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Standbild in gläserner Halle

Eine Weile stehen sie still. Dann reiten sie weiter – Douglas Gordon verlangsamt in seinen Videoinstallationen die Filmzeit, um sie der Realzeit anzugleichen  ■ Von Harald Fricke

Die beste Sicht hat man draußen. Zu Fuß von der Potsdamer Straße über die Brücke am Lützowufer kommend. Oder aus dem 129er-Bus, wenn er am Kulturforum hält. Es sollte Nachmittag sein, gegen fünf Uhr etwa, kurz bevor die Sonne verschwindet und die Christbaumbeleuchtung der Sony- oder Mercedes-Bauten eingeschaltet wird. In diesen Minuten scheinen Cowboys in der Dämmerung durch Berlin zu reiten, während sich die gläserne Architektur der Neuen Nationalgalerie um die Leinwände herum auflöst. Wenig später hat das Haus geschlossen, dann hängen die Reiter wie auf einem riesigen Foto zwischen den Säulen des leeren Gebäudes.

Die Ausstellung von Douglas Gordon, die in Zusammenarbeitet mit Friedrich Meschede vom DAAD organisiert wurde, fiel mitten in die Berlinale. Das brachte dem schottischen Videokünstler ein Publikum, das die Grenzen zwischen Kunst und Kino nicht allzu eng faßt. Immerhin arbeitet Gordon in seiner Installation „5 year drive-by“ mit einer Ikone des Westerngenres: Auf John Fords „The Searchers“ von 1956 können sich heute noch Filmemacher wie Martin Scorsese, Steven Spielberg oder Georg Lucas einigen. In „Taxi Driver“ wird direkt auf Fords Film Bezug genommen.

„The Searchers“ kam in Deutschland als „Der schwarze Falke“ in die Kinos. John Wayne spielt den Westernhelden Ethan, der nach dem Bürgerkrieg nicht in die Gesellschaft zurückfindet. Als die Familie seines Bruders ermordet wird und Komantschen vom Stamm der „schwarzen Falken“ seine Nichten verschleppen, beginnt für Ethan eine fünfjährige Suche nach den Mädchen. Daraus entwickelt sich bei Ford eine Reise ins Ich – hochdramatisch und voller psychologischer Finessen. Immerhin muß Wayne beweisen, daß er die Verwandtschaft nicht selbst getötet hat.

Douglas war vom filmischen Stoff fasziniert. Nur mit der zeitlichen Verkürzung hatte er Schwierigkeiten: Wie kann eine Geschichte, die sich über fünf Jahre hinzieht, auf zwei Stunden eingedampft werden? Um die filmische Geschwindigkeit mit der des Lebens wieder in Einklang zu bringen, hat Gordon die Projektion extrem verlangsamt. Alle vierzehn Minuten verändert sich das Bild um einen einzigen Frame. Damit werden im Verlauf der siebenwöchigen Ausstellungsdauer gerade einmal fünf Minuten des Originals gezeigt. Zeitlich gedehnt hatte Gordon bereits 1992 Hitchcocks „Psycho“ als 24-Stunden-Aufführung in den Kunst-Werken gezeigt.

Die Fiktion des Westerns wird damit nicht realer. Im Gegenteil: Eingefroren verharrt die Gruppe der reitenden Soldaten auf dem Hügel; erst nach ein paar Stunden sind sie aus der Ferne in den Vordergrund des Bildes geglitten. Dem 1966 in Glasgow geborenen Turner-Preis-Träger geht es auch nicht um visuelle Realität, sondern um die physische Wirklichkeit, die Bilder erzeugen können. In der ungeheueren Verlangsamung erhält das Dargestellte eine merkwürdige, fast auratische Präsenz – Tableau vivant und Monument zugleich. Ein Reiterstandbild.

Die Nähe zu minimalistischen Skulpturen ergibt sich bei Gordon indessen durch den Bezug zum Raum. Anders als im dunklen Kino wird die Umgebung des Museums keineswegs ausgeblendet, sie ist Bestandteil der Inszenierung. Dem Mies-van-der-Rohe- Bau kommt die Funktion einer gläsernen Halle zu, in der die Besucher vor der 5,3 mal 4 Meter großen Leinwand umherschweifen können. Mal strahlt das Bild über den Marmorboden, mal schimmert das Szenario vom Potsdamer Platz herüber. Die Lichtreklamen auf den Oberflächen der Fassaden und die beleuchtete Leinwand mischen sich im ambienteartigen Allover der Architektur.

Für die zweite Installation „Bootleg (Empire)“ nimmt Gordon den umgekehrten Weg. In seiner Wohnung hat er Andy Warhols dokumentarischen Film an eine Wand projeziert und die Situation mit der Kamera aufgezeichnet. Das Video ist nun auch Spiegel des Privaten: Während aus dem dunklen Zimmer das Empire State Building herüberscheint, schlängeln sich ständig irgendwelche Gestalten durchs Bild, Bierflaschen werden weitergereicht, das ganze erinnert an eine Party. Immerhin können in Gordons „Bootleg“-Version die Zeit im Bild und das Geschehen vor Ort zusammenfinden – schließlich dauert Warhols Hochhausstudie an die acht Stunden. Die Monotonie des Films wurde in der Neufassung jedoch auf zwei Stunden abgekürzt. Das Geschehen zu Hause bleibt dabei trotzdem in Realzeit erhalten. Und was sollte sich auch bei Warhol verändern? Die Architektur bewegt sich nicht.

Vielleicht ist der Kunstgriff, mit dem Gordon zusätzlich eine Schlaufe in das Verhältnis von Darstellung und Dargestelltem einzieht, etwas überkonzipiert. In der Gegenüberstellung leidet die Attraktivität der Videoprojektionen ein wenig an dem mühsamen Gedankenspiel zur unterschiedlich wahrgenommenen Zeit. Der Slow- Motion-Western bleibt von solcherlei Thesenhaftigkeit allerdings unberührt. Eine Viertelstunde stehen die Cowboys still. Dann reiten sie einen Schritt weiter.

Bis 5.4., Neue Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50

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