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Stadtbäume im KlimawandelZu jung für die Säge

Friedrichshain-Kreuzberg experimentiert mit Pflanztechniken, um Straßenbäume länger leben zu lassen. Eigentlich ist das finanziell nicht zu stemmen.

In Berlin werden immer mehr Bäume gefällt, die zwar gesund aussehen, aber innere Schäden haben Foto: Stefan Boness/Ipon

Berlin taz | Dort, wo die Bergmannstraße vom Mehringdamm abgeht, direkt vor der vielbesuchten Kreuzberg-Apotheke, steht ein unförmiger Busch am Straßenrand. Wer genauer hinsieht, erkennt: Das grüne Etwas war einmal ein stattlicher Baum, dessen Stumpf nun verzweifelt Triebe produziert. Die alte Silberlinde musste im vergangenen Winter gefällt werden, ihr Stamm war im Inneren von einem Pilz befallen und verfault. Im folgenden Frühjahr, noch vor dem Ausschlagen der Nottriebe, pflanzte jemand in den ausgehöhlten Stumpf ein paar Traubenhyazinthen und Narzissen, die dort tatsächlich anwuchsen und blühten – ein irgendwie anrührendes Bild.

Für Uneingeweihte hatte die Linde durchaus gesund ausgesehen. Immer wieder kommt es in Berlin zu Fällungen stattlicher Bäume, die keinen kranken Eindruck machen, und oft wenden sich Anwohnende dann mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Verzweiflung an die Behörden oder die Medien. Für Anja Henke, die im Straßen- und Grünflächenamt Friedrichshain-Kreuzberg das sogenannte Baummanagement leitet, ist das durchaus nachvollziehbar. „Leider hat die Vitalität, also das äußere Erscheinungsbild, nichts mit der Verkehrssicherheit zu tun“, erklärt sie. Die wasserleitenden Gefäße eines Baumes befänden sich in den äußeren Schichten, „darum kann er gesund aussehen, obwohl er im Inneren völlig faul und hohl ist.“

Das Absterben ausgewachsener Bäume ist ein berlinweites Problem, das keineswegs nur Friedrichshain-Kreuzberg betrifft. Allerdings häufen sich in den dicht besiedelten innerstädtischen Stadtteilen die Stressfaktoren, die Bäume letztendlich anfälliger für Krankheiten machen: Trockenheit und „Hitzeinseln“, die sich über großen Asphaltflächen und durch die Abstrahlung von Gebäuden bilden, aber auch Streusalz oder mechanische Beschädigungen der Rinde.

Hinzu kommt das, was der Leiter des Grünflächenamts Felix Weisbrich eine „sehr unbefriedigende Bodengründung“ nennt: Optimal wäre es für jeden Baum, wenn seine Wurzeln so viel Raum bekämen, wie seine Krone an Volumen hat. Die bittere urbane Realität aber heißt: Im Boden ist nur ein Bruchteil dieses Platzes vorhanden. Zudem handelt es sich oft um stark verdichteten Boden, der mit Kriegsschutt und kontaminierenden Stoffen belastet ist.

Ist 15, sieht aus wie 5

Aus diesen Gründen müssen inzwischen auch immer mehr jüngere Bäume gefällt werden. Im Bezirk stehen rund 40.000 Bäume auf öffentlichem Gelände, doch besonders dramatisch ist die Lage der 16.000 Straßenbäume: Ihr Durchschnittsalter beträgt heute noch 40 Jahre, die wegen fortgeschrittener Schädigung zu fällenden Bäume sind aber im Schnitt lediglich 28 Jahre alt. Wobei sie manchmal noch viel jünger wirken, weil ihr Wachstum so eingeschränkt ist. „Manche Bäume sehen aus, als seien sie 4 oder 5 Jahre alt, in Wirklichkeit sind es 15 Jahre“, sagt Anja Henke.

