Staatskrise im Libanon: Adib wirft hin
Der designierte Regierungschef ist an einem Postenstreit gescheitert. Mitten in der Wirtschaftskrise sucht der Libanon zum dritten Mal eine Regierung.
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Seit Wochen ringen die Parteien bei der Bildung des Kabinetts um Einfluss, Adib erreichte nun ein totes Ende bei den Konsultationen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der selbst seinen Einfluss im Libanon festigen möchte, hatte gefordert, eine unabhängige Regierung aus Expert*innen zu bilden.
Doch Adib versuchte vergeblich, die Vertreter der Religionsgemeinschaften von diesem Plan zu überzeugen. Die Bildung des Kabinetts scheiterte maßgeblich, weil die schiitischen Parteien der Amal und Hisbollah darauf beharrten, einen Schiiten als Finanzminister zu ernennen.
Dieser Posten ist wohl der wichtigste und kniffligste im Land: Der Libanon befindet sich in der stärksten Wirtschaftskrise seiner 100-jährigen Geschichte: Die Staatsschulden belaufen sich auf 90 Milliarden US-Dollar, die lokale Währung hat auf dem Schwarzmarkt 80 Prozent ihres Wertes verloren. Im März wurde eine Eurobond-Anleihe von knapp einer Milliarde Euro fällig – doch das Land zahlte nicht zurück. Der Staat ist pleite.
Libanes*innen verlassen das Land
Die Zentralbank hat nicht mehr genügend Rücklagen in US-Dollar. Doch die starke Währung wird gebraucht, um Importe von Benzin, Medizin und Lebensmitteln zu zahlen. Noch sind Brot, Diesel und Mehl subventioniert, doch den Zuschuss muss der Staat bald einstellen. Hygieneartikel wie Damenbinden, Zahnpasta oder Shampoo sind bereits jetzt um das Dreifache teurer als noch vor einem Jahr. Um die Dollarreserven zu schonen, geben die Banken seit Anfang des Jahres das Geld, das in Dollar auf den Konten liegt, nur noch zu einem schlechten Umrechnungskurs in Lira aus.
Die reiche Oberschicht, zu der Politiker und Wirtschaftsbosse des Landes gehören, hingegen hat ihr Geld längst bei ausländischen Banken liegen. Wer einen Zweitpass besitzt, hat das Land spätestens nach der Explosion in Beirut verlassen.
Auch die gut ausgebildete Elite versucht, für ein Zweitstudium, Sprachkurs oder Praktikum auszureisen. Wer bereits im Ausland studiert, baut sich dort ein neues Leben auf. Die Diaspora ist aufgrund des Bürgerkrieges (1975-1990) bereits größer als die Zahl der Menschen, die im Libanon leben. Nun wird sie weiter wachsen.
Der politische Stillstand bedeutet eine Verschleppung der Reformen, die das Land dringend benötigt: Die offizielle Abwertung der Währung, die Restrukturierung der Schulden und des Bankensektors, die Reduzierung des öffentlichen Sektors oder ein ausgeglichener Haushalt. Je weiter der Neuaufbau des Staates verschleppt wird, umso weiter wird der mögliche Aufschwung in die Zukunft verlagert.
Ökonom*innen hoffen daher auf eine neue Regierung, die die im Mai begonnenen Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) weiter führt. Auch wenn der IWF nicht dafür bekannt ist, sozialverträgliche Schritte durchzubringen, so ist der internationale Druck für viele die einzige Hoffnung, dass die konfessionell-politische Elite sich selbst reformiert.
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