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StadtgesprächBis der Bus kommt

Ein ukrainisches Haltestellengespräch über das Gipfeltreffen mit Putin und Merkel in Berlin

Bernhard Clasen Aus Kiew

Aufgeregt unterhalten sich zwei ältere Männer, die mit ihren Frauen am Sewastopol-Platz auf ihren Bus warten. „Ich kann es nicht fassen“, empört sich einer, der sich als pensionierter Sportlehrer vorstellt. „Unser Präsident hat Putin in Berlin mit einem Händedruck begrüßt. Und Merkel hat diesem Verbrecher sogar drei Mal die Hand gegeben!“ Sein Gegenüber, ein pensionierter Druckereeiangestellter, widerspricht. „Nein. Niemand hat Putin in Berlin die Hand gegeben.“ Lediglich die russische Propaganda würde berichten, dass Putin Poroschenko die Hand gegeben habe.

Aber, mischt sich die Gattin des pensionierten Sportlehrers ein, sie habe gestern im Fernsehen genau gesehen, dass Poroschenko längere Zeit völlig alleine im Raum gestanden sei. „Dann haben Sie sicherlich russisches Fernsehen gesehen!“ hält ihr ihr Gesprächspartner entgegen. Die Angesprochene schweigt betreten.

Überhaupt, meint der pensionierte Druckereiangestellte: Poroschenko hätte in Berlin ganz anders auftreten müssen. Er hätte irgendwann einfach aufstehen, den Raum verlassen und die Türe hinter sich zuschlagen müssen. Es sei demütigend, wie er behandelt worden sei: Öffentlich sei er von Putin und Merkel zurechtgewiesen worden, dass er den Inhalt der Gespräche falsch wiedergegeben habe. Und kaum seien die Verhandlungen über die Ukraine beendet gewesen, habe man ihn höflich gebeten, den Raum zu verlassen. „Wer weiß, was Merkel, Putin und Hollande in seiner Abwesenheit noch alles über die Ukraine gesprochen haben. Man stelle sich einmal vor: unser Land verlangt nichts mehr, als die eigene Grenze kontrollieren zu dürfen. Das sollte doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Aber wir müssen noch darum bitten.“

Der Gewinner des Normandie-Treffens in Berlin, darüber herrscht Einigkeit, sei Putin gewesen. Ihm sei es gelungen, alle zu entzweien. Sogar auf Merkel könne sich die Ukraine nun nicht mehr verlassen. Mit leeren Händen sei Poroschenko zurückgekehrt: keine Freilassung ukrainischer Geiseln aus russischer Haft, keine Visafreiheit, keine weitere Integration in EU und NATO, einfach nichts habe er bekommen.

Stattdessen habe er sich von Merkel zurechtweisen lassen müssen, dass die Kommunalwahlen im Donbass vorrangig seien. „Doch warum brauchen wir Kommunalwahlen im Donbass? Wählen darf dort doch nur, wer derzeit dort lebt. Wer vor dem russischen Marionettenregime geflohen ist, wird in Donezk gar nicht zur Wahl gehen dürfen.“

„Ich würde nicht sagen, dass das Berliner Treffen umsonst war,“ mischt sich ein junger Mann ein. „In Berlin hat man sich auf eine Verstärkung der OSZE-Mission und die Ausarbeitung einer Road Map geeinigt“. Endlich habe man erkannt, dass man einen genauen Zeitplan der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen braucht. Dass Gespräche dieser Art sinnvoll seien, sehe man auch an der russischen Ankündigung einer Feuerpause in Syrien. „Was ist denn die Alternative? Gar nicht miteinander reden?“

„Na ja“ meint ein weiterer junger Mann. „Über eine Verstärkung der OSZE-Mission hat man auch schon früher gesprochen. Zwar hat Putin dieses Mal zugestimmt, aber in Donezk und Lugansk ist man dagegen. Und außerdem: welche Länder haben Lust, ihre Soldaten in ein Gebiet zu schicken, wo sie ihr Leben verlieren könnten?“

Eine umstehende Frau kramt einen weißen Zettel aus ihrer Handtasche: die Abrechnung ihrer Wohnungsnebenkosten. „Darüber zu streiten, ob sich Putin und Poroschenko die Hand gegeben haben – eure Sorgen möchte ich haben! Da, sehen Sie sich mal das hier an. Seit drei Tagen wird in meiner Wohnung geheizt. Und sofort haben sie meine Nebenkosten um weitere 30 Euro erhöht. Jetzt bezahle ich 80 Euro Nebenkosten. Das ist so hoch wie meine Rente. Wie soll ich da überleben? Donezk ist weit. Wir müssen erst einmal hier in Kiew überleben. Das ist mir jetzt wichtiger als irgendwelche Berliner Gespräche.“ Eine weitere Frau gibt ihr Recht: „Niemand kümmert sich um die Menschen. Weder in Russland noch in Kiew.“

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