Stiftung Oper in Berlin: Die Traumfabrik der Bühnen
Beim Bühnenservice Berlin fertigen Handwerker:innen mehrerer Berliner Opernhäuser gemeinsam Kostüme und Kulissen. Auch hier drohen Kürzungen.
Und das ist kein Zufall. Nach der Wende durfte die wiedervereinte Stadt drei Opernhäuser zu ihrem Kulturschatz zählen – der Streit über deren Unterhalt dauerte über ein Jahrzehnt und endete in einem Kompromiss. Statt eines der Häuser zu schließen, sollte hinter den Kulissen gespart werden. „Durch die Zusammenlegung der Werkstätten wollte man Synergieeffekte schaffen“, erklärt der Geschäftsführer des Bühnenservice, Rolf D. Suhl, auf einer Führung durch die Produktionsstätten in Friedrichshain. Auf den langen Fluren hört man es sägen, hämmern oder tackern, es riecht nach Klebstoff und Farbe.
Zu den 60 Neuproduktionen im Jahr kommen Dutzende Wiederaufnahmen, für die Anpassungen und Aufarbeitungen nötig sind, weil etwa Tutus in Form gebracht, Ballettschuhe repariert oder Kulissen vergrößert werden müssen. Wenn es die Kapazitäten erlauben, wird auch für externe Auftraggeber produziert, etwa für andere Theater, Messebetriebe oder Künstlerateliers.
„Wir sind praktisch ganzjährig zu 100 Prozent ausgelastet“, sagt Suhl. „Vieles läuft parallel, und es ist ein großer logistischer Aufwand, die Abläufe abzustimmen. Aber es klappt: Diese Woche haben wir gleich zwei Premieren abgeschlossen.“
So effizient das ist: Für die Handwerker:innen ist die Arbeit intensiver und auch anstrengender geworden, berichtet die Leiterin der Kostümwerkstätten, Petra Hoffmann: „Früher haben wir, wie an Theatern üblich, immer auf eine oder zwei Premieren hingearbeitet. Dann hat man diesen Peak und macht viele Überstunden. Danach ist Pause, man kann aufräumen, zusammen einen Kaffee trinken und resümieren, was gut und schlecht war. Das ist heute leider nicht mehr möglich.“
Arbeiten wie am Fließband
Wie am Fließband arbeiten sie hier mit dem Ziel, das Maximalpensum zu erreichen. Auch die Räumlichkeiten erinnern an eine Fabrik, so schwebt über der Endfertigungshalle die Etage der Produktionsleiter:innen. Der Leiter der Dekorationswerkstätten, Peter Kohlsmann, prüft von hier oben etwa, ob die Bühnenelemente rechtzeitig abgeholt wurden und Platz für die nächsten Szenen ist. Deren Einzelteile warten in Schlosserei, Tischlerei und Malerei bereits darauf, montiert zu werden.
In der 1.400 Quadratmeter großen Halle ist auch die Plastikabteilung zugange, wenn ein Objekt nicht in ihre Räume passt, so wie die voluminösen Felsenplastiken für die Produktion „Ein Sommernachtstraum“ des Staatsballetts. Ein ambitioniertes Projekt – zum ersten Mal kommen nur nachhaltige Materialien zum Einsatz. „Normalerweise wird im Kulissenbau sehr viel Styropor verarbeitet“, erklärt Rolf D. Suhl. „Jetzt versuchen wir, stattdessen mit Holz und Pappe zu arbeiten. Statt der üblichen Polyurethan-Beschichtung nehmen wir Naturlatex.“
Bei einem der Felsen ist ein Bühnenplastiker schon dabei, die Farbe aufzutragen. Am Modell wurde zuvor ausprobiert, welchen Farbmix es braucht, um die Plastiken echt aussehen zu lassen. Wie aber sieht es mit der Statik aus? Ob der Felsen die Tänzer:innen am Ende auch trägt? „Das können wir alles vorher ausrechnen“, sagt Peter Kohlsmann. „Das muss ja nicht nur tragfähig, sondern auch stabil sein. Später hängt das in 30 Metern Höhe über den Tänzern.“
Sich auf neue Experimente einzulassen, gehört für Kohlsmann und sein Team zum Alltag. Eine Wand mit leuchtenden Augen, Laternenmäste, die plötzlich einknicken – für die Dekorationsabteilung ist das kein Hexenwerk. „Geht nicht, gibt's bei uns nicht“, sagt Kohlsmann.
„Ist das dem Haus zu teuer, wird reduziert“
Dass nicht jede Bühnenbildidee am Ende umgesetzt wird, liege an den Kosten, so der Werkstättenchef. „Auf Basis der Modelle der Bühnenbildner machen wir eine genaue Kalkulation. Ist das dem Haus zu teuer, wird reduziert.“ Aber wie schätzt man ein, wie viel Arbeitsstunden es für eine nie da gewesene Fantasiemaschine braucht? „Mit der Zeit weiß man das“, sagt Kohlsmann.
Erfahrung, die hat Peter Kohlsmann. Rund 36 Jahre arbeitet er bereits im Opernbetrieb, seinen Abschluss machte er 1988 an der Ostberliner Staatsoper. Mit der Wende kam die Unsicherheit, wie ein Damoklesschwert schwebte die Schließung eines der drei Opernhäuser über den Mitarbeiter:innen. „Das einzige Haus mit Minusbedarf war damals die Deutsche Oper“, erinnert sich Kohlsmann. „Aber die Politik konnte ja nicht das einzige Westhaus schließen.“
2004 wurde die Stiftung Oper in Berlin gegründet, mit der die drei Opernhäuser ein juristisches Dach bekamen, aus den drei Ballettcompagnien der Häuser wurde ein Staatsballett. Sechs Jahre pendelte Kohlsmann, damals Leiter der Schlosserei, zwischen den Werkstätten hin und her, bis 2010 schließlich ein gemeinsamer Standort bezogen werden konnte. Die ehemaligen Druckhallen des Neuen Deutschland nahe dem Ostbahnhof wurden eigens für den Bühnenservice umgebaut. „Ich habe den Platz jeder einzelnen Maschine mitentschieden“, berichtet Kohlsmann.
