Statistik zu rechten Gewalttaten: Bremens unbekannter Mordversuch
In Bremen hat es 2018 einen rechten Mordversuch gegeben, erklärt die Bundesregierung. Der Fall war der Öffentlichkeit bislang unbekannt.
„23. Januar 2018, Bremen, 1 Tatverdächtiger“, diese Angaben stehen in der Tabelle, die rechts motivierten Tötungsdelikte für 2018 auflistet. Die Tat ist in keiner Pressemitteilung der Polizei oder Staatsanwaltschaft erwähnt.
Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke) hatte die Anfrage erstellt. „Der versuchte Mord in Bremen ist der nächste Fall, bei dem Polizei und Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit im Unklaren lassen“, sagt sie. Das Verschweigen rechter und rassistischer Tatmotive habe in der Bundesrepublik Tradition. Davon zeugten auch die äußert lückenhaften BKA-Statistiken. „Die Tötungsdelikte seit 2016 belegen einmal mehr, dass rechte Gewalt eine immense Bedrohung in Ost- und West zugleich ist“, findet Renner.
Auch Kristina Vogt, Fraktionschefin der Bremer Linken, zeigte sich verwundert, dass eine Öffentlichkeitsarbeit der Polizei und Staatsanwaltschaft zu der Tat ausblieb. „Solche Delikte dürfen nicht verschwiegen werden, es sei denn aus sehr guten Gründen.“ Sie kündigte an, das in der Bürgerschaft zu thematisieren.
Die offizielle Zahl rechts motivierter Tötungen in Deutschland seit 1990 hat sich von 83 auf 85 erhöht. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung hervor, die der taz vorliegt.
Als rechter Totschlag aufgeführt wird eine Tat am 18. April 2018 im sächsischen Aue. Drei bekannte Rechtsextreme sollen dort einen homosexuellen 27-Jährigen erst geschlagen und getreten und dann in einen Schacht gestoßen haben.
Nachgemeldet hat die sächsische Polizei beim Bundeskriminalamt einen Brandanschlag mit Todesfolge aus dem Jahr 2017. Wie der Tagesspiegel berichtet, legte im März 2017 eine Frau in einem Mehrfamilienhaus im sächsischen Döbeln Feuer – aus Hass auf einen hier lebenden Iraner. Eine 85-jährige Mieterin schaffte es nicht mehr aus der Wohnung.
Zuständig für die Erfassung politisch motivierter Straftaten sind die Landesbehörden. Auf Nachfrage der taz erklärte die Bremer Staatsanwaltschaft am Montag zu dem Fall: Die Tat habe sich gegen einen 50-Jährigen gerichtet und sich während der Arbeit in einer Behindertenwerkstatt ereignet. Der Geschädigte, der gebürtig aus dem Iran stamme, habe unter anderem Prellungen und eine Platzwunde am Kopf erlitten. Der Täter leide an einer Variante von Autismus, besondere politische Aktivitäten seien von ihm nicht bekannt geworden. „Er hatte seit dem Jahr 2008 eine Angst vor Muslimen entwickelt“, erklärte die Staatsanwaltschaft.
Das Landgericht Bremen hat ihn laut Staatsanwaltschaft im Oktober 2018 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dazu, warum über die als rechts motiviert gemeldete Tat nicht informiert wurde, könnten leider keine konkreten Angaben mehr gemacht werden.
Seit Jahren gehen die Statistiken über Taten mit rechtsextremem oder rassistischem Hintergrund von staatlichen Stellen und zivilgesellschaftlichen Opferberatungen auseinander. Während die Bundesregierung seit 1990 nun insgesamt 85 Delikte mit Todesfolge erfasst, listet etwa die Amadeu-Antonio-Stiftung bis Mitte 2018 „mindestens 194 Todesopfer“ auf. Der Tagesspiegel und Zeit Online kommen in einer Langzeitrecherche auf „mindestens 169“ Todesopfer.
Von 1949 bis 1990 wurde rechtsextreme Gewalt nicht systematisch erfasst. Erst nachdem 1989 die Gewalttaten massiv anstiegen waren, wurde begonnen, Opfer und Angriffe zu registrieren. Angriffe auch auf Homosexuelle, Behinderte und Obdachlose wurden lange nicht als Staatsschutzdelikte eingeordnet. Die Kritik führte erst 2001 zur Einführung des Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“.
Beratungsstellen kritisieren Verharmlosung
Beratungsstellen kritisieren, Taten würden schon dann oft nicht mehr als politisch rechts erfasst, wenn bei den Ermittlungen ein solches Tatmotiv nicht mitgedacht wird. In anderen Fällen würden Auseinandersetzungen als Streit unter Jugendlichen verharmlost.
Die Schwierigkeit bei der Erfassung der Taten offenbart sich in der Antwort der Bundesregierung auch in Bezug auf einen Sprengstoffanschlag am S-Bahnhof Hamburg-Veddel, einem Stadtteil, in dem viele MigrantInnen wohnen. Am 29. Oktober 2018 verurteilte das Landgericht Hamburg den Täter Stephan K. zu einer zehnjährigen Haftstrafe. K. war bereits vor 26 Jahren zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt worden – wegen der Ermordung des ehemaligen Kapitäns Gustav Schneeclaus, weil dieser Adolf Hitler als Verbrecher bezeichnet hatte. Der Mord an Schneeclaus zählt ganz offiziell als rechts motiviert.
Im Oktober erklärte die Richterin dann, K. sei womöglich nicht mehr strukturell in der rechtsextremen Szene verankert, habe aber „bis heute eine rechtsextreme Gesinnung“ und sei ein „glühender Anhänger Adolf Hitlers“. Ausländerfeindliche Anschlagspläne könne sie dennoch nicht feststellen. In der Statistik des Innenministeriums gehen solche Nuancen unter. Die Tat in Hamburg sei „keinem Phänomenbereich zugeordnet“, heißt es dazu.
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