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Stephan Weil über Wahl in Niedersachsen„Ich leide nicht an Ausschließeritis“

Für Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ist die Wahl am Sonntag „offen“. Eine GroKo sieht er kritisch. Die SPD müsse sich ändern.

Trotz Schietwetter optimistisch für die Wahl: SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil Foto: reuters
Andrea Scharpen
Interview von Andrea Scharpen

taz: Herr Weil, warum sollte CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann auf keinen Fall Ministerpräsident werden?

Stephan Weil:Seine politische Arbeit in Niedersachsen als Kultusminister bis 2013 ist vielen Köpfen in Erinnerung – und zwar in keiner guten. Sein Name steht für das Turbo-Abitur, für einen ideologischen Kampf gegen Gesamtschulen und für rechtswidrige Praktiken beim Aufbau des Ganztagsbetriebs. Das reicht.

Aber nach den momentanen Umfrageergebnissen wird er doch die Große Koalition anführen, oder nicht?

Dann wüsste die taz mehr als ich. Wir liegen in den letzten Umfragen gleichauf, das Rennen in Niedersachsen ist offen. Ich halte alles, was jetzt über mögliche Ergebnisse und Konsequenzen gesagt wird, für eine reine Spekulation. Eins kann man allerdings sagen: Die Beziehung zwischen den beiden großen Parteien Niedersachsens ist deutlich belastet.

Wegen des Wechsels von Elke Twesten?

Nein. Elke Twesten war nur das i-Tüpfelchen. Wenn ich einen Vergleich ziehe, dann muss ich sagen, dass die FDP für uns inhaltlich wahrscheinlich die unangenehmere Opposition gewesen ist. Sie hat uns als Regierung ganz gewiss nichts geschenkt, hat es aber stets auf eine Art und Weise gemacht, dass da im zwischenmenschlichen Bereich nichts hängen geblieben ist. Die CDU dagegen leidet unter dem Missverständnis, sie sei so etwas wie eine geborene Regierungspartei.

Nach der letzten Wahl haben Sie den Wahlkampf als Werbung für die Demokratie bezeichnet. Was hat sich verändert?

Der Landtagswahlkampf 2017 ist schon von dem undurchsichtigen Kippen einer Entscheidung der Wählerinnen und Wähler von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb geprägt. Und keine 48 Stunden später startete eine ziemlich bösartige Kampagne einer großen deutschen Sonntagszeitung gegen mich.

Ihnen wurde vorgeworfen, eine Regierungserklärung mit VW abgesprochen zu haben.

Im Interview: Stephan Weil

58, ist seit 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen. Davor war er Oberbürgermeister von Hannover. Bei der Landtagswahl ist er Spitzenkandidat der SPD, deren Landesverband er seit 2012 anführt. Der Jurist ist verheiratet und hat einen Sohn.

Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass da nichts dran war. Dass wir während der Verhandlungen mit den amerikanischen Behörden öffentliche Äußerungen vonseiten VW-Juristen haben prüfen lassen, war den Landesmedien und den Abgeordneten seit mehr als einem Jahr bekannt. Und wenn man einmal diese berühmte Regierungserklärung liest, dann kann man alles Mögliche darin finden, aber keine Schönfärberei.

Wie haben Sie die letzten Wochen weggesteckt?

Der August war wirklich sehr hart. Dieser Doppelschlag in so kurzer Zeit war meines Erachtens kein Zufall. Das war ja auch medial eine richtige Welle. Aber jetzt ziehe ich mit Feuereifer rauf und runter, kreuz und quer durch Niedersachsen.

Haben Sie die Sorge, nachdem Sie mit Ihrer Landesregierung gescheitert sind …

Einspruch. Wir sind mitnichten als Landesregierung gescheitert. Wir haben die Mehrheit verloren.

Haben Sie Sorge, dass Ihre Regierung nach außen so instabil wirkt, dass Ihnen die Wähler nicht noch einmal ihre Stimme geben?

