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Spuren Martina Blankenfeld wurde vom Stiefvater verprügelt, in der DDR wollte man sie umerziehen: aus einem Kind einen guten sozialistischen Menschen machen. Von einer, die trotzdem nicht aufgeben willHöllenkreise des Lebens

Aus Berlin Sabine Seifert (Text) und Julia Baier (Fotos)

Martina Blankenfeld hat mehr als ein Leben gelebt, mehr als ein System überlebt. Und jedes Leben, jedes System ist ein Höllenkreis, eine Geschichte, die eine Tür in den nächsten Kreis, die nächste Geschichte öffnet. „Ich bin eine Überlebende komplexer Gewaltstrukturen“ ist ein sperriger Satz, den sie wie selbstverständlich ausspricht und der sich einem erschließt, wenn man ihre Geschichte erfährt. Wie eins ins andere und vor allem in ihr Leben greift: sexueller Missbrauch in der Familie, Suizidversuch, DDR-Kinderheim, Jugendwerkhof. Wer sich den Normen des Arbeiter- und Bauernstaats nicht fügte oder wenn das familiäre Umfeld dem Staat nicht passte – der geriet schnell in die Fänge der staatlichen „Jugendhilfe“. Und das bedeutete „Umerziehung“ nach Maßgabe des sozialistischen Persönlichkeitsideals.

Mit 18 verlässt Martina Blankenfeld den Werkhof, unvorbereitet auf das Leben. „Alles was ich dort gelernt habe, konnte ich nicht mitnehmen nach draußen“, sagt sie. Stark wurde ihr Überlebenswille. „Ich musste mich immer wieder herausarbeiten. Aber die Leute sehen nicht, dass man sich rausgearbeitet hat. Dass man nach seinem Platz in der Gesellschaft sucht.“ Martina Blankenfeld, 53, lebt in Berlin. Sie ist nicht verbittert, sie ist traurig. Im Januar 2016 hat sie ihren 29-jährigen Sohn Gino, das einzige Kind, verloren; er hatte Magenkrebs wie sein Vater. So fängt ihre Geschichte mit der taz an. Blankenfeld schreibt einen Leserbrief. Darin geht es um unwürdiges Sterben, fragwürdige Betreuung, menschliches und behördliches Versagen.

Es ist ihr Lebensthema, wie sich bei diesem ersten Treffen beim Italiener um die Ecke herausstellt. Martina Blankenfeld redet, bleibt stundenlang bei einem Espresso. Eine lebendige Frau, mit dunklen langen Haaren, in die sich an der Stirn eine weiße Strähne eingeschlichen hat. Sie berlinert leicht, ihre Stimme ist sehr tief, ihre Hände unterstreichen alles, was sie sagt. Sie wäre eine gute Gebärdendolmetscherin.

Sie selbst braucht keine Dolmetscherin, sie hat ihre eigene Geschichte angenommen. „Das ist meine Therapie“, sagt sie. Ihr Leben ist ein fortschreitendes Projekt, ihre Bewältigungsstrategie.

Mit Psychologen, Ärzten, Behörden hat Martina Blankenfeld ungern zu tun. „Ich ertrage diese Ämter nicht mehr. Ich empfinde das immer als Verhör.“ In einem sozialmedizinischem Gutachten wird ihr eine „erhöhte Kränkungsanfälligkeit“ attestiert. Ist das verwunderlich? „Diese Arroganz von oben – immer stoße ich auf diese Strukturen“, sagt Blankenfeld.

Die Sozialpsychologin Silke Birgitta Gahleitner stellt in ihrer Expertise für den „Runden Tisch Heimerziehung“ fest, dass viele ehemalige Heimkinder bei professionellen Helfern Verharmlosung und Unkenntnis erleben – was ihnen erneut Unrecht und Kränkung widerfahren lässt. „Ich möchte mich nicht auf meine Kindheit reduzieren lassen“, sagte Martina Blankenfeld. Ein Dilemma. Sie will die Vergangenheit aufarbeiten, Öffentlichkeit herstellen. Aber sie will auch als ganzer Mensch wahrgenommen werden. Als jemand, der sich herausgearbeitet hat.

