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Stoiber stänkert

■ Der bayerische Ministerpräsident stellt erneut die Notwendigkeit der deutsch-tschechischen Erklärung in Frage

München (AFP/taz) – Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) hat die Notwendigkeit einer deutsch-tschechischen Versöhnungserklärung wieder in Frage gestellt. Stoiber sagte vorgestern abend vor Journalisten in München, auch ohne die sogenannte Schlußstricherklärung werde sich die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Bonn und Prag nicht „dramatisch verschlechtern“. Zugleich äußerte er Zweifel an dem Plan der Bonner Regierung, die Erklärung bis zum Jahresende fertigzustellen. Wenn dieses Datum nicht eingehalten werden könne, würden die deutsch- tschechischen Beziehungen nicht leiden. Die Erkärung käme dann „vielleicht in einem oder drei oder fünf Jahren“. Demgegenüber erklärte ein Sprecher des Außenministeriums gestern, es bleibe bei den bisherigen Aussagen.

Anfang September hatte Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) angekündigt, daß die Erklärung „noch in diesem Jahr“ verabschiedet werde. Darin sei sich die Koalition einig. Nun betont Stoiber, es sei das gute Recht des Bundeskanzlers, die Erklärung bis zum Jahresende einzufordern. Er respektiere das, sei aber „davon ausgegangen, daß man da noch eine ganze Weile braucht“. Er selbst stehe nicht unter Zeitdruck. Kohl und Außenminister Klaus Kinkel (FDP) hätten anders als er ein besonderes Interesse am baldigen Abschluß der Erklärung. Stoiber bestätigte, daß in dieser Angelegenheit Differenzen zwischen Union und FDP bestehen.

Diese Differenzen schienen allerdings bereits weitgehend ausgeräumt, nachdem die Koalitionsparteien am 12. September drei Stunden über das Vertragswerk beraten hatten. Seinerzeit hatte Stoiber erklärt, „alles in allem kann man so weiterarbeiten“. Er werde der Erklärung zustimmen, wenn drei Ergänzungen im Text erreicht und „zwei wichtige formelle Positionen“ erfüllt würden. Diese Positionen beinhalteten, daß Außenminister Kinkel als Verhandlungsführer mit Vertretern der Sudetendeutschen reden solle sowie die Einrichtung deutsch-tschechischer Gesprächsforen.

Am Dienstag abend sagte Stoiber, er wisse nicht, warum Kinkel offenbar noch immer nicht die Sudetendeutschen über den Stand der Verhandlungen informiert habe, wie dies in dem Koalitionsgespräch vereinbart worden war. Ob es einen Gesprächstermin gibt, wisse er nicht, er sei „nicht das Kindermädchen von Kinkel“. Zuvor hatte der Präsident des Bundes der Vertriebenen, Wittmann, sich in Prag gegen die Versöhnungserklärung ausgesprochen.

Doch nicht nur bei der CSU und den Vertriebenen, sondern auch in Tschechien wächst der Widerstand gegen den „Durchbruch“ bei den Verhandlungen, den Staatspräsident Václav Havel bereits vor zwei Wochen ausgemacht hatte. Bei einem Gespräch tschechischer Spitzenpolitiker am 14. Oktober waren Vorbehalte laut geworden. Wie Havel hernach erklärte, richteten sie sich vor allem gegen einen Begriff, „der in der deutschen Übersetzung unerwünschte Assoziationen erwecken kann, die wiederum unsere Öffentlichkeit beunruhigen könnten“. Dabei geht es um den Begriff, auf den sich die Unterhändler geeinigt hatten, um das Schicksal der Sudetendeutschen zu umschreiben. Prag will den Terminus „Vertreibung“ vermeiden, schon um Rechtsansprüchen der Sudentendeutschen die Grundlage zu entziehen. Deshalb sprechen die Tschechen von „Abschub“ oder „Transfer“, was wiederum die Sudetendeutschen verbittert. Dem Vernehmen nach hatte man sich wegen der Vorbehalte auf den Begriff „Zwangsaussiedlung“ geeinigt. Daraufhin hatte der Parlamentspräsident Milos Zeman bestritten, daß die Deklaration schon fertig sei und gefordert, daß die tschechische Seite, zwar die Gewaltexzesse, nicht jedoch die Vertreibung an sich bedauern könne.

Auch Stoiber fand vorgestern „einige Punkte“, die strittig seien. Ob dazu diese zentrale Formulierung gehört, sagte er nicht. dr

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