Ich nehme da noch mal Bezug auf die letzten Umfragen. Ich bin nicht sicher, ob die Ini­tiatoren dieses Fraktionswechsels immer noch der Meinung sind, das sei eine richtig gute Idee gewesen. Es ist auffällig, dass die niedersächsische SPD weit vor den Werten der Bundes-SPD liegt. Eine zweistellige Differenz im Vergleich zum Bund hat es hier noch nie gegeben. Und es ist auch auffällig, dass mein Herausforderer von der CDU von einem Monat auf den anderen bei der Direktwahlfrage zehn Prozentpunkte verloren hat. Das ist für einen Oppositionskandidaten schon fast ein Kunststück.

Die SPD wurde auf Bundesebene von den Wählern abgestraft. Warum sollte sich das nicht in Niedersachsen wiederholen?

Die Wählerinnen und Wähler unterscheiden genau zwischen Bundes- und Landespolitik. Die Zufriedenheit mit der Landesregierung ist den Umfragen zufolge hoch. Von einer Wechselstimmung ist nichts zu spüren.

Warum bezweifeln Sie öffentlich, dass die SPD in den nächsten vier Jahren auf ­Bundesebene regierungsfähig wird?

Das ist sehr wohl mein Ziel. Wenn wir es als Partei schaffen, wieder als die Zukunftspartei in Deutschland wahrgenommen zu werden, und auch bereit sind, uns selbst zu ändern, dann können wir auch im Jahr 2021 wieder mehrheitsfähig sein. Die Basis dafür sind aber nun einmal die 20 Prozent der letzten Bundestagswahlen, deswegen ist das eine schwierige Aufgabe.

Und in Niedersachsen? Ist Rot-Rot-Grün da eine Option für Sie, um an der Macht zu bleiben?

Niedersachsen wählt

Am kommenden Sonntag wird in Niedersachsen gewählt – drei Monate früher als geplant. Grund für die vorgezogene Neuwahl ist der Parteiwechsel der Ex-Grünen Elke Twesten zur CDU. Damit verlor die rot-grüne Landesregierung die knappe Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag.

Nach einer aktuellen Umfrage von Infratest dimap liegen CDU und SPD derzeit mit je 34 Prozent gleich auf. Für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition würde es dennoch nicht reichen. Die Grünen liegen bei nur noch 8,5 Prozent. Da auch die FDP bei nur 8 Prozent stagniert, würde es auch für Schwarz-Gelb nicht reichen. Eng werden könnte es für die Linke, die derzeit nicht im Landtag vertreten ist. Die Umfrage sieht die Partei bei rund 4,5 Prozent. Blieben für eine Regierung also nur noch eine große Koalition, eine Ampel oder Jamaika. Weiter zu legt dagegen die AfD: Rund 8 Prozent wollen die Rechtspopulisten wählen.

Im Land ist der amtierende Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) beliebt. Bei einer Direktwahl würden ihn laut Umfrage 45 Prozent der Niedersachsen wählen. Seinen Herausforderer Bernd Althusmann (CDU) hingegen nur 24 Prozent.

SPD-Bundeschef Martin Schulz erklärte in der Bild am Sonntag, er wolle auch im Fall einer Niederlage seiner Partei in Niedersachsen Parteichef bleiben. „Ich werde beim Parteitag im Dezember wieder für den Parteivorsitz kandidieren.“ Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärte, er rechne noch mit Ernüchterung in der Partei über den Weg in die Opposition im Bund. „Der Katzenjammer kommt noch. In einem halben Jahr.“ (taz, dpa)

Schon 2013 habe ich gesagt, dass ich nicht unter Ausschließeritis leide. Aber ich gebe mir persönlich die größte Mühe, dafür zu sorgen, dass die Linke wieder unter 5 Prozent bleibt.

Sie wollen auch die AfD aus dem Landtag halten. Setzen Sie die Parteien damit nicht irgendwie gleich?

Nein. Das hat einen völlig anderen Hintergrund. Ich bin weit davon entfernt, die Linke mit der AfD gleichzusetzen. Die AfD ist fremdenfeindlich und spaltet die Gesellschaft.

In Niedersachsen schicken CDU und SPD wieder zwei Männer ins Rennen. Wäre es 2017 nicht an der Zeit gewesen, dass mal eine Frau das Land führt?

Das ist am Ende eine Frage der Personalfindung in der jeweiligen Partei. Ich kann nur sagen, wie es in der SPD gewesen ist: Meine Partei hatte offenbar den Eindruck, dass ich das in den letzten Jahren ganz anständig gemacht habe.

