■ Symposium in Österreich zeigt Raschelforschern Grenzen auf: Störungen durch Unschärferelation
Ampflwang (taz) – Es war ein raschelndes Ereignis, als sich letztes Wochenende führende Raschelforscher aus aller Welt zum interdisziplinären Symposium in Österreich trafen. Thema der Konferenz in der Abgeschiedenheit des Karwendelgebirges: Sinn und Wesen des Raschelns. Unter den Wissenschaftlern waren Biologen, Soziologen und Geographen, sowie Historiker, Germanisten und Seismographen.
Es raschelt der Mensch seit Jahrmillionen, doch erst mit der Erfindung des Feuers gelang es ihm, das Rascheln zu delegieren: der Mensch konnte es sich fortan leisten, untätig abzuhängen und rascheln zu lassen. Höhepunkt des Symposiums war aus diesem Grund auch das gemeinsame unentwegte Starren in die Flammen und Funken eines weithin sichtbaren Feuers.
Die Kunst des selbständigen, aktiven Raschelns wurde indes ständig weiter verfeinert: Gutenberg beliebte beim Umblättern der Bibelseiten zu rascheln, in der u.a. beim Evangelisten Johannes zu lesen stand: „Und raschelt ihr nicht wie die Kinder, werdet ihr nie ins Himmelreich gelangen.“ Als erstes Spielzeug verantwortungsbewußter Eltern für ihr Kind hat sich demzufolge die Rassel (frühneuhochdeutsch „Raschel“) durchgesetzt: ein Werkzeug, mit dem sich ohne Sachkenntnis rigoros rascheln läßt (und mit dem später die Väter in der Westkurve stehen).
Heute ist das Rascheln aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken: Ob der Hell's Angel, der Straßenarbeiter oder der Chirurg – in allen Lebensbereichen wird nach Leibeskräften geraschelt. Es raschelt der Mensch, es raschelt das Tier, es rascheln die Weltmeere. Es raschelt selbst der Kosmos: In der Eifel steht deshalb ein Riesenteleskop, dessen Schirm dreimal so groß ist wie ein Fußballfeld. Die Astrologen ließen sich jedoch für die Konferenz mit Ohrensausen entschuldigen: Berufskrankheit, wen wundert's?
Die Technik macht es möglich, daß das Rascheln gegenwärtig in nie für möglich gehaltene Dimensionen vorstößt. Heute kann jeder Obsthändler mit einer einzigen dieser neuartigen dünnen, reißfesten Plastiktüten eine Lautstärke erreichen, für die unsere Großväter noch eine Dampflokomotive benötigten. Der Raschelkoeffizient (entspricht in etwa dem physikalischen Begriff des Wirkungsgrads) dieser „Wundertüten“ strebt gegen 1, d. h., fast 100 Prozent der zugeführten Bewegungsenergie können in Schallwellen umgewandelt werden. Wohin wird das führen, wenn diese Entwicklung anhält? Vor allem an die Grenzen der noch jungen Raschelforschung: Diese Frage blieb in der Falkenhütte unbeantwortet.
Beim Debriefing im Gasthof im Tal gab es noch eine große Überraschung: Es stellte sich heraus, daß nur knapp die Hälfte der Teilnehmer des Symposiums überhaupt wußten, daß das Rascheln Thema des gemeinsam verbrachten Wochenendes gewesen war. Übertriebenes Dauerrascheln („excessive rustling“) hatte die Kommunikation gestört.
Ein ähnliches Dilemma kennen wir aus der Atomphysik. Nobelpreisträger Werner Heisenberg hat es 1927 in seiner „Unschärferelation“ beschrieben: Der Physiker kann entweder die Geschwindigkeit eines Elektrons exakt messen oder aber seinen Aufenthaltsort, das Orbital, nie jedoch beides gleichzeitig (weil die Meßanordnung unvermeidlicherweise eine der beiden zu messenden Größen beeinflußt). Der Forscher muß sich jedesmal entscheiden, welche der Größen er (mit beliebiger Genauigkeit) ermitteln will. Das scheint aufs Rascheln übertragbar: Entweder die Forscher verzichten auf die konkrete Ausübung des Raschelns und können somit untereinander prima parlieren (aber nur über theoretische Belange ohne Praxisbezug), oder aber sie praktizieren das Rascheln, können sich so kaum mehr verständigen und bleiben darob ohne theoretischen Hintergrund. Ein Teufelskreis!
So steht zu befürchten, daß die Raschelforschung noch lange in den Kinderschuhen steckenbleibt. Ein wenig tröstlicher Ausblick! Denn wer weist jetzt den von sich selbst berauschten Raschler in die Schranken, der heute abend im Kino wieder eine Reihe hinter Ihnen sitzen wird, in der Hand eine Tüte Gummibärchen mit Raschelkoeffizient einskommanull? Norbert Link
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