Höllenkreis 1: Familie

Martina Blankenfeld, geborene Pätzold, kommt am 18. Februar 1963 in Ostberlin als uneheliches Kind zur Welt. Ihr leiblicher Vater ist bereits verheiratet, die Mutter heiratet einen anderen Mann: Kurt Blankenfeld. Schon als Kleinkind hat sie überall blaue Flecken, weil er sie – oft alkoholisiert – verprügelt.

Nach einigen Jahren, Martina ist 7, lässt sich ihr Stiefvater scheiden, bleibt aber noch fast zwei Jahre bei ihnen wohnen. „Meine Mutter ist nie wirklich von ihm losgekommen“, sagt die Tochter. „Sie war devot“ – und ständig krank.

Zum Familienalltag der Blankenfelds gehören Klinik- und Psychiatrieaufenthalte der Mut­ter. Kriegstraumata, vermutet die Tochter. In der Klinik wird sie mit Psychopharmaka abgefüllt, die DDR-Psychiatrie war nicht zimperlich. Irmgard Blankenfeld lebt heute in einem Heim. Der Tochter ist wichtig, auch die Mutter zu rehabilitieren. „Ich bin nicht mehr böse auf sie“, sagt sie, ihre Mutter hat selbst viel Gewalt erfahren und eine lange Krankenakte, um die sich Martina Blankenfeld bisher vergeblich bemüht.

Berlin-Karlshorst ist ein ruhiges Wohnviertel, nach 1945 hatte die russische Armee hier ihr Hauptquartier. Die Nebenstraßen haben buckliges Kopfsteinpflaster, allmählich weicht der braune Farbanstrich der Wohnhäuser dem candyfarbenen Zeitgeist von heute. Längs der Eisenbahngleise erstreckt sich eine Kleingartenanlage, dort befand sich die Laube des Stiefvaters, in der er im Sommer auch wohnte. Heute ist es eines der unansehnlichsten Häuschen der Anlage, mit vergitterten Fenstern, nur der blumenreiche Garten passt nicht dazu. Im Schlafkabuff hat Kurt Blankenfeld Martina das erste Mal sexuell missbraucht. Die Mutter war mal wieder im Krankenhaus; die 8-Jährige hat es starr über sich ergehen lassen.

„Der Kurt macht so etwas nicht“, sagt die Mutter. Die Großmutter glaubt ihr, unternimmt aber nichts. Als der Stiefvater endlich ausgezogen ist, hört Martina auf zu stottern.

Die Ilsestraße 38, wo die Blankenfelds damals im Hochparterre wohnten, liegt am Rande von Karlshorst. Nachkriegsbauten in Querriegeln, die Wohnungen haben neue Balkone bekommen. Zwischen Wohnung und Kleingartenanlage liegt das ehemalige Arbeiterwohnheim, kurz AWH genannt. „Hier habe ich mich angeblich rumgetrieben“, sagt Martina Blankenfeld und lacht. Ganz normale Jugendliche seien sie gewesen, „alles andere haben die sich ausgedacht“.

In einem Brief des Jugendamts Berlin-Lichtenberg vom 24. April 1978 heißt es über die 15-Jährige: „Seit Wochen bummelt sie die Schule und verbringt in enger Verbindung zu einer negativen Freizeitgruppe die Nächte außerhalb des mütterlichen Haushaltes. Es bestehen häufig wechselnde sexuel­le Kontakte, sie hält sich oft im AWH in Karlshorst auf …“ Der Brief verfügt ihre Einweisung ins Heim.

Höllenkreis 2: „Tripperburg“

Drei Tage zuvor, am 21. April 1978, hat Martina Blankenfeld versucht, sich das Leben zu nehmen. Sie schluckt die Pillen ihrer Mutter, zertrümmert einen Spiegel, klappert Schulfreunde ab, bricht zusammen und wird ins Kinderkrankenhaus eingeliefert. „Ich wollte, dass die Leute sich mit mir auseinandersetzen.“

Am 24. April, während sie noch im Krankenhaus liegt, erfolgt die Heimeinweisung vom Referat Jugendhilfe des Stadtbezirks Berlin-Lichtenberg. Gegen Martina wird „der dringen­de Verdacht“ geäußert, „dass die Mutter bei einem Wei­ter­verbleiben der Jugendlichen im häuslichen Bereich an Leben und Gesundheit gefährdet ist“. Nicht die suizidale Tochter gilt als gefährdet – sondern die psychisch labile Mutter, die der Tochter nicht zur Seite steht. Martina habe „bereits versucht, ihrer Mutter körperlichen Schaden zuzufügen und unter Zeugen geäußert, dass es ihr einmal gelingen wird, die Mutter umzubringen“.