Trotzdem ist es so typisch alte Verhältnisse.

Ja, da haben Sie leider recht. Ich sehe es mit einer gewissen Sorge, dass es auch der niedersächsischen SPD nicht ausreichend gelingt, junge Frauen in aussichtsreiche Positionen zu bringen.

Woran liegt das?

Sicherlich auch an den Männern in der Organisation. Gelegentlich wünschte ich mir auch, dass insbesondere die jüngeren Frauen selbstbewusster und fordernder auftreten. Etwas, was man bei jüngeren Männern sehr viel häufiger erlebt.

Sie haben vor Kurzem gesagt, dass Sie den Familiennachzug von Geflüchteten kritisch sehen. Warum?

Das kann man so nicht sagen. Mir leuchtet ein, dass es nicht gut ist, wenn Familien zwangsweise getrennt bleiben. Bezogen auf Deutschland müssen wir allerdings die Möglichkeit haben, die Zahl und den Zeitraum so zu gestalten, dass wir mit den damit verbundenen Integrationserfordernissen auch wirklich gut klarkommen.

Niedersachsen hat als erstes Bundesland eine negative Wohnsitzauflage für die Stadt Salzgitter beschlossen. Kein Asylbewerber, der Geld vom Staat erhält, soll mehr an den Harzrand ziehen. Warum?

Weil sich Salzgitter in einer Ausnahmesituation befindet. Die Stadt hat den mit Abstand höchsten Anteil von Geflüchteten in der eigenen Bevölkerung in Niedersachsen. Ich habe mir das vor Ort angeguckt. Es ist für alle Beteiligten kein guter Zustand, wenn eine Kindertagesstätte nur noch von Kindern mit Migrationshintergrund besucht wird. Unter solchen Bedingungen ist es wirklich schwer, von Integration zu sprechen. Ich halte nichts davon, dass man die Augen vor real existierenden Problemen verschließt.

Sie sind mit dem Anspruch angetreten, eine humanere Asylpolitik umsetzen zu wollen. Heute gibt es wieder unangekündigte Nachtabschiebungen. Haben Sie sich zu viel vorgenommen?

Nein, die Ansprüche sind nach wie vor dieselben. Aber die Rechtsgrundlage hat sich auf Bundesebene geändert. Zudem muss mit der höheren Zahl an Zuwandererinnen und Zuwanderern zwangsläufig auch die Zahl der Abschiebungen steigen.

Auch nach Afghanistan?

Wir sind von den Konservativen scharf dafür kritisiert worden, dass wir Menschen nur dann nach Afghanistan abgeschoben haben, wenn sie sich zuvor in Deutschland mit erheblichen Straftaten hervorgetan haben. Jetzt verfährt der Bund übrigens auf die gleiche Weise.

Die CDU hat mit der Forderung nach einer Atempause bei der Inklusion die Bildung zum Wahlkampfthema gemacht. Wie will die Landesregierung dem Unmut vieler Eltern über die mangelnde Förderung von Kindern mit Behinderung begegnen?

Ich bin relativ viel in den Schulen unterwegs und höre ganz unterschiedliche Reaktionen. Wir befinden uns am Anfang eines Prozesses. Es wäre ganz falsch, wenn man die Inklusion jetzt stoppen würde. Wir müssen die Inklusion stattdessen stetig besser machen. Zum Beispiel haben wir gerade 650 pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur gezielten Entlastung von Lehrkräften eingestellt.

Was würde es für die Kinder bedeuten, die schon in den Regelschulen sind, wenn man das Ganze für ein Jahr stoppen würde?

Von den Betroffenen wird das als enormer Rückschlag empfunden. Ich glaube nicht, dass irgendeine Landesregierung sich wirklich trauen würde, an dieser Stelle das Rad zurückzudrehen.

Also leere Worte von Herrn Althusmann?

Das glaube ich, ja.

Was wollen Sie Ihrem Konkurrenten beim TV-Duell am 10. Oktober sagen?

Ich werde meine eigene Politik darstellen und mich nicht an Herrn Althusmann abarbeiten.

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