Stadtentwicklung: Der Elch entzweit Hamburg
In Hamburg-Altona will Ikea eine "City-Filiale" errichten, die erste hierzulande. Dagegen hat sich eine Initiative besorgter Anwohner gegründet, die Verkehr und steigende Mieten befürchten. Und gleich noch eine zweite: Die ist für das blau-gelbe Möbelhaus.
Die Große Bergstraße in Hamburg-Altona ist ein Kuriosum. Sie ist die Pulsader jenes Viertels zwischen dem Altonaer Bahnhof und St. Pauli, das Mitte der 1950er Jahre als Neu-Altona geplant und vom Spiegel als "Vision einer atemberaubend modernen Stadt" gefeiert wurde. Und heute als atemberaubend marode angesehen wird - vorneweg: das "Frappant".
Das komplexe Betongebäude, das ungefähr die Mitte der Großen Bergstraße markiert, gilt weithin als typische Bausünde der 1970er Jahre. Seit 2003 Karstadt auszog, rottet das ungeliebte Objekt vor sich hin. Taubenmist, bröselnder Beton, unzählige Schichten von Plakaten und Graffiti sieht der flüchtige Blick. Tatsächlich hat sich aber im Frappant seit 2006 ein veritabler Kunst-Cluster entwickelt: mit Ateliers, Ausstellungsflächen und Barbetrieb. Auch ringsum ist von Leerstand nichts zu sehen. Es ist eine in jeder Hinsicht bunte Mischung, die hier durch die verkehrsberuhigte Straße treibt, bei "Dat Backhus" oder dem türkischen Bäcker gegenüber einkehrt, im Ein-Euro-Shop oder dem benachbarten Jeansladen einkauft, bei Woolworth oder dem Drogerie-Filialisten, in Billardsalon oder Daddelhalle verschwindet.
Die Große Bergstraße: Wer sie sich unbefangen anschaut, könnte darin die Vision einer atemberaubend durchmischten Stadt entdecken, einer Stadt, die sich der nicht nur in Hamburg so typisch gewordenen Passion der Reinheit widersetzt - und mittendrin das Frappant-Gebäude. Aber das könnte eben genau das bleiben: eine Vision bleiben. Vor kurzem hat der Möbelriese Ikea das Gebäude übernommen, für 10 Millionen Euro von der Immotrading, einem Tochterunternehmen der Hypo Real Estate Group. Nun ist der Abriss geplant, dafür will Ikea, ein Novum auf europäischem Festland, einen so genannten "City-Store" errichten.
Die Große Bergstraße in Hamburg-Altona geht auf Planungen des Architekten der Neuen Heimat, Ernst May zurück, der zur Zeit der Weimarer Republik das "Neue Frankfurt" und später für die Sowjetunion Musterstädte gebaut hatte.
Ursprünglich führte die Straße bis zum Nobistor an der Grenze zu St. Pauli. In den 1970er Jahren wurde sie durch den Bau der mehrspurigen Louise-Schröder-Straße um die Hälfte verkürzt und mit den Hochhäusern des Frappant und des Forum-Altona versehen.
Zum Niedergang der Nachkriegs-Shoppingmeile trug maßgeblich die Verlagerung der Kaufkraft ins jugendstilgeprägte, benachbarte Ottensen bei.
Die Altonaer Bezirksversammlung begrüßt mit Ausnahme der Linkspartei die Ikea-Pläne. Die Meinungen der Anwohnerschaft zur Ansiedlung des schwedischen Einrichtungshauses sind gespalten. Da gibt es die Bürgerinitiative "Kein Ikea in Altona": Sie fürchtet, dass der Global-Player das Viertel in die Aufwärtsspirale treibt - weitere Großansiedlungen, höhere Mieten, Verdrängung. Als am Mittwochabend der eigens ins Leben gerufene Ikea-Sonderausschuss zu einer öffentlichen Anhörung in eine Altonaer Schule geladen hat, hat auch "Kein Ikea für Altona" mobilisiert: Man demonstriert gegen den Möbelkonzern, auf blau-gelben Bannern und Plakaten stehen Sprüche wie "Kill Billy" oder "Das Leben ist kein Möbelhaus".
Sie verdecken die sehr viel kleineren Zettel ihrer Gegner, die sich seit kurzem in der Bürgerinitiative "Pro Ikea" organisieren: Gewerbetreibende aus der Großen Bergstraße, Friseure und Apotheker, die ohne Ikea Stagnation, wenn nicht gar eine Abwärtsspirale fürchten. Mit ihren Schildern, auf denen "Ikea Willkommen" steht, sieht es beinahe aus, als wolle die Befürworter-Initiative die unbekannten Gesichter hinter dem großen Möbelkonzern an einem Flughafen in Empfang nehmen. Die Ikea-Gegner dagegen haben das ungeliebte Möbelhaus mit einem offenen Brief an Unternehmensgründer Ingvar Kamprad, nun, nicht eben begrüßt.
Per Megaphon warnen die Demonstranten vor der Ausschusssitzung: "Glaubt den Politikern kein Wort! Diese Menschen haben eine gestörte Wahrnehmung von der Wirklichkeit in unserem Viertel." Die damit Gemeinten sitzen bereits in der Schulaula, mit ihnen etwa 500 Zuschauer, und von draußen drängen immer noch mehr herein. Für Ikea Deutschland ist ein Herr Michaeli gekommen, zuständig für die Entwicklung des Bauprojekts - "um einen Dialog mit den Anwohnern zu starten", wie er sagt.
Zu klären sind zunächst die nahe liegenden Fragen: Wie ist es mit der aufkommenden Verkehrsbelastung, gibt es Lärmschutz, was ist mit Schadstoffemmissionen? CDU-Mann Sven Hielscher, Leiter des Sonderausschusses und Moderator dieser Anhörung, hat Schwierigkeiten, die vielen Wortmeldungen zu koordinieren. Weder ein Lärmgutachter noch ein Baureferent ist vor Ort.
Nur Rolf Sachau, Verkehrsgutachter einer Stadt- und Verkehrsplanungsfirma, stellt seine Ergebnisse vor: 4.600 bis 8.300 zusätzliche Autos pro Tag seien für die Zufahrtstraßen der geplanten Ikea-Filiale verkraftbar. Sogleich wird er aus dem Publikum beschuldigt, ein Gefälligkeitsgutachten erstellt zu haben. Ein wirklicher Dialog kommt nicht zu Stande, allein schon, weil sich die Ikea-Befürworter kaum zu Wort trauen. Was sie zwischen den Buhrufen der Mehrheit unterbringen können, ist einzig, dass sie das "Innenstadt-Konzept" vermissten, also das, was die Altonaer Filiale von all jenen auf "grünen Wiesen" unterscheiden soll. "Wir haben unser Konzept durchaus den Verhältnissen in der Innenstadt angepasst", sagt Herr Michaeli dazu. "Wir wollen aber nicht unser Erfolgskonzept ändern."
Was beide Initiativen ein bisschen beruhigt, ist das Versprechen seitens des Investors, nichts zu tun, "was gegen die Mehrheit der Bevölkerung ist". Rund 2.600 Stimmen wären im Bezirk Altona nötig, um den Frappant-Abriss zu verhindern. Ikea wiederum hat sich vorbehalten, bis Ende Dezember aus dem Kaufvertrag aussteigen zu können.
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