Als Zeugen werden die Ärztin der Mutter und der Abschnittsbevollmächtigte genannt, eine Art Kontaktbereichsbeamter und Wachhund über die richtige Gesinnung.

Die Tochter hört niemand an, sie wird weggesperrt. „Für die Erwachsenen war ich immer schuld, dass meine Mutter so krank war.“ Martina Blankenfeld wird in die Hautklinik des Krankenhauses Berlin-Buch verlegt, ins berüchtigte Haus 114, die geschlossene Abteilung für Geschlechtskrankheiten, „Tripper­burg“ genannt. Drei Wochen muss sie bleiben, zeitweise ans Bett gefesselt. Sie erinnert sich an Stahltüren, in den Boden verankerte Betten, Gitter vor den blinden Fenstern. Im Zellen­trakt schlagen Insassen gegen die Gitter und rufen: „Hunger, Hunger!“. Gewalttäter und Gewaltopfer werden im Haus 114 teilweise zusammen eingesperrt.

In einem Schreiben vom 18. August 1977 an den „Genossen Bezirksarzt“ Dr. Jacob des Magistrats Berlin heißt es: „Die auf der Station 114 C (geschlossene Abteilung) zur Aufnahme gelangten weiblichen Personen sind keinesfalls ‚kriminell gewordene‘ psychisch Kranke, sondern überwiegend zur Asozialität neigende Jugendliche …“

Handschriftlich ist vom Verfasser, dem Chefarzt der Hautklinik, Günter Elste, vermerkt: „Die in der geschlossenen Abteilung untergebrachten Patienten sind keine Untersuchungsgefangenen (Ausnahmen gibt es!), werden aber ALLE über einen Leisten geschlagen und wie z. T. Verbrecher behandelt.“ Die Sicherheitsmaßnahmen werden bald verschärft, für die „Kriminellen“ wird ein „Sicherheitstrakt“ geschaffen.

Die Kämpferin Sie ist ein Typ, der sich anlegt. „Ich kämpfe nicht gegen alles. Es muss Aussicht auf Erfolg haben“

Martina Blankenfeld hat sich Material über die „Tripperburg“ aus dem Landesarchiv Berlin besorgt. Der Medizinhistoriker Florian Steger von der Universität Halle-Wittenberg, der gerade ein Buch über „Die politisierte Medizin in der DDR“ veröffentlicht hat, hat sie dafür interviewt. Steger geht von bis zu 100.000 Mädchen und Frauen aus, die wegen Verdachts auf Geschlechtskrankheiten in die Hautkliniken eingewiesen wurden.

„Die geschlossenen venerologischen Abteilungen waren Teil des DDR-Staatssystems auch unter der Beteiligung des Ministeriums für Staatssicherheit, um sozialistische Bürgerinnen zu erziehen“, sagt er im ARD-Magazin „Fakt“ im Mai 2016, in dem auch Martina Blankenfeld zu Wort kommt. „Es ging nicht um Therapien in diesen Abteilungen“, sagt Steger, „wie kann das auch sein, wenn nur 30 Prozent geschlechtskrank gewesen sind?“

Martina Blankenfeld hatte keine Geschlechtskrankheit. In ihrer Berliner Wohnung im 18. Stock eines Hochhauses mit Blick auf den Fernsehturm und die Spree liegt ein Exemplar von Stegers Buch. Sie hat sich eingearbeitet, kennt die Fachtermini – ihr Satz „Ich bin Überlebende komplexer Gewaltstrukturen“ ist auch ein Erkennungsmerkmal, ein identitätsstiftendes Hilfs­konstrukt.

In der „Tripperburg“ wird die 15-Jährige von einer Ärztin über sexuelle Praktiken und mögliche Selbstbefriedigung befragt. Morgens früh muss sie auf den Gynäkologenstuhl, wird „grob“ angefasst, angebliche Vorsorgeuntersuchungen, Schwangerschaftstest, Abstriche, Hauttests, abends erhalten die jungen Frauen Spritzen und Medikamente.

