Stigmatisierende Kontrollen: Polizei räumt Fehler ein
Die Hamburger Polizei gibt vor dem Verwaltungsgericht erstmals die Rechtswidrigkeit eines Racial-Profiling-Einsatzes zu. Trotzdem will sie damit weitermachen.
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Seit über zwei Jahren kontrolliert die Polizei Menschen mit dunkler Hautfarbe verdachtsunabhängig, mit dem Ziel, die offene Drogenszene in den Stadtteilen St. Pauli und St. Georg einzudämmen. Umstritten ist diese Praxis vor allem deshalb, weil sie Menschen wegen eines bestimmten äußeren Merkmals unterschiedslos unter Generalverdacht stellt. Die damit einhergehende Stigmatisierung wird als Racial Profiling bezeichnet.
Im konkreten Fall war der Togolese von zwei PolizistInnen angehalten worden, als er am 9. Januar mit einem Freund auf den Weg nach Hause war. Das Gebiet zwischen Reeperbahn und Hafenstraße ist von der Polizei als „Gefährlicher Ort“ deklariert worden, weil hier gedealt wird. Diese Kontrolle hat die Polizei nun in einem ersten Prozess vor dem Verwaltungsgericht als „rechtswidrig“ anerkannt. Weil keine weiteren Auffälligkeiten vorgelegen hatten, sei diese Kontrolle nicht verhältnismäßig gewesen. Für den Anwalt des Betroffenen und Verfassungsexperte Carsten Gericke ist das ein Novum: „Das ist das erste Urteil in Sachen Racial Profiling in Hamburg“, sagt er.
Die vorausgegangene Kontrolle im November verteidigt die Polizei hingegen. Damals war John auf einem Fahrrad unterwegs und an einer Ampel von mehreren Zivilfahndern angehalten worden, weil die Beamten hier Personenkontrollen durchführten. Obwohl John beteuerte, auf dem Weg von der Schule nach Hause zu sein, seinen Rucksack mit Schulbüchern und seine Aufenthaltsbestätigung zeigte und sich sogar eine Nachbarin für ihn einsetzte, brachten sie ihn im Streifenwagen zum Revier.
Werden Menschen auf der Grundlage des Erscheinungsbilds – also etwa Hautfarbe oder Gesichtszüge – für polizeiliche Maßnahmen wie Personenkontrollen, Ermittlungen und Überwachungen herangezogen, nennt man das Racial Profiling.
In Artikel 3 des Grundgesetz heißt es: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (...) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft (...) benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Die Task Force Drogen agiert seit April 2015 mit Schwerpunkteinsätzen in den Hamburger Stadtteilen St. Pauli, St. Georg und dem Schanzenviertel.
Grundlage für diesen Einsatz ist das Polizeigesetzes (PolDVG) zur Gefahrenabwehr, darin ermöglicht Hamburg verdachtsunabhängige Kontrollen an bestimmten Orten.
Ein Hauptaugenmerk richtet die Sondereinheit auf St. Pauli auch ohne konkrete Anhaltspunkte auf Schwarzafrikaner, da sie der Kleindealerszene angehören könnten.
Die Zivilfahnder räumen zwar ein, im Rahmen des Schwerpunkteinsatzes der „Task Force Drogen“ im Einsatz gewesen zu sein. Gleichzeitig betonen sie aber, dass die Kontrolle nicht auf der Grundlage des entsprechenden Polizeigesetzes erfolgt sei. Weil John mit dem Rad auf dem Gehweg gefahren sei, hätten sie vielmehr eine Verkehrsordnungswidrigkeit verfolgt. Den Beamten zufolge sei die Ingewahrsamnahme zwecks aufenthaltsrechtlicher Überprüfung erfolgt, argumentiert die Polizei vor dem Verwaltungsgericht.
Der Hamburger Anwalt Carsten Gericke hält das für eine Ausrede: In seinen Augen diene der Verweis auf die Straßenverkehrsordnung vielmehr dazu, eine verfassungsrechtliche Überprüfung des Racial Profilings nach dem Polizeirecht zu verhindern.
Eine ähnliche Erfahrung hat auch der Hamburger Anwalt Lino Peters gemacht. Auch sein Mandant sei Opfer einer grundlosen Kontrolle geworden. In diesem Fall hatte ein Polizeischüler den dunkelhäutigen Mann an der Hafenstraße beobachtet, wie er einem hellhäutigen Mann zur Begrüßung die Hand gereicht hatte. Er schloss daraus, dass es sich dabei nur um eine Drogenübergabe gehandelt haben kann und alarmierte seine KollegInnen.
Doch bei einer Durchsuchung fanden sie nichts. Für den Anwalt ist klar: „Die Grundlage für den Einsatz wie auch der Grund für die Verdächtigung waren rassistisch“, sagt Peters. Bei weißen Menschen würde so etwas nicht passieren.
Bei verdachtsunabhängigen Kontrollen zur Abwehr von Gefahren handelt es sich um einen Eingriff in die Grundrechte, bei denen oft die Grundlage fehle, sagt Johns Anwalt Gericke. „Die Polizei weiß genau, sobald sie mit einer Maßnahme nicht in den strafrechtlichen Bereich kommt, muss sie die Maßnahme polizeirechtlich begründen“, erläutert er. Das könnte schwierig werden.
Die Polizei begründete die Kontrollen mit dem Verweis auf das 2001 ausgerufenen Gefahrengebiet. Doch solche Gefahrengebiete wurden bereits im Mai 2015 vom Hamburgischen Oberverwaltungsgericht gleich in mehrfacher Hinsicht für verfassungswidrig erklärt: Sie verstoßen gegen das rechtsstaatliche Bestimmungsgebot und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Inzwischen ist das Polizeirecht zwar entsprechend geändert worden, doch aus den „Gefahrengebieten“ sind nun „Gefahrenorte“ geworden. Während als ein solcher Ort bislang eine Straße oder ein Platz gefasst wurden, kann nun auch ein größeres Gebiet zum gefährlicher Ort erklärt werden. „Mit der Neuregelung sind die Defizite, die das Oberverwaltungsgericht angemahnt hatte, keineswegs obsolet“, betont Anwalt Gericke.
Auch wenn die rassistischen Kontrollen an der Hafenstraße in den letzten Monaten abgenommen haben, sei die Situation noch immer „besorgniserregend“, sagt ein Aktivist von der Anwohnerinitiative Balduintreppe. „Junge Männer, die hier wohnen und sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, werden kontrolliert, weil sie in dieses Raster passen“, sagt der Anwohner. „Das muss einfach aufhören, dass hat mit Drogenbekämpfung nichts zu tun.“
Die Hamburger Beratungsstelle „empower“ für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt kritisiert, dass schon die Einrichtung von „Gefährlichen Orten“ für rassische Gewalt Tür und Tor öffne. „In Fällen von Racial Profiling erleben die Betroffenen nicht nur die einzelne Situation der rassischen Kontrolle, sondern erfahren durch immer wiederkehrende Kontrollen kumulative Gewalterfahrungen, die schon im Einzelnen zu Erniedrigung, Ohnmacht und Traumatisierung führen können“, sagt eine Sprecherin der gewerkschaftlichen Beratungsstelle. Es sei daher wichtig, eine unabhängige Beschwerdestelle einzurichten.
* Name geändert
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