Wie der Dauer- und Parallelbetrieb der fusionierten Werkstätten praktisch aussehen sollte, mussten sich die Mitarbeiter:innen auch selbst ausdenken. „Das hat Jahre gedauert, bis wir uns fertig organisiert hatten“, erzählt Kostümchefin Petra Hoffmann. Schon im Stofflager lässt sich erahnen, was es bedeutet, für mehrere Häuser gleichermaßen zuständig zu sein. Für jedes Haus wird separat eingekauft, mit den fertigen Kostümen muss auch der kleinste Stoffrest zurück an den Auftraggeber. „Jeder Stoff hat einen andersfarbigen und genau beschrifteten Laufzettel“, erklärt Hoffmann. „Durcheinander kommen darf da nichts.“
Kostümbildner:innen als Therapeut:innen
In den sechs Kostümwerkstätten fertigen 16 Gewandmeister:innen Kostüme vom Schnittmuster bis zum Paillettenbesatz, auch Flügel, etwa einer Libelle, werden hier mit Stoff bespannt. Es gibt eine Farbküche, in der Stoffe gefärbt werden, nebenan werden Kostüme mit Flecken oder Patina versehen, um sie gebraucht oder alt aussehen zu lassen.
Zuständig ist die Abteilung für Kostümmalerei und Kostümplastik, die Kostüme auch vergoldet oder anderweitig veredelt. Braucht eine Figur einen dicken Bauch, wird dieser hier ebenfalls hergestellt. Alle schon vorhandenen und noch zu erfindenden Fußbekleidungen stellt hingegen die Schuhmacherwerkstatt her, die Abteilung „Hut und Putz“ kümmert sich um Hüte, Masken und Ziergut wie Fächer, Schmuck und Schirme.
Es gilt: Alles, was sich die Kostümbildner:innen erträumen und die Häuser bezahlen wollen, wird gemacht. Auch auf Wünsche der Darsteller:innen wird eingegangen. „Wir sind ein bisschen wie Therapeuten“, sagt Petra Hoffmann. „Wenn zum Beispiel der Chor Plastikkleider bekommt, so wie vor vielen Jahren an der Staatsoper, dann sind da über 80 Leute, die schimpfen: Da schwitze ich doch drin! Dann muss man beruhigen: Das wird noch, wir machen Löcher rein, dann geht das schon.“
Fühlt sich jemand mit seinem Kostüm partout nicht wohl, wird auch schon mal was anderes gezaubert. Petra Hoffmann sagt: „Wir heißen ja Bühnenservice. Diesen Namen tragen wir mit Stolz.“
Fusion ohne Change-Management
Gut 200 Mitarbeiter:innen beschäftigen die Werkstätten und die Verwaltung, dazu kommen 28 Auszubildende. Im Zuge der Fusion sind 80 Arbeitsplätze eingespart worden – ohne Kündigung, die Betroffenen wurden versetzt oder pensioniert. „An den menschlichen Aspekt wurde gar nicht gedacht“, berichtet Peter Kohlsmann.
Der Bühnenservice Berlin gehört der Stiftung Oper Berlin, die sowohl vom Land Berlin als auch aus Bundesmitteln finanziert wird. Die Produktionsstätte befindet sich Am Wriezener Bahnhof 1 in Friedrichshain. Auf dem alten Bunker im Zentrum des Gebäudekomplexes befindet sich eine Kantine, die auch für externe Gäste offen ist. Vom Hof aus bekommt man einen guten Einblick in das kreative Schaffen der Theaterdienstleister:innen.
Unter dem Hashtag #BerlinistKultur hat sich auch die Belegschaft des Bühnenservice den Protesten gegen die drohenden Sparmaßnahmen im Kulturbereich angeschlossen. Mehr Infos zu Aktionen, Petitionen und weiteren Unterstützungsmöglichkeiten auf www.berlinistkultur.de (keh)
Ein Change-Management, wie heute üblich, hat es nicht gegeben, Differenzen musste man unter sich ausmachen. Wobei der Ost-West-Unterschied weniger herausfordernd gewesen sei als die unterschiedlichen Arbeitsweisen, sagt Petra Hoffmann. So musste man sich etwa auf eine einheitliche Weise einigen, Maß zu nehmen. „Das war ein langer Weg, bis wir da zueinander gekommen sind“, sagt sie. „Aber es ist uns geglückt.“
Glück sieht man in so gut wie allen Gesichtern des Bühnenservice. Auch der Geschäftsführer zeigt sich zufrieden – die Zahlen und Ergebnisse stimmen. Rolf D. Suhl sagt: „Wir arbeiten extrem wirtschaftlich.“ Eine Erfolgsgeschichte also, die durch die aktuellen Entwicklungen jedoch bedroht ist.
Sollten Senat und Abgeordnetenhaus die angedrohten Einsparungen beschließen, so hieße das zehn Prozent weniger für die Kultur, mindestens – nach aktuellem Stand sind es sogar mehr. „Ich bin zwölf Jahre an diesem Haus, aber eine solche Planungsunsicherheit habe ich noch nicht erlebt“, sagt Suhl. „Zumal uns dies ja schon im nächsten Jahr treffen soll.“
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