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Staatskrise in FrankreichMacron zieht kein Kaninchen aus dem Sack

Harriet Wolff
Kommentar von Harriet Wolff

Der Präsident hat sich die innenpolitische Misere, die er nach dem Misstrauensvotum gegen seinen Premier beklagt, selbst zuzuschreiben. Da hilft auch keine Notre-Dame-Wiedereröffnung.

Macron bei seiner Fernsehansprache Foto: Christian Hartmann/reuters

E s entbehrte nicht der Situationskomik, als der Präsident am Abend vor Nikolaus seine „lieben Französinnen und Franzosen“, so Emmanuel Macron, live im Fernsehen ansprach. Und enorm viele wollten dann doch hören und sehen, was das unberechenbare und meist müde, ja leicht welk wirkende Staatsoberhaupt nun nach dem Sturz der konservativen Regierung von Michel Barnier aus seinem politischen Ankündigungssack hervorziehen würde.

Bekanntlich kein Kaninchen in Form eines oder einer sofortigen neuen Premier oder Pre­mière. Dafür aber zückte Macron vor dem prächtigen Allzeitgolddekor des Èlysée-Palastes die verbale Rute, schimpfte über die „verantwortungslose antirepublikanische Front“ aus Linken und Ultrarechten, die gemeinsam den mit dem Rücken zur Wand von Anfang an agierenden Barnier nach nur drei Monaten Amtszeit hinweggefegt hatten.

In einem, aber nur einem, hat Macron recht: Mit den antidemokratischen Menschenfeinden rund um Marine Le Pens in weiten Teilen rechtsextreme Partei Rassemblement National zu stimmen, um einen kurzfristigen Pyrrhussieg einzufahren, ist ein gefährliches und unakzeptables Spiel.

Dass es aber so weit gekommen ist, dafür trägt der Mann, der nach zwei Amtszeiten bei den momentan für 2027 anvisierten Präsidentschaftswahlen aus verfassungstechnischen Gründen nicht mehr antreten darf, die Hauptschuld. Macron hat die Lunte im Juni gelegt, als er wie ein getriebener Spieler nach den für die Macronisten desaströs geendeten Europawahlen die Neuwahl des Parlaments anordnete und danach das siegreiche Linksbündnis buchstäblich links liegen ließ.

Jetzt steht die Fünfte Französische Republik von 1958, die der von Beginn an vertikal agierende Macron stets weihevoll beschwört, vor den Trümmern seiner Strategie des Weder-noch – und vor den Ruinen seiner Bewegung, die 2017 vermeintlich angetreten war, Schluss zu machen mit dem zentralistischen und kompromisslosen Gehabe in der nationalen Politik Frankreichs.

Für das Machtgefüge und die Menschen im geschwächten Europa, für die hilflose Zivilbevölkerung in Kriegs- und Krisengebieten ist die derzeit verworrene Lage im EU-Motor Frankreich Gift, noch stärkeres Gift als die ungut mäandernde deutsche Politik.

Da mutete es im Macron-TV auch nicht mutmachend an, als der Staatschef die Wiedereröffnung der teilweise einst abgebrannten Pariser Kathedrale Notre-Dame als Paradebeispiel für französischen Elan und Esprit anführte – im Sinne von erst alles abfackeln und dann wieder aufbauen!

Jetzt hilft nur noch stramm beten – und garantiert nicht der baldige US-Präsident Donald Trump, der jetzt Samstag zu allem Übel noch in die französische Kapitale reist. Merde la France! Obwohl: Merde bedeutet auf Französisch eben nicht nur „scheiße“, sondern auch „toi, toi, toi!“ In diesem Sinne: Vive la France!

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Harriet Wolff
Wahrheit-Redakteurin
Seit 2013 bei der taz-Wahrheit, zeitweise auch Themenchefin in der Regie und Redaktionsrätin. Außerdem Autorin mit Schwerpunkt Frankreich-Themen
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5 Kommentare

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  • Danke, Frau Wolff, für den Kommentar.



    Aber - der E. M. ist mittlerweile mein persönlicher C. L. und Geschichte,



    Geht mir am A.... vorbei!

  • Das laut Artikel angeblich "siegreiche Linksbündnis" hat es Macron verdammt einfach gemacht, es links liegen zu lassen.

    Einerseits war es ein derart 'geschlossenes' Bündnis dass jeder die Wahl gewonnen hatte und keiner wusste, wer Premierminister werden sollte oder durfte. Und andererseits war und ist man so 'siegreich' und parlamentarisch handlungsfähig, dass selbst das aktuelle Mißtrauensvotum gegen Barnier ohne Unterstützung von Marine Le und den Rechten gescheitert wäre...

  • Man zieht Kaninchen nicht aus Säcken, sondern aus Hüten! Vorzugsweise aus Zylindern.

  • Vielleicht sollte man sich mit dem Gedanken anfreunden, dass eine Zeitenwandel vonstatten geht. Die Guten verlieren an allen Fronten, die Bösen übernehmen. Das wird natürlich eine Umbewertung nach sich ziehen. Die bisherigen Guten werden künftig die Bösen sein. Darauf sollte man sich einstellen. Es bringt nichts, D. Trump, M.Le Pen und Co. zu verteufeln, denn sie werden zukünftig die Macht in den Händen halten. Es spricht auch nichts dafür, dass sie es schlechter machen werden, im Gegenteil. Das Versagen ihrer Gegner hat sie an die Macht gebracht. Wenn ein Staat erst mal ganz unten angekommen ist, besteht viel Luft nach oben.