Stimmung unter Deutschtürken: „Eine Mehrheit ist für Erdogan“
Von vielen deutschen Türken wird der Ministerpräsident unterstützt, glaubt Hilmi Kaya Turan – der mit 53 zum ersten Mal wählt.
taz: Herr Turan, mal eine unverschämte Frage zum Anfang: Wie alt sind Sie?
Hilmi Kaya Turan: Ich bin 53.
Nun wählen Sie das erste Mal. Was ist das für ein Gefühl?
Ich empfinde es als Verantwortung, sein Wahlrecht wahrzunehmen. Wohl deshalb habe ich mich im Grunde selbst dabei ertappt, wie ich mich jetzt in das türkische Wahlregister eingetragen habe. Ich war mir vorher gar nicht so sicher, ob ich an diesen Wahlen teilnehmen will. Übrigens teile ich diese Erfahrung mit meiner jüngsten Tochter. Sie wird mit 27 Jahren das erste Mal wählen. An deutschen Wahlen können wir nicht teilnehmen, weil wir nicht deutsche Staatsbürger sind; an türkischen nicht, weil man vom Ausland aus bislang nicht mitwählen konnte.
Wieso sind Sie nie Deutscher geworden?
In den 80ern und 90ern haben wir mit der Gewerkschaft für das kommunale Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer gekämpft. Ich war der Meinung, dass ich nicht diese Forderung stellen und die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen kann.
Und wieso beantragen Sie sie nicht jetzt?
Weil ich nach dem Staatsbürgerschaftsrecht dann meinen türkischen Pass abgeben müsste. Nicht, dass mir die türkische Staatsbürgerschaft heilig wäre – aber das sehe ich nicht ein.
53, lebt seit über 40 Jahren in Berlin. Er war bis März Sprecher des Türkischen Bundes Berlin Brandenburg (TBB).
Manche Politiker hier möchten jetzt in der Teilnahme in Deutschland lebender TürkInnen an den türkischen Wahlen einen Beleg für deren Integrationsverweigerung erkennen.
Das Gegenteil ist richtig: Hier wurde es sträflich vernachlässigt, MigrantInnen für die Einbürgerung und politisches Engagement in Deutschland zu gewinnen. Sie sind keine Integrationsverweigerer. Sie werden ausgeschlossen.
2013 haben die Proteste um den Gezipark in Istanbul auch die Stimmung zwischen den politischen Lagern unter den türkeistämmigen MigrantInnen hier aufgeheizt. Für die Wahl jetzt durfte in Deutschland kein Wahlkampf geführt werden. Wie ist die Stimmung bei den potenziellen WählerInnen?
Bei den Geziprotesten gab es Straßenkämpfe in der Türkei. Die Stimmung dort hat auch hier Auswirkungen gezeigt. Aber das kann man mit der Stimmung um die jetzige Wahl nicht vergleichen: Da spielt sich hier nichts Sichtbares ab. Wahlkampf gibt es aber, über soziale Netzwerke und Medien, vor allem das türkische Staatsfernsehen – dort sehr einseitig für Erdogan. Ich rechne auch bei den hiesigen Wählern mit einer Mehrheit für ihn.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften