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Startchancen-Programm gegen UngleichheitLernen wie in Hamburg-Wilhelmsburg

Ein Vorbild für das Startchancen-Programm der Bundesregierung ist Hamburgs Bildungsförderung. Ein Besuch am Helmut-Schmidt-Gymnasium.

Schulhof in Wilhelmsburg: Hamburg bekämpft zielgenau Bildungsungleichheit, künftig soll das bundesweit stattfinden Foto: Daniel Chatard

Hamburg taz | Kurz vor Ferienende werkeln die Hausmeister auf dem Hof des Helmut-Schmidt-Gymnasiums. Im Flur des Verwaltungstrakts hängt ein niedliches Bild des Altkanzlers mit einem kleinen Stoffvogel in der Hand, einem Kiwi. Denn bis zur Umbenennung 2012, als Schmidt den geschenkt bekam, hieß die Schule „Gymnasium Kirchdorf-Wilhelmsburg“, kurz Kiwi. „Der Name Helmut-Schmidt im Abgangszeugnis hilft Türen aufzumachen“, sagt Schulleiter Volker Clasing.

Künftig könnte noch ein anderer Titel helfen: Als sogenannte Startchancen-Schule wird das Gymnasium ab diesem Schuljahr von Bund und Ländern gefördert.

Die Schule liegt in Hamburg-Wilhelmsburg, einem Gebiet mit ärmerer Bevölkerung und hohem Einwandereranteil. Im Jahr 2012 schrieben alle 14 Schulleiter der Elbinsel einen Brandbrief an die Politik. Denn Hamburg misst regelmäßig die Lernstände der Kinder. Eine Auswertung für ihr Gebiet ergab, dass an den Stadtteilschulen 50 bis 70 Prozent im unteren Leistungsbereich lagen. Und auch das einzige Gymnasium vor Ort habe gegenüber anderen Gymnasien Lernrückstände von bis zu einem Jahr. „Die Kinder sind nicht dumm“, sagte der Initiator Kai Stöck. Aber es bräuchte dort dringend mehr an Unterstützung und eine neue Form von Schule.

Schulleiter Clasing, der damals mit unterschrieb, spricht vom „Deichbruch“-Brief. Die Schulbehörde reagierte und legte ein Programm auf, das – in Anlehnung an die insgesamt teilnehmenden Schulen – „23+ Starke Schulen“ genannt wurde.

20 Milliarden Euro für mehr Bildungsgerechtigkeit

Das Startchancen-Programm ist das zentrale Bildungsvorhaben der Ampelregierung. Mit zusätzlichen Geldern für Schulsozialarbeit, Schulbau und Unterrichtsentwicklung soll die hohe soziale Ungleichheit in Deutschland verringert werden. Nach langwierigen Verhandlungen haben sich Bund und Länder im Februar auf die Details geeinigt, unter anderem auf eine Mittelvergabe auch nach sozialen Kriterien. Für das Programm stellen Bund und Länder 20 Milliarden Euro für zehn Jahre zur Verfügung. In diesem Schuljahr geht es mit den ersten 2.125 Schulen los. Insgesamt sollen 4.000 Schulen gefördert werden, davon 60 Prozent Grundschulen. (taz)

Mehr Schüler bleiben am Gymnasium

Dazu muss man wissen: Hamburg versieht alle Schulen mit einen Sozialindex. Die mit Index 1 oder 2 liegen in ärmeren Quartieren. Weil nun gezielt diesen Schulen geholfen wurde, erhielten 2013 mit Kurt-Körber-, Louise-Weiss, und Helmut-Schmidt- auch erstmals Gymnasien Geld für Sozialarbeit und Lehrerstunden für die Unterrichtsentwicklung. Im vergangenen Schuljahr erhielt Schulleiter Clasing eine zusätzliche Stelle für Sozialpädagogik sowie 1,5 zusätzliche Stellenanteile, die er für zusätzliche Arbeitszeit für Teambildung auf viele Lehrkräfte verteilt.

„Das 23+ Programm hat unserer Schule sehr geholfen“, sagt Clasing. Es sei nicht nur gelungen, dank der Sozialarbeit Elemente des sozialen Lernens zu etablieren – „durch dieses Programm können wir mehr Kinder halten“, sagt er. Das liege an dem „fördernden Blick“ und der erfolgreichen Unterrichtsentwicklung dank neuer „Teamzeiten“ für die Lehrkräfte.

Volker Clasing, Schulleiter am Helmut-Schmidt-Gymnasium in Hamburg-Wilhelmsburg Foto: Daniel Chatard

In den Jahrgängen 6 bis 8 gibt es zudem eine doppelte Klassenlehrerschaft. „Diese Teambildung ist immens wichtig“, sagt Clasing, „die Lehrkräfte haben Zeit, über einzelne Kinder zu sprechen und gemeinsam Unterricht zu entwickeln und reflektieren.“ So könne man, das sei international erforscht, langfristig Lernerfolge verstärken.

Das Gymnasium ist beliebt. Sechs bis sieben 5. Klassen fangen jedes Jahr an. Ganz verhindern, dass einige Schüler das Gymnasium nach der 6. Klasse verlassen und zur Stadtteilschule wechseln, könne man im bestehenden System nicht, sagt der Schulleiter. Denn auf dem Gymnasium müssten – etwa in Mathe und Deutsch – alle Schüler „zielgleich“ unterrichtet werden.

„Aber wir wollen, dass mehr Kinder in Klasse 7 ankommen, als die 70 Prozent, die in Klasse 5 mit Gymnasialempfehlung gekommen sind“, sagt er. Das gelinge auch. „Von sechs Klassen müssen wir nur eine abgeben.“ Und auch die Lernentwicklung sei dank 23+ überdurchschnittlich gut. So liege die Schule mit ihrem Abi­turergebnis regelmäßig im Hamburger Durchschnitt. Das sei „ein tolles Ergebnis verglichen mit der Ausgangslage“, sagt Clasing.

Hamburg ist Vorbild für den Bund

23+, das zuletzt auf 40 Schulen ausgeweitet war, gilt als ein Vorbild für das „Startchancen-Programm“, auf welches sich Bund und Länder Anfang 2024 verständigten. In Hamburg läuft das Programm 23+ jetzt aus und geht in das Startchancen-Programm über. 90 Hamburger Schulen wurden dafür ausgewählt, alle mit niedrigem Sozialindex wie am Helmut-Schmidt-Gymnasium.

Nur ist noch gar nicht klar, wie viel Ressourcen die 90 Schulen bekommen. Im Schuljahr 2024/25 behalten die 23+ Schulen ihre alte Ausstattung, die neuen bekommen zum Anfang weniger. Für 2025 seien die Maßnahmen „noch nicht veranschlagungsreif“, antwortet der Senat auf eine Anfrage der Linksfraktion, die vor einer „Minderausstattung“ warnt.

Volker Clasing freut sich, dass ihm über das Startchancen-Programm nun auch Gelder für Baumaßnahmen zur Verfügung gestellt werden. Seine Klassenräume würde er jedenfalls gerne so ausstatten, dass sie kooperatives Lernen und mehr Differenzierung ermöglichen. Auch hofft der Schulleiter, seine bisherigen Maßnahmen erhalten und ausbauen zu können – „und dass wir mit Startchancen eine breitere Lobby dafür finden, Bildungsgerechtigkeit in konkrete Maßnahmen fließen zu lassen“.

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3 Kommentare

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  • "... das „Startchancen-Programm“, auf welches sich Bund und Länder Anfang 2024 verständigten..." ist eine Initiative der Liberalen und des Bildungsministeriums. Ist doch schön, wenn die Ampel so gute Dinge gebacken bekommt!

  • Das ist der richtige Weg. Besserer Personalschlüssel und Förderung statt Standardaufweichung. Mehr Gleichheit im Ergebnis bringt das kaum, aber mehr Qualität.

    • @Kurt Kraus:

      Chancengleichheit ist relevant, Ergebnisgleichheit nicht.