„Die haben immer so getan, als wüsste ich, warum ich da war“ – in Wahrheit war es andersherum. Der Staat wusste, was er mit den Kindern und Jugendlichen vorhatte. In Internetforen finden sich viele Lebensläufe wie der von Martina Blankenfeld, die Stationen gleichen sich: Hautklinik – Jugendheim – Werkhof.

Höllenkreis 3: Heimkind

Die Sonne scheint an diesem Tag auf der Halbinsel Stralau. Ein idyllischer Fleck mit alter Dorfkirche und Friedhof, mitten in der Stadt. Hätte Berlin die Olympischen Spiele 2000 austragen dürfen, wäre hier das olympische Dorf entstanden; stattdessen gibt es nun den Wohnpark Stralau, Bauen und Wohnen für Hipster und Hipsterfamilien.

In der heutigen Thalia-Grundschule, einem roten Backsteinbau, befand sich das Durchgangsheim der Ostberliner Jugendhilfe, wo Martina Blankenfeld im Mai 1978 im Anschluss an die „Tripperburg“ landete. Von hier aus wurden Kinder und Jugendliche auf Werkhöfe in der ganzen DDR verteilt. „Früher war alles vergittert“, erinnert sich Martina Blankenfeld. Es ist gerade Pause, einige Schulkinder fragen, ob sie ihren Hund Max, einen zotteligen Collie, streicheln dürfen. Blankenfeld erklärt ihnen, wie sie sich ihm nähern sollen. Dass sich Unsicherheit überträgt.

Nur die Fenster des Souterrains auf der Schulhofseite sind heute noch vergittert. Dort befanden sich die drei Arrestzellen. Der Bunker. Ein Eimer, ein Steinsitz, nachts wird eine Matratze reingereicht, kein Freigang. „Ich war in meinen knapp fünf Monaten dreimal dort“, sagt Blankenfeld. Das erste Mal muss sie drei Tage in den Bunker, weil sie nicht mehr einhalten kann und in den Stuhl pinkelt, während die „Aktuelle Kamera“ läuft, die Tagesschau der DDR, die Pflichtveranstaltung für die Jugendlichen war.

Der Bunker ist Blankenfelds schlimmste Erfahrung. Es ist niemand da, der der 15-Jährigen erklärt, warum sie dort ist. „In der Situation nicht verrückt zu werden! Ständig fragt man sich: Was bist du für ein Mensch? Wofür wirst du bestraft?“ Das Gefühl von Schuld gräbt sich tief in den Körper.

Vom Durchgangsheim wird Martina Blankenfeld im August 1978 in den Jugendwerkhof Burg „August Bebel“ in Sachsen-Anhalt verlegt. „Jugendfreundin Martina Blankenfeld“ steht in ihren Zeugnissen der Berufsklasse des Werkhofs. Wer war denn ihr Freund, etwa der Staat?

Bis zu einer halben Million Kinder sollen die Kinderheime der DDR mit ihren 16 Millionen Einwohnern zwischen 1949 und 1990 durchlaufen haben. Oder durchlitten. Zudem gab es Spezial­kinderheime, zu denen auch Durchgangsheime wie in Stralau zählten – und über 30 Jugendwerkhöfe. Der in Burg ist eine sogenannte offene Einrichtung, Martina Blankenfeld absolviert hier 18 Monate lang eine Teil-Facharbeiterausbildung in der Landwirtschaft. Junge Menschen zwischen 14 und 18 Jahren, die als unangepasst oder schwer erziehbar gelten, die kein soziales Umfeld haben, das sich für sie einsetzt, oder deren Eltern etwa einen Ausreiseantrag gestellt haben, werden nach den Regeln der sowjetischen Pädagogik „umerzogen“ und als billige Arbeitskräfte missbraucht. Frieren, marschieren, arbeiten.