Nicht jeder Schädling tötet gleich

Miniermotte Nicht alle Schäden an den Berliner Straßenbäumen sind allein auf die sich langfristig verschlechternden Lebensbedingungen in der Innenstadt zurückzuführen. Auch grundsätzlich harmlose Pflanzenkrankheiten werden problematisch, wenn der Baum ohnehin mit den klimatischen Bedingungen zu kämpfen hat. Das betrifft etwa den Befall der weißblühenden Rosskastanien mit der Miniermotte: Der Schädling ist der Baumart aus dem Balkan in den vergangenen Jahrzehnten nachgezogen und hat sich in ganz Mitteleuropa verbreitet. Die Kastanien überleben den Blattfraß durch die Motte grundsätzlich, auch wenn das Schadbild beeindruckend aussieht.

Lindenzierläuse und Spinnmilben Derzeit machen nach Angaben des Straßen- und Grünflächenamtes (SGA) Friedrichhain-Kreuzberg auch viele andere Bäume, vor allem Linden, einen kranken Eindruck: Ihre Blätter sähen hellgräulich bis bräunlich aus oder fielen ab. „Bei genauerer Betrachtung kann auf den Blättern eine Vielzahl winziger Insekten erkannt werden“, teilt das Amt mit. Dabei könne es sich um Lindenzierläuse oder Spinnmilben handeln. Diese Schadbilder seien schon in den Sommermonaten der vergangenen Jahre beobachtet worden, sie würden durch die Bodentrockenheit begünstigt. Nachhaltige Schäden seien alleine dadurch aber nicht zu erwarten. Viele Baumarten könnten auch noch im Juli mit dem „Johannistrieb“ ein zweites Mal im Jahr Blätter ausbilden. (clp)

Die Baumwissenschaftlerin – sie hat in Göttingen Arboristik studiert – kann auch am Abstand der sogenannten Internodien die gehemmte Entwicklung geschwächter Bäume erkennen: Je kürzer diese Sprossknoten von einander entfernt sind, aus denen an einem Zweig die Blätter wachsen, desto weniger hat ein Baum in den Wachstumsperioden an Substanz zugelegt.

Zwar könnte es immer noch schlimmer kommen – SGA-Leiter Weisbrich hatte für das vergangene Jahr die Fällung von 2.000 Bäumen im Bezirk prognostiziert, am Ende waren es „nur“ 900 –, aber aus Sicht der zuständigen Behörden kann es so wie jetzt nicht weitergehen. Allein schon, weil der Hitze- und Trockenstress über die Jahre zunehmen wird. Das Rezept im grün regierten Friedrichshain-Kreuzberg lautet deshalb jetzt: Platz schaffen, „nachhaltige Baumstandorte“ anlegen, die dem einzelnen Baum ein Vielfaches an Raum im Boden geben und ihm gut durchwurzelbares Erdreich zur Verfügung stellen.

Rückblende: Im April stehen einige Männer in grünen Overalls in einer rechteckigen Grube auf dem breiten Mittelstreifen der Yorckstraße, direkt gegenüber der grauen Front des „Möckernkiez“-Quartiers. Rund 30 Kubikmeter Erdreich haben die Mitarbeiter einer Firma für Garten- und Landschaftsbau ausgebaggert. Einer der vorbeirauschenden SUVs würde locker in das Loch passen, aber tatsächlich kommt am Ende nur ein schmales Bäumchen hinein, eine Ungarische Eiche.

Feuchtigkeitsgel für die Wurzeln

Vorher aber werden noch einige Kunststoffrohre hineingelegt, über die später ausreichend Wasser und Sauerstoff an die Wurzeln des Baumes gelangen können. Außerdem setzen die Arbeiter dem Mutterboden, den sie einbringen, ein spezielles Granulat zu, das in einem Sack bereitsteht und wie Kristallzucker aussieht. Es speichert Wasser wie ein Gel und versorgt den Baum in den kritischen ersten Jahren mit Extra-Feuchtigkeit.

Anja Henke ist vor Ort, sie zeigt auf eine helle Schicht am Grund der Grube: „Das ist Flugsand, da geht der Baum mit seinen Wurzeln nicht rein.“ Eine typische Bodenbeschaffenheit in der eiszeitlich geprägten Berliner Region, die ein optimales Anwachsen verhindert. Die kleine Eiche soll am Ende aber deutlich länger leben und stehen bleiben können als die benachbarten Linden. Aus Henkes Sicht sind die neuen Bedingungen noch immer nicht optimal: „Die Pflanzgrube entspricht in ihrer Größe nicht dem künftigen Kronenvolumen des Baumes, aber die Verdunstungsfläche und der wurzelverfügbare Raum werden in einem deutlich realistischeren Verhältnis zueinander stehen“, sagt sie.

