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berliner szenenStolz geht vor Sucht

Der Flippersportler

Es ist Mittag, zwölf Uhr. B., der arbeitslose Freund und Historiker, kommt vorbei. Er hat die Nacht durchgemacht; aufgedreht sitzt er in der Sonne in der Küche und verbreitet einen gewissen Enthusiasmus. Er sagt, er sei sauer, und raucht gut gelaunt erst mal einen. Dann erzählt er von der vergangenen Nacht.

Anderthalb Jahre lang war er fast jeden Tag in dieser gemütlich verrauchten Kreuzberger Langhaarigenkneipe gewesen; anderthalb Jahre hatte er dort fast jeden Abend zwischen neun und zwölf geflippert. In der ewigen Wertung des „Theatre of Magic“ belegte er die Plätze 2–10 und stand kurz vor dem Highscore, dem Traum jedes Flippersportlers. Gestern also sei er wieder in der Kneipe gewesen, nur um mal zu gucken, ob das Spielgerät, das ein paar Tage kaputt war, wieder heil ist. Ein Flipperspezialist der Aufstellerfirma habe sich an dem Gerät zu schaffen gemacht. B. sei zu ihm hingegangen, habe ihn bei der Reparatur beobachtet, und statt sich auf eine interessante Fachsimpelei einzulassen, sei der „Prollberliner“ unwirsch gewesen und habe ihn weggeschickt.

„Das musst du dir mal vorstellen. Dieses Nukleararschloch! Ich steck da im Jahr ungefähr 1.500 rein. Der lebt also von mir, der braucht ja nur 15 Typen wie mich zum Leben im Jahr, und ich muss mich nun von diesem Nukleararschloch anblöken lassen wie auf dem Kasernenhof. Ich geh da nie mehr flippern.“ Nicht nur das: Er werde alle Flipper der Firma boykottieren. Da habe er seinen Stolz, und Stolz geht vor Sucht. Eine verständliche Entscheidung, aber auch ein bisschen schade. Viele kennen ja Popstars, Künstler oder Radiomoderatoren, aber kaum jemand kann einen Highscorebesitzer seinen Freund nennen.DETLEF KUHLBRODT

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