Stadtentwicklung in Hamburg: Nur Platz für dicke Fische

Das Quartier am Billebecken soll in Zukunft Hochtechnologie-Unternehmen beheimaten. Kreativräume werden dadurch verdrängt.

Großes Schulgebäude aus Backsteinen

Liegt mitten im Quartier: Erinnerungsort für SS-Opfer Foto: Bodo Marks/dpa

HAMBURG taz | Hamburg entwickelt die innenstadtnahen Gebiete entlang der Elbe weiter. Das Billebecken, das an der Elbe und südöstlich des Hauptbahnhofs liegt, soll nun den Schlussstein der Stadtumwandlung markieren. Nach Hafencity, Grasbrook und Huckepackbahnhof ist es das letzte Quartier, das die Stadt in diesem Bereich restrukturieren will. Am Billebecken soll Raum für bis zu 3.000 Arbeitsplätze in umsatzstarken Unternehmen entstehen, wie Jürgen Bruns-Berentelg von der Billebogen-Entwicklungsgesellschaft (BBEG) bekanntgab.

Zurzeit sei am Billebecken vor allem ein „Abstellraum für Altfahrzeuge“ zu finden, sagt Bruns-Berentelg, der auch Chef der Hafencity-GmbH ist. Die Fahrzeuge gehören, wie ein Anwohner der taz schildert, kleinen Fahrzeugexporteuren, die die Autos in Containern in andere Teile der Welt verschicken. Auch ein Unternehmen für Verpackungsmaterialien hat dort seine Lagerhalle, neben einzelnen Werkstätten.

Die Gedenkstätte Bullenhuser Damm befindet sich in einer aus rotem Backstein gebauten Schule im Herzen des Quartiers. Dort wird an Menschen erinnert, die während der Endphase des Zweiten Weltkriegs von der SS im Keller hingerichtet wurden – jüdische Kinder, an den medizinische Versuche vorgenommen worden waren, ihre Pfle­ge­r und sowjetische Kriegsgefangene.

Die Stadt möchte das Billebecken nun für Unternehmen attraktiv machen. Bruns-Berentelg wittert am Standort einen „Chancenraum“ für unternehmerische Innovation. Auf dem 27 Hektar großen Areal sollen in Zukunft Labore, Büroräume und Produktionshallen für Hochtechnologie-Unternehmen angesiedelt werden. Bilder von 3-D-Druckern, Roboterarmen und Hologrammen untermalen seine Vorstellungen während der Präsentation. Ungefähr die Hälfte der Fläche befindet sich in Händen der BBEG, darunter ein großer Parkplatz, auf dem zurzeit noch Pkw lagern.

Grün auf dem Flachdach

Architekt Reinhard Mayer vom Büro Lorenzen Mayer stellte seinen Siegerentwurf vor, den eine Jury aus drei Finalisten ausgewählt hatte. Auf zwölf- bis vierzehn Meter hohen „Sockeln“ mit bis zu 20.000 Qua­dratmetern Gewerbefläche sollen Firmen ihr Zuhause finden. Die Module könnten durch Glasbrücken miteinander verbunden werden, um flexibel für noch größere Bedarfe zu bleiben. Die Gebäude sollen durch ihren modularen Aufbau mehreren Zwecken dienen können: Im Erdgeschoss Lagerhalle, darüber Büros und Labore. Bis zu 75 Prozent der Flachdachbauten sollen begrünt werden, fürs Klima. Und für die Freizeit der künftigen Arbeitnehmer:innen.

Bruns-Berentelg sagt: „Hamburg muss sich vor einer zunehmenden De-Industrialisierung schützen.“ Bereits ansässige Unternehmen, die wenig Umsatz generieren, müssen wohl mit einem Auslaufen der Pachtverträge rechnen. Hochtechnologie müsse den Vorrang vor der aktuellen Nutzung haben, weil sie neue Arbeitsplätze generiere.

Ingo Böttcher, Stadtteilaktivist

„Wir sitzen hinten links auf der Rückbank, während Jürgen Bruns-Berentelg den Wagen lenkt“

Um Unternehmen anzulocken, müsse man schnell agieren: „Im Extremfall müssen die Gebäude schon stehen.“ Bauunternehmen hätten sich bereits angeboten, Laborkomplexe zu bauen. Es sei auch möglich, dass „Ankerprojekte“ im Zusammenspiel von Stadt und privaten Unternehmen entstünden, um „zu zeigen, was möglich ist“. Beispielsweise könnte das Landeshygieneinstitut künftig im Quartier Billebecken sitzen.

Ingo Böttcher von der Stadtteilinitiative „Hamburgs Wilder Osten“ hält wenig von den Plänen der Stadt: „Die machen Stadtentwicklung mit Hochglanzbroschüren.“ Das Projekt am Billebecken zeige, wie Hamburg die Stadtentwicklung auslagere. Stadtplanung in Händen einer Gesellschaft wie der BBEG verkleinere den demokratischen Zugriff der Bür­ge­r:in­nen: „Wir sitzen hinten links auf der Rückbank, während Jürgen Bruns-Berentelg den Wagen lenkt.“ Bür­ge­r:in­nen würden zwar in den Planungsprozess einbezogen, aber für Böttcher fühlt es sich an, „wie ein Häkchen“, das gesetzt werden muss. „Die Politik kann sich am Ende eine tolle Bür­ge­r:in­nen­be­tei­li­gung auf die Fahne schreiben.“

Dabei bräuchte es auch in Hamburg „unsortierte“ Gegenden, in denen auch umsatzschwächere Unternehmen ihren Platz fänden. In solchen Nischen würde auch Raum für kreative Projekte entstehen. Die würden nun mit den kleinen Unternehmen verschwinden. „Im Prinzip ist es ein Verlust der Demokratie, der sich dort abspielt“, sagt Böttcher, „aber so ist es halt.“

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