Eine besondere Herausforderung wird beim Blick in die Pflanzgrube sichtbar: Überall im Untergrund verlaufen Leitungen – Strom, Wasser, Gas, Telefonie, teils uralt und verrostet. Manche sind in den Unterlagen des Bezirks gar nicht verzeichnet und können auf die Schnelle auch nicht zugeordnet werden. Es wird also vorsichtig um die Rohre herum gegraben und versucht, eine gewisse Distanz zum künftigen Wurzelwerk einzuhalten. Das geht nur mit Kompromissen: „Eigentlich bräuchte es 2,50 Meter Mindestabstand vom Baum zu allen Leitungen. Aber wenn das konsequent umgesetzt würde, gäbe es in Berlin keinen einzigen Straßenbaum“, sagt Henke.

Sechs Bäume an der Yorckstraße, rund 20 weitere in anderen Straßen des Bezirks – das ist in diesem Jahr die Bilanz des zukunftsfähigen und klimaresilienten Pflanzens. Es läuft als Pilotprojekt, bei dem die Kosten pro Baum das übliche Maß um ein Vielfaches überschreiten. Wenn Henke oder Weisbrich über ihre Strategie informieren, zeigen sie oft eine Kostenaufstellung, die sich in der Summe – inklusive der fünfjährigen Pflege des Jungbaums – auf rund 12.000 Euro beläuft.

Für sein Baummanagement erhält der Bezirk laut Felix Weisbrich gut 2 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt. Doch mit der neuen Pflanzmethode käme man beim derzeitigen Bedarf an Neupflanzungen auf „10 bis 20 Millionen Euro“ pro Jahr. Am Ende dürfte also deutlich weniger nachgepflanzt werden – dafür würden diese Bäume viel älter als ihre derzeitigen Artgenossen.

Das birgt Konfliktpotenzial für die kommenden Jahre: Viele Anwohnende werden schwer nachvollziehen können, dass sie ausgerechnet im Dienste der Nachhaltigkeit auf den Schatten und Kühle spendenden Baum vor ihrem Haus verzichten müssen, wenn auch vielleicht nur vorläufig. Aber auch wie die Entwicklung der allgemeinen Baumgesundheit weitergeht, ist offen: „Das Stadtbild wird sich verändern, und das kann sehr schnell gehen“, sagt Anja Henke, „wir wissen zum Teil noch gar nicht, mit welchen Krankheiten wir es da zu tun haben und welche Schaderreger noch dazukommen werden, wenn wir 0,2, 0,3 oder 0,5 Grad mehr haben.“

Auch der BUND-Baumschutzexperte Christian Hönig hält die Versuche des Bezirks für die richtige Vorgehensweise: „Wir müssen jetzt unglaublich viel experimentieren“, findet er, nur so lasse sich auf lange Sicht der heutige Baumbestand halten. Es „brenne an allen Ecken und Enden“, warnt Hönig: „Neupflanzungen gehen nicht so gut an, Altbäume sterben aus Gründen ab, die man nicht richtig versteht.“ Deshalb fordert auch er eine deutlich bessere finanzielle Ausstattung der Bezirksämter für ihr Baummanagement. Anderenfalls sehe die Zukunft nicht gut aus: „Bäume sind extrem langsame Lebewesen – und der Punkt bei der Klimakrise ist die extreme Beschleunigung, der wir die Welt unterwerfen.“

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1 Kommentar

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  • Hier in Friedrichshain wird fleissig verdichtet, dabei werden auch gut verwurzelte Bäume gefällt. ERsatzpflanzeungen haben keine Chance anzuwachsen. Wieder das Problem, entweder Wohnraum oder Grünfläche, eine Lösung wäre z.B. Flächenfraß zu begrenzen und keine Einfamilienmhäuser oder andere niedrige Bebauung mehr zuzulassen, andere Bundesländer machen das schon vor.