Stellenabbau beim Mischkonzern: „Ein Warnsignal, da sollte man genauer hingucken“
Siemens will 6.000 Stellen abbauen. Ursache ist ausnahmsweise mal nicht die prekäre Situation der deutschen Wirtschaft.
Etliche deutsche Unternehmensperlen straucheln derzeit: Vor Siemens meldeten etwa auch VW, Audi, Continental oder Schaeffler schon massive Stellenstreichungen. Ist der Kahlschlag bei Mischkonzern Siemens mit seinen weltweit 310.000 MitarbeiterInnen auf eine allgemein schlechte Wirtschaftslage zurückzuführen oder hausgemacht?
In die derzeit rituelle Kritik vieler WirtschaftsvertreterInnen und PolitikerInnen will Ökonom Martin Gornig nicht einstimmen. „Das Gejammer, das Ende des Industriestandorts Deutschland stehe vor der Tür, wenn nicht sofort die Steuern gesenkt werden, kann ich nicht mehr hören“, sagt der Forschungsdirektor für Industriepolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. „Wenn Manager angeblich nicht gewusst haben, dass es relativ hohe Arbeitskosten in Deutschland gibt, tun sie mir leid“, meint Gornig lapidar.
Birgit Steinborn, Siemens-Gesamtbetriebsrat
Dennoch sei der Fall Siemens „ein Warnsignal, da sollte man genauer hingucken“, so der Wirtschaftsprofessor. Der Stellenabbau habe aber wohl weniger mit der aktuell prekären Performance der deutschen Wirtschaft insgesamt als mit schlechten Geschäften speziell in einigen Siemens-Sparten zu tun. „Früher gab es viel mehr Hire and fire, wenn es mal schlecht lief“, sagt Gornig. „Heute sind die Unternehmen wegen des Fachkräftemangels viel vorsichtiger mit Entlassungen.“
2.000 Stellen bei Siemens offen
Die Zukunftsaussichten für einen Unternehmensbereich müssten schon besonders düster sein, wenn ArbeitnehmerInnen gefeuert würden. Und: Das passiert auch nicht. Tatsächlich will Siemens auf betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland verzichten – und setzt auf Frührente und Umschulungen. Hierzulande seien 2.000 Stellen im Konzern offen, heißt es. Insgesamt beschäftigt der Konzern in Deutschland 86.000 MitarbeiterInnen.
Vor Ort sehen die Betroffenen die Lage anders. „Vollkommen kalt erwischt“ habe ihn die Ankündigung der Konzernzentrale, sagt Steffen Reißig, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Leipzig. Bei Siemens Emobility im Leipziger Ortsteil Böhlitz-Ehrenberg sind 200 Beschäftigte betroffen. Insgesamt stehen 450 Siemens-Stellen im Geschäft mit Ladesäulen für Elektroautos und -lastwagen auf der Streichliste. Der Bereich mit weiteren Werken in Erlangen, Portugal und den Niederlanden beschäftigt derzeit noch 1.300 Leute. Er wolle „um jeden Arbeitsplatz kämpfen“, sagt Reißig. Aber die Marktsituation verspricht dafür wenig Gutes: Siemens spricht von „starkem Preisdruck“ und einem „begrenzten Wachstumspotenzial für Ladesäulen im unteren Leistungsbereich“, die in Leipzig produziert werden.
Noch schlimmer trifft es die SiemensianerInnen bei der Industrieautomatisierung, dem Kern des einstigen Firmenaushängeschilds namens Digital Industries (DI). In der Sparte, die sich mit der Steuerung von Maschinen sowie der Planung der Produktion befasst, sollen 5.600 Stellen wegfallen, davon 2.500 in Deutschland.
„Wir müssen unsere Wettbewerbsfähigkeit in diesem volatilen Umfeld weiter stärken“, sagte der zuständige Vorstand Cedrik Neike dem Handelsblatt. Und gab gleichzeitig strategische Fehler des Konzerns zu: Das Automatisierungsgeschäft sei „zu stark auf China und Deutschland sowie auf die Autobranche fokussiert“ gewesen, wo die Nachfrage derzeit fehle.
Zweitteuerste Übernahme der Firmengeschichte
Nach dem Coronaboom sei der Umsatz in China eingebrochen. Siemens sitze auf vollen Lagern. Auch der deutsche Markt schrumpfe seit zwei Jahren. Im abgelaufenen Geschäftsjahr 2023/24 war die Sparte um 8 Prozent geschrumpft.
Der DAX-Konzern versuchte bereits gegenzusteuern. Im Oktober stärkten die Münchner das Geschäft der Industrieautomatisierung mit der zweitteuersten Übernahme der Firmengeschichte. Siemens schluckte die US-Industriesoftwarefirma Altair Engineering für gut 10 Milliarden Dollar. Ziel war: Der Anteil von Softwareleistungen in der DI-Sparte soll erhöht werden.
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