewaldschülerInnen am Dienstag ihr frisch saniertes Schulgebäude feierten.
Genauer gesagt: Es war eine überzeugend gespielte Schmierenkomödie. Und das lag nicht an der soliden Leistung des Blockflötenchors („Oh when the Saints“) und Lehrerin Schimmelpfennig am Klavier. Die Kinder und Frau Schimmelpfennig waren toll.
Warum also mochte man am Dienstag trotzdem nicht in die Hände klatschen? Im Rahmen einer sogenannten „Arbeit statt Strafe“-Maßnahme hatten seit November 2014 60 straffällig gewordene Männer die Charlottenburger Grundschule saniert: die Aula, die Klassenräume und Flure gestrichen, undichte Fenster ausgetauscht. Der Bezirk hatte sich dafür mit der Straffälligen- und Bewährungshilfe Berlin e. V. zusammengetan, die die Arbeiten koordinierte.
Klingt also erst mal nicht schlecht: Menschen, die zu einer kleineren Geldstrafe verurteilt wurden – wegen notorischen Schwarzfahrens etwa –, die sie aber nicht zahlen können, wandern nicht etwa ins Gefängnis, sondern können ihre Schulden „gemeinnützig“ abarbeiten. Das mag tatsächlich ein ganz netter Deal sein für die Männer, wenn man Projektleiter Thomas Grünig glaubt, der von „Pünktlichkeit, Verbindlichkeit und sozialen Kompetenzen“ erzählt, die man beim Schule-Anmalen lerne.
Das Problem: Vor allem ist die Aktion auch ein guter Deal für den Bezirk. Denn der Sanierungsstau bei den Berliner Schulen geht bekanntlich in die Milliarden, wie viele genau es sind, weiß niemand – die Bauämter kommen aus Personalmangel bei der Feststellung des Sanierungsbedarfs nicht hinterher. Da ist es natürlich schön, wenn die Straffälligenhilfe quasi für lau eine Schule nach der anderen im Bezirk wieder aufhübscht.
„Optimismus, Lebensfreude!“, rief also Schulleiterin Ruth Stephan angesichts ihrer orangefarbenen Aula am Dienstag ins Mikrofon. Und Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann berichtete sichtlich beglückt von gestrichenen Quadratmetern und gesparten Euros.
Ist ja auch toll, oder? Kein Geld im Haushalt, kein Personal in den Bezirken, aber was soll’s, da marschieren ja schon die Knackis heran. Oh when the Saints … Insofern: Applaus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“