piwik no script img

Stadtentwicklung in BerlinGut Ding darf Weile haben

Jonas Wahmkow
Kommentar von Jonas Wahmkow

Bis Verwaltungen Baugenehmigung erteilen, kann es schon mal Jahrzehnte dauern. Das ist nicht immer schlecht: In den Lücken kann Wundervolles entstehen.

Wäre da eine Brache mit bunten Zwischennutzungen nicht attraktiver? Öde Neubauten in Berlin Foto: dpa

I n der Diskussion um die Wohnungsnot in Berlin gibt es ein paar Binsenweisheiten, die selten angezweifelt werden. Eine davon ist, dass die Verwaltungen viel zu langsam seien, etwa was die Erteilung von Baugenehmigungen angeht. Immobilienwirtschaft, SPD und CDU sprechen gerne mal von einem „Turbo“, der nun bei der Genehmigung von Bauvorhaben eingelegt werden müssen.

Der Streit um die Bebauung des ehemaligen Güterbahnhof an der Greifswalder Straße scheint diese These zu bestätigen. Bereits 2010 erwarb der Investor Christian Gerome das Grundstück; fast eben solange bemüht er sich um eine Baugenehmigung. Wohnungen sollen dort entstehen, bis zu 450 Stück; 30 Prozent davon preisgebunden gemäß der kooperativen Baulandentwicklung.

Doch das Bezirksamt möchte auf dem Gelände unbedingt eine Schule realisieren und vielleicht auch eine Erweiterung des Thälmannparks. Andererseits hat das Pankower Bezirksparlament zuletzt eine Wohn- und Gewerbenutzung beschlossen, entgegen der Absicht des Bezirksamts. In jedem Fall braucht es aber einen neuen Bebauungsplan. Das dürfte wieder mindestens vier Jahre dauern, die vorbereitenden Lärm- und Bodenuntersuchungen sind nicht mal mit eingerechnet.

Kurz gesagt: Auf dem Gelände passiert auch in den nächsten Jahren höchstwahrscheinlich nichts. Wobei die präzise Formulierung ist, es wird auf dem Gelände nichts gebaut – denn passieren tut durchaus etwas. Der politische Limbo, in dem der Planungsprozess jahrelang fest hing, ermöglichte es zahlreichen Kunst- und Kulturkollektiven, ein neues Zuhause zu finden.

Jede stadtplanerische Entscheidung prägt die Stadt für die Jahrzehnte. Daher kann man sich gerne länger Zeit für eine Entscheidung lassen.

Nach der Räumung des Clubs und Kulturorts Jonny Knüppel am Flutgraben 2018 ermöglichte der Investor den vertriebenen Kollektiven, sich zur Zwischennutzung auf der Fläche einzumieten. Weitere Künst­le­r:in­nen kamen hinzu, mittlerweile gibt es sogar einen Zirkus mitsamt Zelt auf dem Gelände, der regelmäßig Vorstellungen gibt.

Die Zwischennutzung ist ein Gewinn für die Stadt

Bestünde dieser Ort noch ein paar Jahre länger, wäre auch das ein Gewinn in einer Stadt, in der immer mehr kulturelle Freiräume verloren gehen. Grund zur besonderen Eile gibt es für die Bezirkspolitik also nicht – auch wenn klar ist, dass es am Ende einen demokratischen Aushandlungsprozess darüber geben muss, um die widerstreitenden Bedarfe nach Wohnraum, Schulplätzen, Kultur und Stadtnatur zu balancieren.

Doch dieser Fall zeigt erneut: Die Kreativität Berlins geht weit über den Horizont eines Bebauungsplans hinaus. Wirklich ungenutzt bleibt dabei kaum ein Quadratmeter der Stadt. Dabei müssen es auch nicht immer Menschen sein, die auf unentwickelten Flächen ein Zuhause finden.

Nicht selten bieten Brachen Lebensraum für stark bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Am Pankower Tor, ebenfalls ein ehemaliges Bahngelände, fühlt sich zum Beispiel die Kreuzkröte pudelwohl. Nun will ein Investor dort einen Möbelmarkt errichten. Doch im Gegensatz zu Möbelmärkten gibt es nur eine Kreuzkrötenpopulation in Berlin. Auch hier ist jede Verzögerung wünschenswert und nicht nur aus Sicht der Kröte ein Gewinn.

Jede stadtplanerische Entscheidung prägt die Stadt für die kommenden Jahrzehnte, daher kann man sich gerne länger Zeit für eine Entscheidung lassen, wenn am Ende ein Gewinn für die Allgemeinheit dabei herauskommt. Bis dahin freuen sich all jene, die in der Zwischenzeit unbehelligt von Profitinteressen existieren können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Es gibt in Berlin nicht genug Platz für die Wohnungen, die gebraucht werden. Das soll nicht heißen, dass gar keine Wohnungen mehr gebaut werden sollten. Es soll aber heißen, dass nicht jede Freifläche mit Wohnungen oder sonst etwas bebaut werden muss oder soll. Alternativen und entsprechende Infrastruktur muss es schlicht aus außerhalb der Ballungszentrem geben.

    Die Menschen, die bereits in Berlin leben, haben auch ein Recht auf Stadtgrün und Flächen, die sie ohne dafür zu bezahlen nutzen können. Auch Tiere und Pflanzen haben in der Stadt - genauso wie irgendwo anders auf diesem Planeten - ein Recht zu existieren. Es ist absolut wünschenswert, Freiflächen fü anderen als kommerziellen Nutzen in der Stadt zu haben. Zwischennutzung ist immerhin eine Möglichkeit für Leben und kreative Partizipation. Ich möchte jedenfalls keine total verbaute Betonwüste um mich herum!



    Schade, dass die Reaktionen auf diesen spannenden Kommentar bislang so negativ ausfallen.

    • @Frau Sperling:

      die Argumentation bzw. den Wunsch nach einer unverdichteten finde ich nachvollziehbar. Allerdings müsste dann auch ehrlich zu allen neu nach Berlin Kommenden gesagt werden: "sorry die Stadt ist voll, sucht Euch bitte einen anderen Ort".

      • @Newjoerg:

        Eigentlich müsste man dann das Mietrecht entrümpeln, damit nicht neu nach Berlin kommende Menschen gegenüber älteren diskriminiert werden.

  • Sehr merkwürdig, dass die taz auf einmal suggeriert, dass es doch nicht zu wenige Wohnungen gibt.

    Ich verstehe auch nicht, was daran toll sein soll, dass sich die Berliner Verwaltung jahrzehntelang Zeit nimmt, Planungen und Entscheidungen zu treffen. Auch ist es nicht klar, warum Gewerbetreibende sich nicht an Verträge halten sollen (oder jammern sie nicht ständig, dass ein Vertrag endet, aber kassieren vorher ordentlich Eintritte etc. - so ganz gratis...)

    Berlin ist einfach nur gewollt, aber nicht gekonnt.

  • Der langen Bearbeitungsdauer der Behörden kann ich partout nichts abgewinnen und die Zwischennutzungen halte ich nur dann wirklich für einen Gewinn, wenn diese nach dem jeweiligen Ende der vereinbarten Nutzungszeit das Grundstück ohne weiteres auch wieder herausgeben würden.