Martina Blankenfeld bleibt in Burg, bis sie 1981 volljährig wird. Sie arbeitet in der Gärtnerei, das letzte Jahr freiwillig, weil sie nicht zu ihrer Mutter zurückkehren will. Mit 18 Jahren wird sie ins Leben entlassen. „Ich hatte keine Ahnung, wie man mit Geld umgeht. Welche Rechte ich habe.“

Zurück in die Vorhölle

Martina Blankenfeld schlägt sich durch als Imbisskraft, Verkäuferin, Parkaufsicht. 1985 wird sie schwanger, 1986 kommt Gino zu Welt; nach einem Jahr lässt sie sich scheiden. „Ich mag Männer“, sagt sie, „ich mag auch Sex. Trotz alledem. Aber ich bin wesentlich sensibler als andere.“ Sie lebt heute allein, mitten in der Stadt, wo es noch immer nach Ostberlin aussieht. Sie mag es.

Martina Blankenfeld ist kommunikativ, humorvoll, direkt. Durch ihre tiefe Stimme, die sie schon immer hatte, hört sie sich an, als hätte sie ihr Leben lang Kette geraucht. Wenn sie spricht, schnalzt sie manchmal, als wolle sie ihre Sätze noch unterstreichen. Schon in der Schule leitete sie eine Puppentheater-AG. Mit Geld aus dem Fonds „Heimerziehung in der DDR“ hat sie 2012 eine Fortbildung zur Theaterpädagogin finanziert und mit anderen ehemaligen Heimkindern das Stück „Vorwärts gelebt, rückwärts verstanden“ erarbeitet. Zwei Aufführungen gab es, eine davon in Stralau.

Seit 2004 hat Martina Blankenfeld als Pflegehelferin in verschiedenen Sozialeinrichtungen gearbeitet, ab 2010 in einem Seniorenpflegeheim in Berlin-Charlottenburg. „Ich bin gerne mit alten Menschen zusammen, weil sie unmittelbar reagieren.“

Wie Blankenfeld selbst. Sie erträgt immer weniger die Zustände dort, beklagt Missstände wie Bevormundung, Diebstahl, Essensentzug, Versagen von Toi­let­tengängen, die Willkür des Personals. Blankenfeld zeigt psychosomatische Reaktionen, erfährt eine Art Retraumatisierung, eine Wiederbelebung ihrer eigenen Heimgeschichte. Der Heimleiter redet es klein und lässt sie am 3. August 2012 vom Dienst suspendieren.

Nach Streit vor Gericht bezieht Martina Blankenfeld inzwischen eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Am 6. Juli 2016 ist sie noch einmal vors Arbeitsgericht gezogen. Vor allem, weil sie sich wünscht, dass sich der Arbeitgeber noch einmal mit ihr auseinandersetzt. Der schickt nur eine Vertreterin – und den Anwalt. Es kommt zu einer gütlichen Einigung – und einer Ehrenerklärung für sie.

Martina Blankenfeld ist ein Typ, der sich anlegt. Sie reagiert empfindlich auf Ungerechtigkeit, Arroganz, reibt sich daran wund. „Ich kämpfe nicht gegen alles“, sagt sie. „Es muss schon Aussicht auf Erfolg haben.“ Dann schränkt sie gleich ein: „Aber Grundrechte lass ich mir nicht nehmen.“ Und dann beugt sie sich vorne, deutet mit der Hand nach unten und berlinert mit ihrer schönen tiefen Stimme: „Soll ich denn wieder nach unten wachsen? Nee, Leute …“

Bleibt die Geschichte mit ihrem Sohn. Den Kampf hat sie verloren. Martina Blankenfeld weint manchmal, wenn sie über Gino spricht. Seine Asche liegt in einer Plastiktüte in ihrer Wohnung, das Päckchen wiegt mehr als gedacht. Im September soll es bei Rügen eine Seebestattung geben.

Ihr Wohnzimmer hat sie wie einen Theaterraum gestrichen und dekoriert. Sie hat Pläne. Ein neues Theaterprojekt initiieren, über die „Tripperburg“. Mit Hund Max eine Clownsnummer einstudieren. Den Hund hat sie – aus therapeutischen Zwecken – gegen ihren Vermieter durchgesetzt.

Mit Tieren spricht Martina Blankenfeld lieber als mit einem Therapeuten. Deswegen fährt sie auch einmal in der Woche raus, zu den Wildpferden. Dass sie „etwas mit Bewegung“ braucht, sagt sie. Eine Bühne. Freiraum.

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